Essen. Die Essener Polizei hat bei der Clan-Razzia beschlagnahmt: vier Luxusautos, 20 Kilo unverzollten Tabak, 21 Geldspielgeräte und 5000 Euro in bar.
Bei der Groß-Razzia zur Bekämpfung der Clankriminalität in Essen hat die Polizei in der Nacht von Samstag auf Sonntag 21 Geld- und Unterhaltungsspielgeräte bei Kontrollen in Wettbüros, Gaststätten, Teestuben und anderen Objekten in Essen und Mülheim sichergestellt. Außerdem ging die Polizei erfolgreich gegen die Raserszene vor: Bei Kontrollen gegen illegale Straßenrennen beschlagnahmte die Polizei vier Autos im Gesamtwert von 412.000 Euro. Allein ein Luxus-Sportwagen vom Typ Audi R8 schlägt mit 250.000 Euro zu Buche.
Um Punkt 21 Uhr rücken die Einsatzkräfte am Samstagabend in Essen zu mehreren Objekten aus. Dasselbe passiert zeitgleich in sieben weiteren Städten im Großraum Ruhrgebiet – in Mülheim, Bochum, Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen, Wuppertal. Nach der ersten landesweiten Groß-Razzia im Januar 2019 ist dies der zweite große Schlag gegen kriminelle Mitglieder libanesisch-arabischer Clans im Ruhrgebiet.
Zum ersten Mal tritt die „Glücksspiel-Einheit“ der Bezirksregierung in Aktion
Unterstützt wird die Essener Polizei von Zoll und Bundespolizei sowie von Beamten der Stadt Essen, der Finanzverwaltung und der Steuerfahndung. Ein Novum: Zum ersten Mal ist die von der Bezirksregierung Düsseldorf aufgestellte Spezialeinheit zur Bekämpfung von illegalem Glücksspiel, Geldwäsche und Steuerhinterziehung mit dabei. „Uns interessiert, wie Schwarzgeld in Weißgeld verwandelt wird“, sagt Regierungspräsidentin Birgitta Rademacher, die früher Polizeipräsidentin in Wuppertal war.
Schon kurz nach 21 Uhr erreichen die Einsatzkräfte den Heinrich-Sense-Weg in Essen-Kray, eine unfreundliche Ecke zwischen Krayer Markt und Bahnhof. Es liegt Unrat und Sperrmüll auf dem Gehweg herum, auf der gegenüberliegenden Straßenseite werben Billig-Werkstätten mit dem „An- und Verkauf von Gebraucht- und Neureifen“.
Betrieben und frequentiert werden die Spieltreffs und Teestuben zumeist von Migranten
Auf einer Strecke von gerade einmal einem halben Kilometer reiht sich Wettbüro an Spieltreff an Teestube an Cocktailbar. Lokale, in denen gezockt, gedaddelt und wohl auch getrickst und getäuscht wird. Es sind fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergurnd, die diese Lokale frequentieren und betreiben. Etliche sprechen kein Deutsch.
Zeitgleich und nahezu überfallartig dringen die Männer und Frauen der Einsatzhundertschaft in diese Lokale ein. Während sich die Uniformierten breitbeinig und mit verschränkten Armen aufbauen, rücken die Spezialisten in Zivil von Bezirksregierung, Finanzamt und Steuerfahndung nach, um in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen. Die Profis der „Glücksspiel-Einheit“ aus Düsseldorf haben geübte Augen, wenn es darum geht, illegale Zockergeräte auszuspähen.
Der Laden in einem Flachbau, ein ehemaliges Geschäft, wirbt im verklebten Schaufenster mit „Bistro - Internet - Café“. Das Licht aus den Neonröhren macht den Raum hell, aber ungemütlich kühl. Vier Gäste an einem Tisch scheinen sich nicht im Geringsten am unerwarteten Besuch der Polizei zu stören. Es ist auch anderswo so: Man gibt sich betont gelassen, ja fast gelangweilt. Erst vor drei Monaten war derselbe Laden Ziel einer Kontrolle.
Im verdeckten Hinterzimmer sitzen Zocker an illegalen Glücksspielgeräten
Über eine meterhohe Treppe erreichen die Einsatzkräfte die Hinterzimmer und reiben ihre Augen. Denn versteckt hinter einer Holzwand mit Spinden stoßen sie auf einen fensterlosen Raum, in dem Gäste an drei illegalen Glücksspielgeräten („Novo“) gerade zocken. Auch ein Pokertisch steht in der Ecke. Als sich NRW-Innenminister Herbert Reul ein Bild vom Einsatz in Essen macht und kurz darauf das Hinterzimmer betritt, sagt er: „Diese verdeckte Nummer hier – sowas kenne ich nur aus dem Kino.“
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Ein paar Schritte weiter verladen Polizeibeamte ein schweres beschlagnahmtes Unterhaltungsspielgerät in einen Lastwagen, dasselbe passiert gegen Mitternacht in der Hubertweiche in einer gut besuchten Cocktailbar unter libanesisch-arabischer Regie. Hier ist das Corpus delicti ein anscheinend illegal aufgestellter Videospieltisch des beliebten Typs „Fun4Four“. Die Fahnder wissen: Durch geringe Software-Manipulationen lassen sich solche Spieltische in Poker- und Roulettetische verwandeln. Geräte, die Gewinne in vier- bis fünfstelliger Höhe abwerfen können“, so der Polizeipräsident.
Innenminister Reul: „Unsere Botschaft an die Clans lautet: Ihr habt keine Ruhe mehr“
Der Innenminister hat die Bekämpfung der Clan-Kriminalität zu seinem Schwerpunkt gemacht. Draußen vor der Zockerbude spricht Reul von „riesigen Erfolgen“, nachdem dreißig Jahre lang weggeschaut worden sei. „Denen, die im Alltag die Städte unsicher machen, zeigen wir: Das ist beendet. Unsere Botschaft an die Clans lautet: Ihr habt keine Ruhe mehr.“ Gleichzeitig bittet Reul, der zuvor in Duisburg war und danach nach Mettmann fährt, die Menschen um Geduld. „Wir fangen Stück für Stück an, das geht nicht auf einen Schlag.“
Drogenhandel, Prostitution und Waffengeschäfte - das sind gemeinhin die Hauptfelder von Clankriminalität. Nun haben die Ermittler verstärkt Straftaten wie illegales Glücksspiel, Geldwäsche und Schutzgelderpressung beim Aufstellen von Glücksspielgeräten auf dem Schirm. „Ein wichtiges Standbein krimineller Clans“, findet Polizeipräsident Frank Richter - und fügt hinzu: „Die Bandbreite möglicher Straftaten zum Erwirtschaften hoher Gewinne ist dabei sehr groß.“
Fazit der Operation in Kray: In den fünf durchsuchten Objekten in Kray werden 21 Spielgeräte bemängelt und davon neun sichergestellt.
Razzia geht nach Mitternacht in der City weiter - zwei Bars werden geschlossen
Beendet ist die Razzia damit immer noch nicht: Nach Mitternacht fahren ein halbes Dutzend Mannschaftswagen bei der einschlägig bekannten Shisha- und Cocktailbar „Tiger Bar“ (früher „Chocolate“) an der Kastanienallee vor. Mitarbeiter des Ordnungsamtes messen die Kohlenmonoxid-Konzentration und verdrehen die Augen. Im Keller glimmen Kohlen für die Wasserpfeifen. Deshalb sind die Räumlichkeiten derart verraucht, dass die Gesundheit der Gäste gefährdet ist. Das Ordnungsamt entscheidet sich um 1.15 Uhr, die Bar dicht zu machen. Zwei Dutzend Gäste zahlen zähneknirschend, einige steigen in ein teures Auto und fahren von dannen. Feuerwehrleute mit Atemschutzmasken löschen das Feuer.
Gegen 1.30 Uhr schließlich überprüfen die Einsatzkräfte zwei Clubs in der Innenstadt, in denen sich jeweils etwa 100 Besucher befinden. Wieder wird ein Club vom Ordnungsamt geschlossen – dieses Mal wegen erheblicher Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung. Im zweiten Club schreiben die Ordnungsamts-Mitarbeiter drei Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten, ebenfalls gegen die Corona-Auflagen.
Schauplätze illegaler Straßenrennen in Essen sind in dieser Nacht auf der Gladbecker Straße (zwei Mal) und der Grillostraße sowie An der Reichsbank. Neben dem R8 wurde ein AMG Mercedes im Wert von 90.000 Euro sichergestellt, ebenso die Führerscheine der mutmaßlichen Raser.
Polizei spricht von „bedeutendem Schlag gegen Clankriminalität“
Die Zusammenfassung in Zahlen: In dieser langen Nacht stellt die Essener Polizei vier Pkw, 21 Geld- und Unterhaltungsspielgeräte, 20 kg unverzollten Tabak, etwa 5000 Euro Bargeld und geringe Mengen Marihuana sichert. Die Polizei allein legte 39 Strafanzeigen, 62 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen und 19 Anzeigen wegen Verkehrsverstößen vor. Die Beamten erhoben 85 Verwarnungsgelder und unterstützten bei drei Betriebsschließungen.
Polizeisprecher Thomas Weise spricht von einem „bedeutenden Schlag gegen die Clankriminalität: „Wenn alle beteiligten Behörden ihre Ermittlungen in den nächsten Tagen ausgewertet haben, dürfte der Erfolg dieses Großeinsatzes sogar noch größer ausfallen.“
So haben wir über die Razzien in den anderen Städten berichtet: