Essen. Der neue Fischlift am Baldeneysee in Essen besteht seinen Praxistest: Kleine wie große Fische nutzen die 6,8 Millionen Euro teure Anlage
Es ist ein Fisch. Aber was für einer? Die Silhouette, die für einen kurzen Augenblick an der mit Algen bewachsenen Scheibe aufgetaucht war, ist schon wieder verschwunden. Wie bei einem schlecht gepflegten Aquarium geht der Blick ins Trübe. Aber das soll sich bald ändern, kündigt Markus Rüdel, Sprecher des Ruhrverbandes an. „Scheibenwischer sind bestellt.“
Es sind Details wie dieses, an denen sie am Fischlift am Baldeneysee noch arbeiten. Der Aufzug aber, mit dessen Hilfe Fische den knapp neun Meter großen Höhenunterschied zwischen der Ruhr in Werden und dem Baldeneysee überwinden sollen, funktioniert. Was Wissenschaftler an den Universitäten in Karlsruhe und Darmstadt in ihren Laboren ausgetüftelt haben, hat den Praxistest bislang bestanden.
Seit drei Wochen läuft der 6,8 Millionen Euro teure Prototyp im Probebetrieb. Jede Menge Rotaugen, Grundeln und Barsche sind schon zugestiegen, berichtet Andreas Hoffmann vom Büro für Umweltplanung, Gewässermanagement und Fischerei, der den Lift im Auftrag des Ruhrverbandes quasi einfährt.
Sogar ein kapitaler Wels wurde schon gesichtet
Auch ein kapitaler Wels wurde schon gesichtet. Ob der 1,40 Meter lange Raubfisch tatsächlich mit dem Aufzug gefahren ist, dessen ist der Biologe sich nicht sicher. Aufgetaucht war er in einer Box am Ende der sogenannten Schwimm-Rinne, welche die Fische hinter sich lassen müssen, wollen sie nach dem Aufstieg in den Baldeneysee gelangen. Dabei werden sie von Kameras aufgenommen. Möglicherweise hatte sich der Räuber auf der Suche nach Beute auch nur in die Box verirrt, mutmaßt Andreas Hoffmann.
Fragen wie diese will der Ruhrverband spätestens nach Ende einer einjährigen Testphase präzise beantworten können. Welche Fischarten wandern mit Hilfe des Aufzugs weiter flussaufwärts? In welcher Zahl? Und unter welchen Bedingungen?
Aktuell senkt sich eine der beiden Kabinen alle 20 Minuten ab, damit Fische unterhalb des Wehres hineinschwimmen können. Die zweite Kabine bleibt oben, so dass den Passagieren eine Tür immer offen steht. In Zukunft soll der Lift „nach Bedarf“ fahren - im Winter vielleicht nur ein oder zwei Mal am Tag. Zur Laichzeit, wenn die Fische wandern, könnte es ein ständiges Auf und Ab werden - computergesteuert und von Videokameras und Sonargeräten überwacht.
Im Aufzug am Baldeneysee finden ganze Fischschwärme Platz
Jede Kabine misst 2,40 Meter in der Höhe und 2,85 Meter im Durchmesser. Ganze Schwärme finden darin Platz. Sollte ein Hecht oder andere Raubfisch zusteigen, wird sich der Lift umgehend in Bewegung setzen, so Andreas Hoffmann. Seine Mahlzeit will man nicht auf dem Silbertablett servieren.
Angelockt werden die Fische durch die Strömung. Wie schnell das Wasser idealerweise fließen muss, auch das wird derzeit getestet. „Fische haben Seitenlinienorgane. Mit deren Hilfe können sie die Strömung erfassen. Die Zellen registrieren den Druck.“ So könnte ein Haifisch den menschlichen Herzschlag noch auf 50 Meter Entfernung spüren, erläutert Andreas Hoffmann. Wer ihm zuhört, wird umso erleichterter sein, dass es im Baldeneysee keine Süßwasser-Haie gibt.
Der Lachs soll eines Tages mit Hilfe des Fischlifts zurück in den Deilbach kehren
Die dort verbreiteten Arten will der Ruhrverband genauer unter die Lupe nehmen. 2500 Tiere sollen gekennzeichnet werden, um herauszufinden, wie oft die Fische mit Hilfe des Lifts flussaufwärts und -abwärts schwimmen. Fische, Algen und Kleinstlebewesen seien Indikatoren, die Aufschluss über den Zustand des Ökosystems geben. Noch werden im Baldeneysee alle drei bis vier Jahre Jungfische eingesetzt. Das, so hoffen sie beim Ruhrverband, kann man sich in Zukunft sparen. Und möglicherweise kehrt sogar der Lachs zurück in sein Laichgebiet im Deilbach.
Die EU verlangt, dass europaweit alle Gewässer bis 2027 in einem guten Zustand sind, betont Markus Rüdel. Laut Wasserrahmenrichtlinie müssen Flüsse für Fische passierbar sein. Der Ruhrverband trägt mit finanzieller Unterstützung des Landes seinen Teil dazu bei. Wenn im Beobachtungsraum des Fischlifts erst einmal wieder klare Sicht herrscht, wird das nicht zu übersehen sein.
Für die Kostenexplosion nennt der Ruhrverband eine Reihe von Gründen
Mit Kosten in Höhe von 6,8 Millionen Euro ist der Fischlift am Stauwehr des Baldeneysees deutlich teurer geworden als kalkuliert. Der Ruhrverband war von 4,5 Millionen ausgegangen. 2013 hatte der Wasserversorger zwei Millionen Euro genannt, dies allerdings auf Basis von Vorplanungen, so Verbandssprecher Markus Rüdel.
Dass die Kosten derart in die Höhe schossen, hat laut Rüdel mehrere Gründe: Die Bauwirtschaft hat Konjunktur. Die Preise für Beton- und Stahlbau lagen deshalb 30 bis 40 Prozent über der Kalkulation. Durch Hochwasser verlängerte sich die Bauzeit, auf einen Spezialkran habe man fast vier Monate warten müssen. Die Arbeiten an dem nunmehr fast 90 Jahre alten Stauwehr gestalteten sich auch deshalb als schwierig. Nicht zu vergessen: „Es handelt sich um einen Prototyp“, betont Rüdel. Möglicherweise tat sich der Ruhrverband auch deshalb schwer, überhaupt Unternehmen zu finden, die den Auftrag übernehmen wollten.
In zwei Jahren könnten die Bauarbeiten für einen Fischlift in Kettwig beginnen
„Wir haben jetzt mehr Erfahrung. Wir wissen, wie so etwas gebaut werden muss“, sagt Rüdel. Das dürfte von Vorteil sein. Schließlich plant der Ruhrverband einen weiteren Fischlift. In zwei Jahren könnten die Arbeiten beginnen, dann am Stauwehr in Kettwig. Wie am Baldeneysee fehlt auch dort für eine konventionelle Fischtreppe der nötige Platz.
Fest steht: Der finanzielle Eigenanteil, den der Ruhrverband dann stemmen muss, wird höher sein. An den Kosten für den Fischlift am Baldeneysee beteiligte sich das Land zu 80 Prozent, da es sich um ein bis dahin einmaliges Vorhaben handelte. Den Fischlift in Kettwig wird NRW nur noch zu 50 Prozent fördern.
Finanziert wird der Bau aus der Abwasserabgabe. Aus jenem zweckgebundenen Betrag, den Kommunen, Zweckverbände sowie Gewerbe- und landwirtschaftliche Betriebe für die Einleitung von Abwasser in Gewässer entrichten müssen.
Für Fische in der Ruhr ist das Stauwehr in Kettwig die vorletzte Hürde. Bei der letzten Hürde handelt es sich um das Ruhrwehr in Duisburg. Zuständig dort ist die Bezirksregierung Düsseldorf. Planungen für den Bau einer Fischtreppe laufen, so Rüdel. In drei bis vier Jahren soll die Treppe stehen.