Essen. Essen ist eine Clan-Hochburg und auch bei der Clankriminalität mit Abstand vorn. Das ist das Ergebnis des neuen Clan-Lagebildes NRW.

Essen nimmt auch im zweiten Lagebild zur Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen erneut einen unrühmlichen Spitzenplatz ein. Denn die meisten der insgesamt 6104 von kriminellen Mitgliedern türkisch-arabischer Clans begangenen Straftaten im Jahr 2019 sind in Essen passiert. „Exakt waren es 852“, sagte Innenminister Herbert Reul am Montag in Düsseldorf – nur zwei Tage nach der großen Clan-Razzia in Essen. Das entspreche einem Anteil von 14 Prozent.

Schon beim ersten Clan-Lagebild, das im Januar 2019 veröffentlicht wurde, hat Essen mit Abstand die meisten Straftaten mit Clan-Bezug aufzuweisen gehabt. Im aktuellen Lagebild rangiert das Polizeipräsidium (PP) Essen vor dem PP Recklinghausen (486 Straftaten/ 8,0 Prozent), Gelsenkirchen (456/ 7,5 %), Dortmund (343/ 5,6 %), Duisburg (323/ 5,3 %), Düsseldorf (303/ 5,0) und Bochum (301/ 4,9 %).

Auch bei den Tatverdächtigen liegt Essen im Ruhrgebiet weit vorn

Neben den Straftaten erfasst das Lagebild 2019 auch die Tatverdächtigen, die den jeweiligen Polizeipräsidien zugeordnet werden. Auch hier liegt Essen mit 595 Tatverdächtigen, was einem Anteil von 15,7 Prozent entspricht, deutlich vor den Polizeipräsidien Recklinghausen (320 Tatverdächtige / 8,5 Prozent), Gelsenkirchen (289/ 5,3 %) und anderen.

Bemerkenswert ist das Alter der Tatverdächtigen: Die meisten sind zwischen 26 und 30 Jahren alt, die Intensivtäter (mehr als fünf Straftaten) sind sogar noch jünger, nämlich zwischen 18 und 21 Jahren.

Exakte Vergleichszahlen zum Vorjahr weist das Lagebild 2020 für die einzelnen Städte nicht aus. Nach dem allgemeinen Trend, wonach die Zahl der Straftaten 2019 stark zugenommen hat (+ 32,8 % bei Straftaten, + 33,4 % bei Tatverdächtigen), sei auch für Essen von einem starken Zuwachs auszugehen.

Auf den bekannten Familienclan „O“ entfallen mit Abstand die meisten Straftaten

Eine klare Sprache spricht die Grafik zur Verteilung der Tatorte. Während ländliche Regionen in NRW überhaupt keine rot markierten Tatorte aufweisen, ist der Großraum Essen/Ruhrgebiet flächendeckend dunkelrot. Das für die Erarbeitung des Lagebildes zuständige Landeskriminalamt (LKA) spricht von einer „Fokussierung der Clankriminalität auf die Städte des Ruhrgebiets“ und von einer „Konzentration in den Großstädten“.

Die Familiennamen der Clans, die die meisten kriminellen Mitglieder stellen, hat das LKA mit dem jeweiligen Anfangsbuchstaben abgekürzt. Durch diese Anonymisierung, so Reul, sollen nicht ganze Familienverbände kriminalisiert werden.

Die auch in Essen sehr stark vertretene Großfamilie „O“ führt die Statistik danach sowohl bei den Straftaten (803 / 11,3 %) als auch bei den Tatverdächtigen (460 / 12,2 %) mit deutlichem Abstand an.

Rohheitsdelikte (Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, Bedrohungen, Nötigungen und Widerstand gegen Polizeibeamte) kommen bei kriminellen Clan-Mitgliedern am häufigsten vor, gefolgt von Betrugs- und Eigentumsdelikten.

Essener Fallbeispiel handelt von Paralleljustiz, Polizistenbedrohung, Zeugenbeeinflussung

Anhand mehrerer Fallbeispiele verdeutlicht das LKA das kriminelle Vorgehen einzelner Mitglieder bei der „Nutzung krimineller Märkte“. Deutlich gemacht wird dies am Beispiel eines Falls aus Essen, der im vergangenen Jahr bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Der Fall kam ins Rollen mit einer abscheulichen Prügelorgie auf dem Schulhof der Hüttemannschule in Altendorf. Acht junge Männer hatten damals einen 18-Jährigen halbtot geschlagen. Es kam danach zum so genannten „Libanesenprozess“.

Die Ermittlungskommission EK Hütte erhellte den Hintergrund: Zwei türkisch-arabische Großfamilien lagen im Clinch, es ging um Geldforderungen aus offenbar kriminellen Schlüsseldienstgeschäften. Es ist ein komplexer Fall, der zugleich von Paralleljustiz und Friedensrichtern, Respektlosigkeiten gegenüber der Justiz und Bedrohung von Polizisten, Zeugenbeeinflussung und Nötigung im Straßenverkehr handele.