Essen. Essener Clubs wie Musikpalette und Turock versuchen sich mit Rücklagen und Crowdfunding über Wasser zu halten. Doch die Existenzsorgen wachsen.

„24 Jahre voller, lauter, heißer.“ Der Satz, den sich die Musikpalette im vergangenen Jahr noch auf die Hausfront geschrieben hatte, steht inzwischen für das Dilemma der Essener Kult-Disco. Voll, laut, heiß: drei Begriffe, die mit dem Corona-Virus in etwa so gut harmonieren wie Null-Diät mit Sahnetorte.

Dabei haben die Begriffe Scharen von Essener Jugendlichen seit rund einem Vierteljahrhundert in das einstige Kino Filmpalette gelockt, das Klaus Koch und Kompagnon Frank Siebers Anfang der 1990er Jahre zur Musikpalette umgebaut haben. Der Schriftzug von einst leuchtet bis heute. Doch für die Zukunft der traditionsreichen Ausgeh-Adresse sieht es seit Ausbruch der Corona-Pandemie düster aus.

Großdisco Delta stellt Probelauf schon wieder ein: „Es hat nicht funktioniert“

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Und nicht nur die Mupa-Betreiber sehen ungewissen Zeiten entgegen. Denn trotz verschiedener Lockerungen vom Lockdown dürften die Clubs und Diskotheken wohl am längsten unter der Krise leiden. Ausgelassene Partystimmung, Alkohol und Nähe, das will nun mal so gar nicht passen zum Gebot des „Social Distancing“.

Auch der Delta Musikpark will einen Probelauf mit nur 150 Gästen und festen Tischreservierungen nach drei Abenden schon wieder einstellen. Die Resonanz sei nicht so, „dass es Sinn macht“, sagt Roman Weiler, Geschäftsführer der Großdisco an der Altendorfer Straße, in der sonst ein paar tausend Gäste pro Abend zum Feiern kommen. „Wir haben es probiert, aber es hat nicht funktioniert.“

Die Geschäftsführer der Musikpalette, Klaus Koch (li.) und Frank Siebers, hoffen, dass Essens Kult-Disco eine Zukunft hat.
Die Geschäftsführer der Musikpalette, Klaus Koch (li.) und Frank Siebers, hoffen, dass Essens Kult-Disco eine Zukunft hat. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Seit Mitte März hat das Corona-Virus das Partyleben in der Republik auf Null gestellt. Und auch in Essen stehen die Nachtschwärmer seither vor verschlossenen Türen. Wie lange der Lockdown noch dauert, mag niemand absehen. Im Grunde rechnet kein Betreiber damit, seinen Club in diesem Jahr noch einmal aufzuschließen.

Und dann? „Das Schlimmste ist die Ungewissheit“, sagt Klaus Koch. Mit mittlerweile 69 Jahren ist der Mupa-Betreiber so etwas wie der Elder Statesman der Clubszene. Er hat Trends kommen und gehen sehen, die ersten Abi-Feten der Stadt Mitte der 1990er ausgerichtet und Essens langlebigste inhabergeführte Ausgeh-Adresse zu einer Partylocation für Generationen von Teenagern gemacht, die hier sonst freitags und samstags die Nächte durchtanzen.

Betreiber der Musikpalette wollen nicht aufgeben: „Irgendwie muss es weitergehen“

Die ersten Gäste haben schon besorgt nachgefragt, ob der Club mitten in der City demnächst endgültig zumacht. Doch Siebers und Koch wollen den Kopf nicht in den Sand stecken: „Irgendwie muss es weitergehen.“ Die Mupa sei nun mal ihr Kind. Was sich Anfang der 1990er aus einer Bierlaune heraus entwickelt hat, ist zu einer Art Familienbetrieb geworden. Etliche Aushilfskräfte sind seit Jahren dabei und müssen nun auf ihr regelmäßiges Zubrot verzichten. Den Laden zumindest für ein paar wenige Nachteulen zu öffnen, würde sich nicht rechnen, sagt Koch. „Schon die Klimaanlage anzustellen, kostet und einen Türsteher brauchen wir auch.“

Noch gibt es finanzielle Reserven und die Hoffnung auf staatliche Unternehmenshilfe. Es hat eine vom Rockförderverein initiierte Gesprächsrunde im Rathaus gegeben, OB Kufen hat sogar persönlich in der Mupa vorbei geschaut. Auch der Hausbesitzer zeige sich entgegenkommend und hat die Miete teilweise gestundet, berichten die beiden.

Aber selbst bei reduzierten Festkosten würden sich die Ausgaben nun mal über Monate zu einem riesigen Batzen summieren, gibt Koch zu bedenken. Die Rücklagen reichen nicht ewig. Und ob man sich im reifen Alter noch mal ein KfW-Darlehn ans Bein binden will, steht auf einem anderen Blatt. Mit dem Renovieren lassen sich Koch und Siebers deshalb vorsichtshalber noch ein bisschen Zeit.

Heavy-Metal-Club verwandelt sich in einen Kunstraum

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Auch Peter Siewert vom Turock dreht jeden Cent derzeit zweimal um. „Wir standen ja gut da“, sagt der 46-Jährige. Das Turock ist seit mehr als 15 Jahren ein angesagter Treffpunkt für Rock- und Metalfans, das jährliche Turock-Festival eine Institution. Und auch in Zeiten der Krise sei die Solidarität groß.

Turock-Chef Peter Siewert hat seinen Club für Künstler freigeräumt, die sonst auf Metal-Festivals zu sehen wären.
Turock-Chef Peter Siewert hat seinen Club für Künstler freigeräumt, die sonst auf Metal-Festivals zu sehen wären. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Der Verkauf von „We will Survive“-T-Shirts und andere Crowdfunding-Aktionen habe eine Woge der Unterstützung ausgelöst. „Ich war echt gerührt“, sagt Siewert. Und auch bei der Antragstellung für Mittel aus dem Sonderfonds Kultur war der Nordstadt-Wirt erfolgreich. Weil der städtische Nothilfetopf vor allem konkrete Projekte unterstützen soll, hat Siewert seinen Club derzeit in eine Art Kunstraum verwandelt. Unter dem Motto „Painted in Blood“ sind dort Arbeiten zu sehen, die sonst momentan auf Metal-Festivals wie Wacken ausgestellt würden.

Mit den 3000 Euro aus dem Fonds habe man zumindest den Aufbau der Schau, ein kleines Künstlerhonorar und die Stromkosten zahlen können, sagt Siewert. Doch mit all den Aktionen seien die monatlichen Betriebskosten von über 15.000 Euro nicht mal ansatzweise abgedeckt. Und die Biergarten-Saison, mit der Siewert zumindest einen Teil der Ausfälle kompensieren kann, dauert auch nicht ewig. „Wir kommen schon ins nächste Jahr“, gibt sich der 46-Jährige zuversichtlich. Doch auch 2021 dürfte die alte Normalität noch auf sich warten lassen. „Bis wir wieder regulär öffnen können“, prognostiziert der Turock-Chef, „vergeht mindestens noch ein Jahr.“