Essen. Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahre 2015 geht ein Riss durchs Land. Eine Essenerin berichtet, warum sie zur AfD gewechselt ist.

„Noch“, sagt Stefanie Brecklinghaus, sei es relativ ruhig, „aber das wird sich wohl bald ändern“. Als die 59-Jährige sich Mitte Juni zum Gespräch mit unserer Redaktion verabredet, um zu erklären, welchen Einfluss die Flüchtlingskrise von 2015 auf ihr Leben hatte, wissen noch nicht viele, dass sie für den Rat der Stadt Essen kandidieren wird - und noch weniger wissen, für welche Partei.

Stefanie Brecklinghaus – vielen Essenern als Geschäftsfrau und Familienmitglied der angesehenen Kaufleute-Dynastie Brecklinghaus bekannt – tritt für die Alternative für Deutschland (AfD) an.

Mit der Ruhe ist es dann auch tatsächlich vorbei, nachdem die Rüttenscheiderin ihr Vorhaben öffentlich macht, für „meinen Stadtteil“ anzutreten, wie sie sagt. Im Internet hagelt es Kritik und Hohn, Brecklinghaus wird wegen ihrer AfD-Mitgliedschaft als „dumm“ beschimpft. „Diese braunen Socken von der AfD braucht keiner und sie gehören verboten“, quittiert einer das Vorhaben der 59-Jährigen. Und neben der lauten Kritik dürfte es auch viel leises Befremden geben.

Mit Anfeindungen wegen AfD-Mitgliedschaft gerechnet

Die Botschaften, die ihr Mut machen sollen, gibt es auch, aber es sind deutlich weniger. „Ich war entsetzt und überrascht zugleich“, gibt Brecklinghaus zu, obwohl sie durchaus auch mit Anfeindungen gerechnet habe.

Umso mehr drängt sich die Frage auf, welche Motivation jemand mit einem gewissen lokalem Bekanntheitsgrad hat, sich öffentlich zur AfD zu bekennen, wenn damit zu rechnen ist, fortan von vielen geschnitten zu werden?

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Denn obgleich Stefanie Brecklinghaus darauf besteht, dass die AfD eine Partei sei wie jede andere, die das „Recht auf eine eigene Meinung hat“, so dürfte es kaum dem Zufall geschuldet sein, dass ihre Mitgliedschaft erst bekannt wurde, nachdem sie ihr Second-Hand-Geschäft in Rüttenscheid an ihre Nachfolgerin übergeben hatte.

Stefanie Brecklinghaus bestreitet einen Zusammenhang: Sie habe als Geschäftsfrau in Rüttenscheid um nichts fürchten müssen, schon weil sie berufliche, private und politische Interessen immer voneinander getrennt habe. Bleibt die Frage, ob alle Kunden diese Trennung mit vollzogen hätten. Wer die Kommentare in sozialen Netzwerken liest, darf daran Zweifel haben.

Gleichwohl, das gibt die 59-Jährige zu, habe es in ihrem Freundeskreis Menschen gegeben, die sich gesorgt und die gefragt hätten, „begibst du dich nicht in Gefahr, wenn du dich für die AfD stark machst“. Gemieden hätte sie wegen ihrer politischen Ansichten indes niemanden. „Ich habe mit mit meinen Freunden und meiner Familie viel darüber gesprochen. Alle akzeptieren es. Das bedeutet nicht, dass sie deshalb auch die AfD wählen, aber wirklich niemand hat mich deshalb blöd angemacht“, beteuert Brecklinghaus.

Auch im Vorstand der Essener Funken, dem Brecklinghaus angehört, akzeptiere man ihr Ansinnen. „Wir haben kontrovers darüber diskutiert, aber schlussendlich geht es ja im Karneval auch genau darum: Um Akzeptanz gegenüber allen, die mitmachen wollen“, sagt die Närrin und Kandidatin der Rechtsaußenpartei.

Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung

Und wie steht es mit ihrer Akzeptanz gegenüber allen, die in dieser Gesellschaft mitmachen wollen?

Schon vor Jahren trat Brecklinghaus mit ihrem Second-Hand-Shop die Flucht von der Steeler Straße an und zog nach Rüttenscheid. Das „Publikum“, wie sie es nannte, gefiel ihr nicht mehr in Huttrop. Manch einer, der die 59-Jährige schon länger kennt, sagt ihr eine ausgeprägte Ausländerfeindlichkeit nach, die sich in den vergangenen Jahre entwickelt hätte, wogegen Brecklinghaus deutlich widerspricht.

Kritik an der Asylpolitik - Wechsel von der CDU zur AfD

Beirren lässt sich die drahtige Frau davon gleichwohl nicht. Die 59-Jährige hat das Stadtverordnetenmandat vor Augen und neben der Rüttenscheid-eigenen Agenda vor allem ein Thema, das sie antreibt:

„Vor zweieinhalb Jahren bin ich aus der CDU aus- und in die AfD eingetreten, weil neben der Finanz-, Europa- auch die Asylpolitik der Regierung nicht mehr hinnehmbar ist“, so Brecklinghaus. Dabei könne sie jeden verstehen, der nach Deutschland käme, um hier etwa vom Sozialstaat zu profitieren. Ihre Kritik richte sich gegen die politisch Verantwortlichen, nicht gegen Flüchtlinge und Migranten per se, betont Brecklinghaus.

„Ich habe das Parteiprogramm der AfD genau studiert und festgestellt, dass es inhaltlich kaum Unterschiede zu dem der früheren CDU gibt“, begründet Brecklinghaus ihren Parteiwechsel. Ihr Fazit: „Radikale und extremistische Inhalte sind im Parteiprogramm nicht zu finden.“

„Die AfD ist keine extremistische Partei“

Dabei muss auch sie zur Kenntnis nehmen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz der AfD in Teilen „rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ attestiert, dass immer wieder führende Köpfe der Partei Straftaten von Migranten durch Pauschalisierungen instrumentalisieren und nach Ansicht von Kritikern so Ressentiments gegen Ausländer und Flüchtlinge – vornehmlich aus muslimisch geprägten Ländern – schüren.

Doch die 59-Jährige geht darüber hinweg, zieht sich auf das „unbedenkliche Parteiprogramm“ zurück: Das sei für sie ausschlaggebend. „Falsches Verhalten von einzelnen Parteimitgliedern gibt es in allen Parteien. Dadurch ändern sich aber nicht das Parteiprogramm und die politischen Ziele.“

Zu diesem Programm gehört, dass die AfD eine weitere Zuwanderung größtenteils unterbinden und kriminell gewordene Zuwanderer abschieben möchte. Brecklinghaus findet sich hier wieder: „Die langfristigen gesellschaftlichen Veränderungen der Flüchtlingskrise beinhalten zahlreiche Negativentwicklungen. Die AfD hat durchaus das Recht, anders als andere Parteien über die Flüchtlingspolitik zu denken.“

„AfD nimmt Ängste der Menschen ernst“

Die AfD nehme das Unbehagen vieler Menschen eben ernst, die sich in Deutschland und eben auch in Essen nicht mehr sicher fühlten. „Das Sicherheitsgefühl in vielen Stadtteilen ist gesunken, die Ghettobildung steigt in vielen Wohnvierteln unserer Stadt“, erklärt die 59-Jährige. Es ist eine Beobachtung, die auch andere noch teilen dürften.

Doch dann bedient auch Brecklinghaus Ressentiments gegen Flüchtlinge: „Viele Folgen der Massenmigration von 2015 sind doch bekannt. So hat es etliche Mordtaten durch diesen Personenkreis gegeben. Außerdem ist eine deutliche Zahl der Messerüberfälle und Vergewaltigungsdelikte durch Migranten festzustellen.“ Konkrete Fallzahlen und die Erklärung, welche Bedeutung die Herkunft eines Täters für die Tat haben soll, bleibt sie indes schuldig.

„Viel Zuspruch von Freunden und Bekannten“

Es gehört zum Erfolgsrezept der AfD, das diffuse Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung mit einer behaupteten Kriminalitätssteigerung zu vermengen. Dabei haben Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum erst dieser Tage wieder betont: „Die Kriminalität durch Ausländer wird seit der Flüchtlingskrise von der Bevölkerung deutlich überschätzt“. Die gefühlte Bedrohung und die Angst vor Überfremdung seien gewachsen, während amtliche Statistiken dafür keinen Anlass gäben.

Brecklinghaus sieht das anders und fühlt sich nicht zuletzt auch von den jüngsten Ausschreitungen in Frankfurt bestätigt, bei denen vorwiegend junge Menschen mit Migrationshintergrund für den Gewaltausbruch verantwortlich sein sollen: „In Relation zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung ist die Kriminalitätsrate unter Ausländern hoch. Das ist eine der zahlreichen gesellschaftlichen Negativentwicklungen durch die Flüchtlingskrise“, sagt sie, ohne jedoch weitere Probleme konkret zu benennen.

Dafür, dass sie das ausspreche, was viele empfänden, ernte Brecklinghaus nach eigener Aussage viel Zuspruch von ihren Freunden und Bekannten. Noch habe sie keine Beschimpfungen erlebt, weshalb sie auch überzeugt ist, dass das AfD-Engagement ihrem Ansehen in Rüttenscheid keinen Abbruch getan habe: „Wenn mir von meinen 700 Facebook-Freunden einer entfolgt ist, dann sind drei neue dazugekommen“, sagt Brecklinghaus.