Die Corona-Krise hat die Kulturszene mit Wucht erwischt. Vor allem die Künstler der freien Szene sehen durch Absagen ihre Existenz bedroht.
Bühnen schließen, Besucher bleiben weg, Veranstaltungen werden verschoben, oft um Monate: Das Corona-Virus hat die Kulturszene erfasst. In die Schlagzeilen schaffen es vor allem die Großen: die Opernhäuser, die Philharmonien, die traditionsreichen Theater. Dabei geraten vor allem die Kleinen in echte Existenznöte: Kabarettisten, die vom Abendhonorar leben, Schriftsteller, deren Hauptverdienst die Lese-Reise ausmachen. Oder Musiker, Poetry-Slammer, die schlicht an den Einnahmen des Abends beteiligt werden. Wenn der Abend stattfindet.
Petition sammelte schon 30.000 Unterschriften im Internet
Seit wenigen Tagen – Stunden, müsste man eher sagen – aber machen die Künstler mobil. Über 30.000 Unterschriften hat die Petition „Hilfe für Freiberufler und Künstler während des Corona-Shutdowns“ allein am Donnerstag gesammelt. Der Deutsche Kulturrat fordert die - für die Kulturfördermittel zuständigen - Bundesländer auf, einen Notfonds für selbständige Künstler einzurichten. Und selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich in die Debatte eingemischt: Betroffene könnten „sich darauf verlassen, gerade mit Blick auf die Lebenssituationen und Produktionsbedingungen der Kultur-, Kreativ- und Medienbranche: Ich lasse sie nicht im Stich“, sagte Grütters in Berlin.
„Es geht an die Substanz“, warnt Kabarettist Martin Kaysh
„Es geht an die Substanz“, warnt Kabarettist Martin Kaysh, einer der Macher des Dortmunder Geierabends und bestens vernetzt in der Szene der rund 50 freien Kabarettistinnen und Kabarettisten im Ruhrgebiet, in einem flammenden Facebook-Beitrag. „Gerade diese freien Schauspieler, die an kleinen Theatern für 150 Euro am Abend spielen, die Normalo-Kleinkünstler, die nur vom Anteil an der Abendkasse leben, haben nicht zum Spaß knapp kalkuliert. Da gibt es keine Rücklage, keinen Überbrückungskredit, kein Aufweichen ins Homeoffice.“
Hennes Bender: Gerade die kleinen Theater sind gefährdet
So „absolut nachvollziehbar“ die meisten in der Szene die Sorge um die Gesundheit ihres Publikums und die damit verbundenen Absagen finden, so verheerend wirken sie sich doch aus. Kabarettist Hennes Bender verweist auf die vielfältigen Verflechtungen und Verbindlichkeiten: „Gerade die kleineren, freien Theater, die keine städtischen Zuschüsse bekommen, sind jetzt gefährdet. Die müssen doch trotzdem ihre Techniker bezahlen, die Werbemittel, die Druckkosten. Die Leute hören, Hennes Bender ist abgesagt! Und denken dann, der arme Hennes Bender. Aber es geht nicht nur um mich alleine.“ Es geht um Existenzen, von deren Existenz der durchschnittliche Zuschauer ja kaum etwas ahnt: „Die Agenten zum Beispiel, die sind prozentual an den Honoraren beteiligt – wenn alle Veranstaltungen ausfallen, bekommen die gar nichts.“
Wer zahlt, wenn das freie Theater nicht mehr für Schulen spielen kann?
Seit über 30 Jahren spielt eine Schauspielerin aus dem Ruhrgebiet gemeinsam mit ihrem Ehemann Theater für und an Schulen, bisher eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Jetzt aber möchte sie ihren Namen an dieser Stelle lieber nicht verraten. An diesem Samstag feiert das neue Stück Premiere, das Land NRW aber hat Schulausflüge verboten – und nun? „Wenn die Schulen nicht auf Klassenfahrt gehen können, werden die Kosten ja auch vom Land übernommen“, meint die Schauspielerin. „Wir leben von unseren Einnahmen.“
Schauspieler Till Beckmann: „Es wird schon irgendwie gehen!“
Schauspieler Till Beckmann hat soeben am Stadttheater Duisburg Premiere gefeiert („Einer und Eine“) - ob die weiteren Vorstellungen stattfinden, ist indes noch offen, und bezahlt wird pro Abend. In der kommenden Woche beginnen die Proben für eine Produktion im Rahmen der Fidena, „da ist das Probenhonorar auf jeden Fall gesichert“. Ein Abend im Literaturhaus Herne hingegen wurde verschoben. Am Donnerstagnachmittag saß er bereits im ICE nach Berlin, als die Absagen für zwei Auftritte am Freitag und Samstag kamen. Wie das jetzt wohl mit den Reisekosten ist, für die Beckmann in Vorleistung ging? Das wird noch zu klären sein. „Wenn sich die Absagen häufen, wird es schwierig. Bei den meisten Freischaffenden sind die Finanzen auf Kante genäht, ich habe keinen Notgroschen irgendwo versteckt.“ Oft seien die Beziehungen zu Veranstaltern sehr persönlich, die Absprachen locker, „das sind Vertrauensfragen“ - was auch bedeutet, dass Till Beckmann selten darauf besteht, ein Ausfallhonorar zu vereinbaren. „Aber es gibt auch nette Auftraggeber, die mir bestimmt etwas vorschießen würden. Es wird schon irgendwie gehen!“
Poetry-Slam-Agentur „Wortlaut Ruhr“ ist gegen Ausfall nicht versichert
Dieses Es-wird-schon, das Hoffen auf Solidarität und Gemeinschaft: Das ist in vielen Gesprächen mit freischaffenden Künstlern im Ruhrgebiet zu spüren. Chris Wawrzyniak ist einer der Mitarbeiter der in Herne beheimateten Slam-Poetry-Agentur „Wortlaut Ruhr“, die rund 15 Veranstaltungen im Monate im Ruhrgebiet organisiert. Er sieht eine „mögliche existenzielle Bedrohung“ für die Slam-Szene, die eine größten der Bundesrepublik ist: Immerhin rund 100 freiberufliche Slammer zählt das Revier. „Wir überlegen gerade, wie wir dieser Krise möglichst solidarisch begegnen können.“ Erste größere Veranstaltungen wurden bereits durch die Entscheidungen der Städte abgesagt, etwa in Dortmund. Natürlich könnte man sich gegen derartige Ausfälle versichern, „aber das ist bizarr teuer“. Gerade viele jüngere Slammer, die in kleineren Kneipen auftreten, erhalten bei einem Ausfall keine Entschädigung. Sie werden bezahlt nach der 70:30-Regel: 70 Prozent der Einnahmen des Abends bekommt der Künstler, 30 Prozent der Veranstalter. Das ist wenig. Und doch für viele Nachwuchs-Slammer ein überlebensnotwendiges Einkommen.
Sarah Jäger wollte ihren Debütroman in Leipzig vorstellen
Manchmal lässt sich der Schaden, der durch Ausfälle von Veranstaltungen entsteht, aber auch gar nicht in Euro bemessen. Die Essener Autorin Sarah Jäger hätte ihren Debütroman „Nach vorn, nach Süden“ in zwei Lesungen auf der Leipziger Buchmesse vorstellen sollen. „Da ich Debütantin bin, kann ich gar nicht einschätzen, wie wichtig dieser Termin gewesen wäre.“ Mit einer weiteren, aus Essen stammenden Autorin hat sich Jäger per Mail ausgetauscht: „Amanda Lasker-Berlin war mit ihrem Roman für den Debütpreis der Lit.Cologne nominiert und hätte dort lesen sollen.“ Nun teilen die beiden Jung-Autorinnen das Gefühl, „man wartet an der Startlinie, will loslaufen – aber dann geht es doch nicht los.“
Hennes Bender arbeitet mit „Menschen, die einen niemals im Stich lassen würden“
Einige auf je eigene Weise namhafte Musiker – James Blunt etwa, Igor Levit, Gianna Nannini – haben bereits mit virtuellen Konzerte via Internet-Stream von sich reden gemacht. Eine Show ohne Publikum aber können Slammer und Kabarettisten sich eher nicht vorstellen: „Das Publikum ist Teil meiner Show. Ich kann mich doch nicht alleine auf die Bühne stellen und Witze erzählen“, sagt Hennes Bender. Zwei aktuelle Auftritt, ausgerechnet im Kreis Heinsberg, sind jüngst verschoben worden. Ob er in den kommenden Wochen in den Süden Deutschlands reist, wo eine Reihe kleinerer Auftritte anstehen, ist noch offen. Trotzdem macht er sich Gedanken, wie er das Corona-Virus kabarettistisch begleiten könnte – „Lachen kann man über alles!“ Die positive Grundhaltung zu seinem Beruf jedenfalls lässt er sich nicht nehmen: „Auch wenn das ein Business ist, gibt es doch auch eine fast familiäre Verbindung mit vielen Menschen, die einen niemals im Stich lassen würden.“