Essen. Mit Abstand oder auch nicht: Wie Essens Kulturleben unter Coronabedingungen im Herbst neu starten soll. Viele Plätze werden vorerst frei bleiben.
In diesem Sommer gibt es draußen nicht nur Kännchen. In diesen Corona-Tagen gibt es draußen vor allem Kultur: Hofkonzerte, Fensterkonzerte, Tanz auf dem Pritschenwagen oder Theater im Kleingarten: Die Künstler und Bühnen haben sich einiges einfallen lassen, um im Sommer der Entsagung trotzdem noch ihr Publikum zu erreichen.
Doch es naht der Herbst und damit die Frage, wie man Theater und Konzerthäuser in den kommenden Wochen und Monaten wieder für die Zuschauer öffnet. Das Publikum wird sich auf unterschiedliche Regelungen und Bestuhlungspläne im Corona-Modus einstellen müssen, die in den vergangenen Wochen ausgemessen, errechnet und behördlich genehmigt wurden. Handdesinfektion, Einbahnstraßenprinzip und das Tragen von Schutzmarken sind dabei Vorgaben, die man inzwischen aus jedem Supermarkt kennt. Doch die wirksamste Schutzmaßnahme bleibt für die meisten Häuser die Distanz.
Kultur auf Abstand, aber wieder vor respektabler Kulisse
So startet die Studio-Bühne gerade mal mit einem Dutzend Sitzen im Treppenhaus. Das Stratmanns beispielsweise wird sein Platzangebot etwa um die Hälfte reduzieren. Um Abstand bemüht zeigt sich auch das Rathaus-Theater, wo man die „hochmoderne und sichere Frischluftklimatisierung“ bewirbt, die Vieren und Bakterien zuverlässig abtöte.
Auch das Hygieneschutzkonzept der Theater und Philharmonie setzt weiter auf viel Freiraum. Im Aalto-Musiktheater sollen für den Anfang 235 von insgesamt 1125 Stühle belegt werden, eine Erhöhung steht in Aussicht. In der Philharmonie hat man eine maximale Besucherzahler von 952 Besuchern bei 1906 Plätzen errechnet. So soll Kultur immer noch auf Abstand, aber doch wieder vor respektabler Kulisse stattfinden.
600 Zuschauer bei Ärzte-Frontmann Farin Urlaub – ein ungewohntes Bild
Folgte man den Corona-Schutzvorgaben des Landes NRW, wäre in vielen Sälen noch mehr drin. Die derzeit geltende Regelung ermöglicht es, Zuschauer auch ohne Mindestabstand nebeneinander zu setzen, wenn die Plätze persönlich zugeordnet sind und die besondere Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist.
Volle Säle trotz Corona? Bislang hat das Experiment in Essen nur die Stiftung Zollverein gewagt. Dort verfolgten am vergangenen Samstag rund 600 Fans der Band „Die Ärzte“ den schon vor Monaten ausverkauften Auftritt von Frontmann Farin Urlaub erstmals seit Monaten ohne Mindestabstand. Ein nach wochenlangem Lockdown noch ziemlich ungewohntes und für manchen auch irritierendes Bild, das zumindest auf Zollverein nicht die Ausnahme bleiben soll.
Der Abend sei so etwas wie eine „Best Practice“-Veranstaltung geworden, von den Erfahrungen sollen nun auch weitere Eventanbieter auf dem Welterbe-Gelände profitieren, sagt Delia Bösch, Sprecherin der Stiftung Zollverein. Viele Veranstalter, die die Corona-Krise derzeit in die Knie zwingt, hätten gar nicht die Kapazität, die vielseitige Schutzverordnung bis ins Detail zu durchdringen und umzusetzen. Ein Neustart sei für viele Anbieter inzwischen aber „überlebenswichtig“.
Der Wunsch nach Sicherheit und die Sehnsucht nach der neuen Normalität
Bei der Stiftung Zollverein hat man nicht nur Zeit aufs Studieren des Kleingedruckten verwandt, sondern auch alle 600 Besucher vorab über die Saalbestuhlung und das Einlass-Procedere inklusive Kontaktdaten-Erfassung und Schutzmaske tragen informiert.
Dass die teils von weither angereisten Gäste dabei auch Vorlaufzeiten von bis zu anderthalb Stunden klaglos in Kauf nahmen, um mit Abstand in die Halle eingelassen zu werden, sieht man als Zeichen, dass die Zuschauer vor allem eines wollen: Veranstaltungen wieder als Gemeinschaftserlebnis wahrnehmen zu können. „Es gab keine einzige Stornierung“, sagt Delia Bösch.
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Auch der geplante Auftritt von Songwriter Stoppok soll im Dezember unter gleichen Vorgaben stattfinden. Und im November ist auf dem Welterbe eine Neuauflage der Lit.Ruhr geplant, nachdem die traditionsreiche Lit.Cologne auch im zweiten Anlauf abgesagt wurde.
Wollen die Zuschauer also vor allem größtmögliche Sicherheit, oder ist die Sehnsucht nach einer vermeintlichen neuen Normalität größer. Die Antwort dürfte je nach Alters- und Interessensgruppe unterschiedlich ausfallen. Im Schauspiel Essen setzt man jedenfalls weiter auf Freiraum. „Wir haben uns ganz bewusst für eher luftige Sitzpläne entschieden, da wir es für richtig und wichtig halten, unserem Publikum nicht nur im Foyer sondern auch im Zuschauerraum die Möglichkeit zu geben, Abstand zu halten. So sollen auch Menschen, die zu Risikogruppen gehören oder einfach nur vorsichtig sein möchten, die Gelegenheit bekommen, wieder Theatervorstellungen zu besuchen“, sagt Intendant Christian Tombeil.
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So wird „Die Marquise von O“ in der Casa vor 71 statt 199 möglichen Zuschauern Premiere feiern. „Biedermann und die Brandstifter“ werden nur 83 von möglichen 419 Grillo-Besuchern sehen.
Auch in der Lichtburg sitzt das Publikum gerne „auf Lücke“
Auch im Kino will man offenbar noch nicht wieder eng zusammenrücken. „Die Leute wollen das nicht und dem muss man Rechnung tragen“, sagt Bernhard Wilmer, Theaterleiter der Lichtburg. Bei Online-Buchungen bleiben derzeit jeweils zwei Plätze frei. Selbst beim lang herbeigesehnten ersten Kinoknüller nach Corona, Christoper Nolans Agenten-Thriller „Tenet“, wird es keine voll besetzten Reihen geben.
Viele Konzerte und Kabarett-Auftritte, die zunächst vom Frühjahr in den Herbst verschoben wurden, finden jetzt erst 2021 statt.