Essen. Essen: 500.000 Euro sollen Künstlern und Kultureinrichtungen durch die Krise helfen. Auch Betreiber von Clubs und Konzertstätten rufen nach Hilfe
In vielen Kultureinrichtungen stapeln sich derzeit die frischgedruckten Spielpläne. Ob sie aufgrund der strengen Corona-Auflagen stattfinden können, steht auf einem anderen Papier. Die Programme, die für viele Kulturschaffende derzeit wohl am relevantesten sind, sind deshalb die Hilfsprogramme. Bund und Land haben Sofortprogramme aufgelegt, um die Folgen der Pandemie für die Kunst- und Kultureinrichtungen abzuschwächen. Doch viele Akteure der freien Szene dürften davon nur in geringem Maße profitieren. Umso mehr ruhen in Essen die Hoffnungen auf dem „Corona Sonderfonds Kultur“, mit dem die Stadt die in ihrer Existenz bedrohten Einrichtungen, Vereine und Künstler unterstützen will. Schon jetzt aber zeichnet sich ab: Das Gerangel um die Mittel wird absehbar groß.
In der Kulturszene kommt das Signal gut an
Oberbürgermeister Thomas Kufen hat den Notfonds in Höhe von 500.000 Euro bereits Ende April in Aussicht gestellt, am 27. Mai wird der Rat über die konkrete Ausgestaltung entscheiden. In der Kulturszene kommt das Signal gut an, nachdem die von Kämmerer Gerhard Grabenkamp verhängte Haushaltssperre zunächst für extreme Verunsicherung gesorgt hatte. Doch viele fragen: Wie und an wen wird das Geld verteilt?
Das von Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain vorgestellte Papier sieht Zuschüsse zwischen 1000 und 10.000 Euro vor. Unterstützt werden sollen damit zunächst die bereits institutionell geförderten Einrichtungen, die mithilfe des Sonderfonds besser durch die Krise kommen sollen. Längst haben die Folgen des Lockdowns für die freien Theater, privaten Konzertstätten oder Kunstvereine dramatische Auswirkungen, da viele wegen ihrer Gemeinnützigkeit keine Rücklagen bilden konnten. „Es geht ans Eingemachte“, weiß Muchtar Al Ghusain.
Ebenfalls durch den Notfonds unterstützt werden sollen bereits bewilligte Projekte, die aufgrund der Corona-Pandemie derzeit gar nicht oder nur anders durchgeführt werden können. Und schließlich sollen auch Antragsteller im Rahmen von Einzelfallentscheidungen berücksichtigt werden, die bislang keiner Förderrichtlinie entsprachen.
Corona-Krise bedroht auch die Konzertstätten, Clubs und Diskotheken der Stadt
Doch wie weit wird der Förderkreis gezogen? Sollen am Ende auch kommerzielle Betreiber von Privattheatern profitieren, was bislang nicht vorgesehen war? Und was ist mit der privatwirtschaftlichen Veranstalterszene, den Konzertstätten, Clubs und Diskotheken, die wohl noch eine ganze Weile auf eine Wiederöffnung warten dürften, bislang aber nicht mit öffentlichen Fördermitteln bedacht wurden?
In einem offenen Brief des Rockfördervereins Essen e.V., zu dessen Unterzeichnern unter anderem die Betreiber von Turock, Goethebunker, Hotel Shanghai und Delta Musik Park gehören, wird die Politik dieser Tage eindringlich zum Handeln aufgefordert. Mit über 2000 Veranstaltungen und mehreren hunderttausend Besuchern sei man nicht nur ein bedeutsamer Publikumsmagnet und Wirtschaftsfaktor, sondern auch extrem wichtig für die urbane Stadtentwicklung. Die Populärkultur, so heißt es, sei letztlich ein „modernes Lagerfeuer“ für Menschen unterschiedlicher Schichten und jeden Alters. Ohne diese Zusammenkünfte werde es „merklich kälter und einsamer“ in der Stadt werden. Viele sehen in diesem Bereich allerdings eher die Wirtschaftsförderung in der Pflicht
Werden nach dem Lockdown also nun auch die Kriterien für öffentliche Kulturförderung gelockert? „Wir wollen möglichst frei agieren“, verspricht Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain. Er sieht den Fonds ohnehin nicht so sehr als Rettungspaket für laufende Kosten, sondern auch als Impulsgeber für die Produktion von Kunst und Kultur. Heißt: Wer Einnahmeausfälle von mindestens 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr oder Kostensteigerungen im gleichen nachweisen kann, sollte in seinem Antrag am besten auch neue Ideen für die Umsetzung der Projekte mitliefern. So könnten Mittel aus dem Sonderfonds beispielsweise für Arbeitsstipendien, Kompositionsaufträge oder die Entwicklung innovativer Kulturformate fließen.
„Selbst der größte Fonds wird nicht alle Probleme lösen können“
Hilfsmittel sollen rasch fließen
Weil die Mittel möglichst rasch bei den Empfängern landen sollen, wird über die Anträge nicht in den politischen Gremien, sondern im Kulturamt entschieden.
Die Förderung durch den Sonderfonds ist außerdem subsidiär, das heißt, dass zunächst Unterstützungen von Bund und Land greifen sollen.
Sollten andere Förderprogramme oder Leistungen die geltend gemachten Kosten zu einem späteren Zeitpunkt ausgleichen, müssen Strukturhilfen gegebenenfalls auch wieder zurückgezahlt werden.
Aber was ist angesichts der strengen Corona-Auflagen planbar und in welchem Zeitraum? Schließlich sollen die Mittel schnell fließen, wie es beispielsweise die FDP fordert. Aber man will das Geld auch nicht auf einen Schlag ausgeben. Keiner weiß ja, wie lange die Folgen der Pandemie noch andauern. Ohnehin, sagt Kulturdezernent Al Ghusain, sei der Sonderfonds „ein Zeichen der Wertschätzung und Unterstützung, welcher nicht an seinem finanziellen Umfang bemessen werden darf, denn selbst der größte Fonds wird nicht alle Probleme lösen können“.
Wie tief die Einschnitte angesichts der desolaten Haushaltslage künftig noch werden können, mag momentan niemand absehen. Schon jetzt wurden die 500.000 Euro für den Fonds nicht „on top“ bereitgestellt, sondern durch coronabedingt nicht benötigte Budgetmitteln aus dem laufenden Kulturetat bereitgestellt. Als deutliches Signal, „dass der Fortbestand des vielfältigen Kulturlebens im besonderen allgemeinen Interesse liegt“ heißt es in der Ratsvorlage. Wirklich retten dürfte die Kreativen auf lange Sicht aber nur eines: Dass die freiwillige Leistung Kultur endlich zur Pflichtaufgabe wird.