Essen. Ein Essener Unternehmer hat eine Angestellte eigenmächtig in Corona-Quarantäne gesetzt und er kürzte Urlaub. Was Chefs dürfen - und was nicht.

Es sollte ein einwöchiger Strandurlaub auf den kanarischen Inseln werden, etwas Entspannung vom Büro-Alltag, schilderte jüngst eine Essener Büroangestellte dieser Zeitung. Doch nach ihrer Rückkehr schickte ihr Chef sie eigenmächtig und ohne medizinischen Grund für zwei Wochen in Corona-Quarantäne - und er kürzte ihr heimlich zehn Tage vom Jahresurlaub, was sie erst Monate später bemerkte.

Der Fall der Büroangestellten, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, macht deutlich, was auch der Essener Unternehmensverband aktuell beobachtet: „Viele Betriebe sorgen sich, dass einzelne Mitarbeiter das Coronavirus aus dem Urlaub in den Betrieb einschleppen“. Was dürfen Chefs tun, um Beschäftigte zu schützen - und was dürfen sie nicht?

Corona: Arbeitgeber darf nicht über Urlaub seine Angestellten verfügen

„Dass der Arbeitgeber selbst einseitig über den Urlaub seiner Angestellten verfügt, ist nicht rechtskonform und damit aus meiner Sicht auch nicht machbar“, sagt Jörg Towara, Rechtsanwalt aus Köln mit Schwerpunkt Arbeitsrecht. „Das Thema Urlaubskürzung wird im Zusammenhang mit Covid-19 sehr streitig diskutiert, aber in Beziehung auf Kurzarbeit“, erklärt Towara. Und: „Die Frage ist bis dato gerichtlich nicht entschieden“.

Die Büroangestellte steckt in einem Dilemma: Würde sie vor Gericht gehen, dürfte sie laut Towara vermutlich obsiegen. Doch die 60-Jährige sieht sich nicht in der Lage zu klagen, zumal sie in einer kleinen Firma arbeitet: „Ich habe Angst, dass mir mein Chef dann kündigt“, sagt sie. Für Rechtsanwalt Towara ist diese Sorge „leider nicht völlig unbegründet: Es ist der große Nachteil von Kleinstbetrieben bis einschließlich zehn Mitarbeitern, dass der Arbeitgeber eine eventuelle Kündigung nicht begründen muss.“

Keine Reisewarnung - volles Gehalt

Ihr Urlaub war bereits im März, eine Reisewarnung für die Kanaren gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Auch hatte das Gesundheitsamt, sagt die Angestellte, damals keinen Grund gesehen, ihr einen Coronatest nahezulegen oder sie offiziell nach ihrer Rückkehr unter Quarantäne zu stellen. Zudem hat sie ihrem Chef nach Rückkehr aus dem Urlaub „ihre Arbeitskraft korrekt angeboten“, sagt Towara: „Der Arbeitgeber selbst hatte aber entschieden, sie in Quarantäne zu setzen.“

Auf dem Gehaltszettel hatte sie keine Einbußen, berichtet die Angestellte: „Dass der Chef ihr auch in der von ihm verhängten Quarantäne das Monatsgehalt in voller Höhe gezahlt hat, war deshalb korrekt und für ihn unumgänglich“, sagt Jörg Towara.

Lohn kann wegen Quarantäne gekürzt werden

„Rechtsgrundlage für die Lohnfortzahlungspflicht ist Paragraph 616 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)“, erklärt Towara: „Wenn ein Arbeitnehmer eine verhältnismäßig kurze Unterbrechung nicht selbst verschuldet hat, muss der Arbeitgeber den Ausfall tragen. Meist wird dies etwa im Falle eines akuten Arztbesuchs angewendet, der damit zum Risiko des Arbeitgebers mit Blick auf die Arbeitskraft von Mitarbeitern gehört.“

Ein genereller Anspruch auf Gehaltsfortzahlung für Betroffene von Quarantäne gibt es nicht, erklärt der Essener Unternehmensverband (EUV): Wer trotz Reisewarnung in ein Risikogebiet reist und anschließend unter Quarantäne gestellt wird, hat laut EUV keinen Anspruch auf vollen Lohn oder volles Gehalt. „Ist die Quarantäne nicht selbst verschuldet, erhält der Arbeitnehmer weiterhin sein Gehalt“,sagt der EUV. Aber: „Es wird dem Arbeitgeber dann behördlich erstattet“.

Angst vor Corona bei Urlaubsrückkehrern: Was Arbeitgeber dürfen

Beim aktuellen Anstieg der Corona-Infektionen stehen zu einem großen Teil Urlaubsrückkehrer im Fokus. EUV hat diese Hinweise:

  • Chefs dürfen Angestellte, die aus dem Urlaub zurück sind, laut EUV nach Aufenthaltsort und Gesundheitszustand befragen.
  • Angestellte, die in einem Risikogebiet in Urlaub waren, kann der Zugang zum Betrieb verweigert werden, wenn sie Fragen zum Urlaubsort nicht beantworten oder keinen negativen Coronatest vorweisen. Wer dann dennoch im Betrieb erscheint und gegen Anweisungen des Arbeitgebers verstößt, riskiert laut EUV eine Abmahnung und im Wiederholungsfall die „verhaltensbedingte Kündigung“.
  • Chefs dürfen Coronatests für die Beschäftigten anordnen, wenn Arbeitnehmer besonderen Ansteckungsrisiken ausgesetzt waren und Erkältungssymptome zeigen.
  • Fiebertests als Eingangsscreening vor Betriebsbeginn sind nur freiwillig möglich, auch Coronatests, sagt der EUV: Alleine die Rückkehr eines Beschäftigten aus einem Risikogebiet ist laut EUV noch kein Grund, dass ein Arbeitgeber Coronatests erzwingen könnte.

Corona: Pandemie-Lasten nicht einseitig auf Arbeitnehmer abwälzen

Im Fall der Büro-Angestellten empfiehlt Rechtsanwalt Jörg Towara, einen Kompromiss zu suchen: „Vielleicht kann man sich auf zum Beispiel zwei bis vier Urlaubstage einigen“, die der Chef ihr abzieht, nicht aber zehn, schlägt er vor.

Die Motivation des Chefs möchte Towara indes „nicht grundsätzlich verurteilten: Er wollte offenbar seine übrigen Mitarbeiter schützen“. Dass er seiner Angestellten Urlaubstage abzieht, hätte er mit der Frau jedoch vorab einvernehmlich klären müssen, sagt der Arbeitsrechtler.

Mit Blick auf erneut steigende Corona-Infektionen zum Herbst hin, hält Towara die Aktion des genannten Chefs ohnehin für „zu kurz gesprungen: Eine solche pandemiebedingte Krise stehen Unternehmen insbesondere nur dann durch, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Lasten dieser schwierigen Situation gemeinsam schultern und nicht das Risiko allein auf die Arbeitnehmer abgewälzt wird.“