Der Mann, Mitte 50, war im März lebensbedrohlich an Corona erkrankt und musste an der Uniklinik Essen beatmet werden. Wie es ihm heute geht.

Stefan Müller*, Mitte 50, war einer der ersten schweren Corona-Fälle, die an der Uniklinik Essen behandelt wurden. Tagelang lag er im künstlichen Koma und musste beatmet werden. Janet Lindgens traf ihn sechs Monate nach seiner Infektion. Zusammen mit dem Anästhesisten und Intensivmediziner Professor Thorsten Brenner berichtet er, wie er die Krankheit erlebt hat und wie es ihm heute geht.

Herr Müller, Sie wollen Ihren Namen nicht öffentlich nennen. Sie sind ein erfolgreicher Geschäftsmann. Befürchten Sie Nachteile?

Wenn ich angestellt wäre, wäre es mir egal. Aber ich will nicht, dass mich morgen jeder anspricht. Es ist einfach ein Schutz für mich und meine Familie.

Wo haben Sie sich angesteckt?

Ich war in der ersten März-Woche in Ischgl zum Skifahren. Wir waren zu sechst da. Wo genau ich mir das Virus eingefangen habe, weiß ich nicht. Wir haben jedenfalls nicht in der berühmt berüchtigten Apres-Ski-Bar Kitzloch gefeiert. Aber klar, nach dem Skifahren waren wir häufig noch ein Bier trinken und die Hütten waren voll.

Gab es keine Hinweise, dass es in Ischgl zu diesem Zeitpunkt schon Corona-Fälle gab?

Wenn ich ehrlich bin, wusste ich von Covid 19 zu diesem Zeitpunkt nicht viel. Wenn mir einer gesagt hätte, dass diese Geschichte daraus wird, hätte ich ihn wahrscheinlich belächelt. Für mich war Corona eine Art Grippe, die vielleicht etwas heftiger ausfallen kann.

Haben sich in Ihrer Gruppe mehrere angesteckt?

Ja außer mir noch zwei weitere. Aber bei denen ist es glimpflicher verlaufen.

Und Ihre Familie?

Mein Sohn hatte schon im Urlaub Grippesymptome. Deshalb gehen wir davon aus, dass er auch infiziert war.

Wann hatten Sie die ersten Anzeichen?

Als ich Samstagabend nach Hause kam, war ich durch die Autofahrt und eine Woche Skifahren platt. Ich hatte etwas Husten und Schnupfen. Aber das ist ja nichts Ungewöhnliches. Am Montag fühlte ich mich immer noch nicht fit, habe aber ganz normal gearbeitet. Ein Kollege aus der Gruppe rief mich dann am Dienstag an und erzählte, dass es ihm nicht gut ginge und er glaube, dass er sich mit dem Virus angesteckt hat. Einen Tag später erhielt er dann tatsächlich das positive Testergebnis.

Wie ging es weiter?

Mir ging es am Dienstag auch schlechter. Nach dem Anruf habe ich alle Türen zugemacht und war für niemanden mehr zu sprechen. Das war mir zu riskant. Meine Frau war schon am Montag ins Gästezimmer umgezogen. So konnte ich niemanden mehr anstecken. Am Mittwoch habe ich mich dann auch testen lassen. Ich wollte Gewissheit, die ich dann am nächsten Tag auch bekam. Ich musste in Quarantäne, habe aber gedacht: Dann arbeitest du eben die nächsten Tage von zu Hause aus.

Da hatten Sie Hoffnung, ohne große Symptome davon zu kommen.

Mir waren die Worte meines Skikollegen noch im Ohr: Es gibt einen Shitday, da glaubst du, dass du sterben musst, aber dann wird es besser. Aber bei mir wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Am Sonntagmorgen bin ich aufgestanden und hatte keinen Antrieb, keinen Hunger. Der Gang zur Toilette fiel mir schwer. Montagmorgen schließlich wachte ich nass geschwitzt auf, habe die zehn Meter zur Toilette fast gar nicht mehr geschafft. Ich musste zwischendurch stehen bleiben, um Luft zu holen. Zwei Stunden später habe ich die 112 gewählt und bin mit Blaulicht ins Uniklinikum gefahren worden. Später erfuhr ich, dass ich nur noch fünf Prozent Lungenvolumen zu dem Zeitpunkt hatte.

War Ihnen bewusst, in welch kritischem Zustand Sie da schon waren?

Nein. Im Krankenwagen dachte ich: Naja, zwei, drei Tage wirst du jetzt im Krankenhaus bleiben müssen. Ich bin noch selbst in die Aufnahme reingelaufen. Was die zehn, elf Tage danach passiert ist, weiß ich nicht mehr. Ich habe erst im Nachhinein erfahren, wie eng es war.

Herr Professor Brenner, Sie sind der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, wo Herr Müller behandelt wurde. Was passierte dann?

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Brenner: Der Patient hatte ein akutes Lungenversagen und musste sofort künstlich beatmet werden. Das funktioniert über einen Beatmungsschlauch, der in den Mund eingeführt wird. Dafür braucht man eine gewisse Narkosetiefe, denn den Würgereiz würden die meisten von uns nicht aushalten. Wir versetzen die Patienten aber nicht in ein tiefes Koma, sondern wir versuchen sie ziemlich wach zu halten, denn sie sollen aktiv mitarbeiten. Das verkürzt nach unseren Erfahrungen die Beatmungsdauer.

Wie kritisch war der Zustand von Herrn Müller wirklich?

Brenner: In dem Moment, wo man eine künstliche Beatmung braucht, ist das ein lebensbedrohliches Erkrankungsbild. Knapp ein Drittel der Patienten, die intensivmedizinisch behandelt und künstlich beatmet werden müssen, sterben an dieser Erkrankung.

Hätte man an der Schwere des Verlaufs etwas verändern können, wenn Herr Müller früher ins Krankenhaus gekommen wäre?

Brenner: Ich glaube nicht, denn es gab damals kein unmittelbar verfügbares Medikament für eine kausale Therapie. Das einzige direkt gegen das Virus wirksame Präparat, das uns heute zuverlässig zur Verfügung steht, ist Remdesivir. Das hat er auch bekommen – allerdings etwas zeitverzögert, weil damals die Verfügbarkeit noch nicht so gegeben war, wie heute.

Hatten Sie Vorerkrankungen, Herr Müller?

Ich bin zwar etwas übergewichtig, aber im Grunde gehöre ich nicht zu den Risikopatienten. Ich fühlte mich gesund, bin noch eine Woche vor Ischgl 14 Kilometer um den Baldeneysee gelaufen.

Als Sie nach zehn Tagen wieder wach wurden, an was können Sie sich erinnern?

Ich hatte während der Narkose viele Albträume. Zum Beispiel habe ich geträumt, dass ich auf einem Flüchtlingsboot bin und ins Wasser geworfen werde. Ich habe zwei Tage gebraucht, um wieder ins Leben zurückzufinden. Realität und Träume verschwammen. Ich habe wohl auch seltsame Dinge erzählt und gefragt, die meine Familie sehr beunruhigt haben.

Vor allem für Ihre Familie muss das eine schwere Zeit gewesen sein.

Das war es. Ich selbst habe ja nicht mitbekommen, wie schlecht es um mich bestellt war. Meine Familie bangte jeden Tag und hoffte, dass ich mich wieder erhole. Besuchen durften sie mich nicht. Meine Frau hat mir danach erzählt, dass sie sich auch die Frage gestellt hat, wie ich wohl zurückkomme. Ob ich der Alte bin oder ein Pflegefall.

Wie ist das mit zehn Tagen Filmriss?

Ich lag gerade im Koma, als der Lockdown kam. Erst einige Tage, nachdem ich aufgewacht bin, habe ich die Nachrichten im Fernsehen gesehen und gedacht, die wollen mich veräppeln. Ein Virus legt die ganze Republik lahm? Das war für mich unglaublich.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich konnte kurz vor Ostern das Krankenhaus verlassen. Mir geht es seither jeden Tag besser. Ich bin noch nicht bei 100 Prozent, aber gefühlt bei 95. Ich habe selbst viel dafür getan, habe Fitness- und Atemübungen gemacht. Nach dem Aufwachen aus der Narkose konnte ich kaum die Schnabeltasse halten, geschweige denn Stehen oder Laufen. Dass die künstliche Beatmung den Körper derart belastet, hätte ich nicht gedacht. Ich habe fünf Tage gebraucht, bis ich wieder ein Stück gehen konnte.

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Brenner: Da muss ich korrigieren. Das kommt nicht von der Beatmung alleine. Zum einen baut natürlich nach zehn Tagen die Muskulatur ab. Zum anderen kann es durch Covid nicht nur zum Lungenversagen kommen, sondern zu einer schweren Entzündungsreaktion im gesamten Körper. Die befällt auch die Muskulatur und das Nervensystem. Das führt dazu, dass Patienten Gefühlsstörungen, eine Kraftminderung, Koordinationsstörungen oder Verwirrtheitszustände haben.

Müller: Immerhin habe ich 17 Kilo verloren.

Brenner: Leider verliert man nicht nur Fettmasse, sondern großenteils Muskelmasse.

Welche Einschränkungen spüren Sie heute noch, Herr Müller?

Alles, was im normalen Bereich ist, schaffe ich ohne Anstrengungen. Längere Strecken joggen geht noch nicht. Da schaffe ich momentan zehn Minuten, dann muss ich eine Pause einlegen. Das wird gefühlsmäßig auch noch dauern. Mein Hauptproblem ist allerdings die Folgeerkrankung Thrombose. Nach zwei Wochen musste ich nämlich wieder ins Krankenhaus, weil mein rechtes Bein doppelt so dick war wie das linke. Das ist auch noch nicht völlig abgeklungen.

Brenner: Da sind Sie kein Einzelfall. Bei Covid 19 scheint es so zu sein, dass die Blutgerinnung aggressiv mitreagiert. Wir haben deshalb mittlerweile unser Konzept geändert und geben den Patienten mehr Blutverdünnung. Als Sie bei uns waren, war uns dieses besondere Phänomen noch nicht in dem Ausmaß bekannt. Solche Erfahrungen mussten wir erst sammeln.

Professor Brenner, mit welchen Spätfolgen muss Herr Müller rechnen?

Brenner: Dass er sich heute schon bei 95 Prozent fühlt, ist super und spricht dafür, dass funktionell nichts oder nicht so viel zurückbleiben wird. Aber mit Gewissheit können wir das nicht sagen. Denn diese Erfahrungen zu den Langzeitfolgen von Covid 19 sammeln wir erst jetzt.

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Müller: Ich weiß, dass es sein kann, dass ich in zehn Jahren noch über Spätfolgen klagen könnte. Aber das weiß heute keiner, deshalb ist das für mich kein Thema. Mein erstes Ziel sind jetzt wieder die zehn Kilometer am Stück zu laufen. Das werde ich schaffen.

Wie ist es Ihrem Unternehmen in der Zeit ergangen?

Da hatte ich großes Glück, dass alle an einem Strick gezogen haben. Mein Sohn, meine Frau, die Mitarbeiter. Als ich das Krankenhaus verlassen habe, konnte ich zunächst nicht mehr als zwei Stunden arbeiten. Ich brauchte quasi eine Wiedereingliederung. Mittlerweile bin ich aber wieder voll an Bord und schmiede auch wieder Zukunftspläne.

Hat Corona bei Ihnen etwas verändert?

Vom Kopf her ist eigentlich wieder alles so wie früher. Naja. Vielleicht spüre ich eine gewisse Dankbarkeit und Demut. Ich bin dankbar, dass diese Krankheit bei mir glücklich ausgegangen ist. Und Demut, weil man zur Kenntnis nehmen muss, dass es nicht in der eigenen Hand liegt, ob das Leben noch drei oder 30 Jahre dauert.

Wie schauen Sie auf die derzeitigen Proteste der Corona-Leugner?

Für mich ist das eher albern. Covid leugnen kann man nicht. Dass man das Ausmaß der Krankheit anders bewerten kann, muss jeder mit sich ausmachen. Aber dass man gegen die Maßnahmen ist, dafür habe ich kein Verständnis. Man hat doch gesehen, was in anderen Ländern passiert, wenn man lange zu lax damit umgeht.

*Name geändert

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