Essen. SPD-Kandidat Oliver Kern fürchtet falsches Bild, wenn nur Menschen mit Symptomen getestet würden. Dezernent Renzel: Massentest „völliger Unsinn“.
Oliver Kern, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Essen und Kandidat der SPD für das Amt des Oberbürgermeisters, hat sich im Gespräch mit der Redaktion kritisch zum Umgang mit der Corona-Pandemie geäußert. Die Lockerungen der Einschränkungen, die eine weitere Verbreitung des Virus verhindern sollten, halte er für verfrüht. Kritik äußerte Kern auch an der Stadt Essen: Viel zu wenige Personen würde auf eine mögliche Infektion hin getestet.
Dass zuletzt nach Angaben der Stadt nur noch rechnerisch 3,2 Neuerkrankungen gezählt wurden, hält Kern für nicht überzeugend. Die Zahl sei nicht aussagekräftig, solange ihr nicht die geringe Zahl der der vorgenommenen Tests gegenübergestellt werde. Erst durch ausreichend viele Tests ergäbe sich ein Bild der tatsächlichen Infektionslage. In Essen werden Bürger nur im Falle konkreten Verdachtsfall auf eine mögliche Infektion hin getestet. Kern ist das zu wenig: „Es wird nicht genug getestet.“
Selbst Menschen mit Symptomen wurden nur relativ selten positiv getestet
Stand Donnerstag Nachmittag wurden von den knapp 600.000 Essener Bürgern erst rund 9389 auf das Coronavirus beprobt, bestätigt hat sich Verdacht dann aber nur bei rund 799 von ihnen - und das, obwohl hier immerhin Menschen mit einschlägigen Symptomen oder mit Kontakten zu Kranken getestet wurden. Gesundheitsdezernent Peter Renzel weist deshalb die Forderung nach mehr Tests immer wieder als unnötig und als „Vergeudung von Ressourcen“ zurück.
„Eine Beprobung symptomfreier Menschen Menschen ergäbe zu weit über 99 Prozent negative Befunde“, so Renzel. Das bedeute aber nicht, dass sich diese Menschen nun beruhigt zurücklehnen oder gar leichtsinnig werden könnten, denn einige Tage später könne das Testergebnis wieder anders sein - wenn nämlich mittlerweile die Inkubationszeit für eine bestehende Infektion verstrichen oder sogar eine neue erfolgt sei.
Gesundheitsdezernent hält dezentrale, aufwendige Beprobung für die einzig Richtige
„Nur zielgerichtete Proben bei Menschen mit einschlägigen Symptomen sind das richtige Mittel der Wahl“, so Renzel vergangenen Mittwoch im Netzwerk Facebook. Virologen in Deutschland bescheinigten der Stadt Essen zudem, die richtige dezentrale Beprobungsstrategie zu verfolgen: einen Nasen-Rachen-Abstrich begleitet von einem Score, der Auskunft gebe über Allgemeinzustand, Blutdruck, Körpertemperatur und Sauerstoffsättigung im Blut.
„Das ist ziel- und ergebnisorientierte Arbeit, um die Pandemie einzudämmen, Infektionsketten zu entdecken und wirkungsvoll zu unterbrechen“, so Peter Renzel, der sich auf Facebook wegen des häufig wiederkehrenden Themas eine Spitze nicht verkneifen mag: „Wir oft müssen wir eigentlich noch erklären, dass Massentests von Menschen ohne Symptome völliger Unsinn sind?“
Einfache Tests zu unzuverlässig? Auch im Bund gibt es ein Umdenken
Massentests würden zudem in aller Regel als einfacher Rachenabstrich erfolgen, eine Methode, die Renzel zufolge notorisch unzuverlässig ist, wie auch Virologen betonten. Diese Meinung werde er auch dann vertrete, wenn es im Bundesgesundheitsministerium in dieser Frage zu einem Umdenken hin zu so genannten „Präventions-Testungen“ komme.
SPD-OB-Kandidat Oliver Kern hat aber nicht nur Probleme mit der städtischen Corona-Politik, auch die vom Land NRW verfügte Rücknahme der Beschränkungen und den zuvor ausgetragenen „Lockerungswettbewerb der Ministerpräsidenten“ sieht er kritisch. „Ich hätte mir gewünscht, man hätte sich zwei Wochen mehr Zeit gelassen.“ Auch Kanzlerin Merkel „fand das nicht gut“, gibt Kern seinen Eindruck wieder. So stelle er sich die Frage, „ob uns das alles nicht vor die Füße fällt“.
Kern: Lockerungen kamen zu früh und überfordern Menschen und Institutionen
Bürger seien verunsichert. „Viele wissen gar nicht mehr, woran sie sich halten sollen.“ Einrichtungen seien durch das Tempo, in dem Lockerungen umgesetzt werden sollen, überfordert. „Innerhalb von nur drei Tagen sollen Hygienekonzepte umgesetzt werden“, so Kern. Betreibern und Mitarbeitern verlange dies sehr viel ab. Die Seniorenheime der Awo seien vorbereitet gewesen, andere nach Kerns Eindruck aber nicht.
Er persönlich halte sich an die Hygieneregeln. „Ich arbeite zeitweise im Homeoffice und trage beim Einkaufen eine Maske.“ Als OB-Kandidat suche er unter Corona-Bedingungen das Gespräch mit jenen, die von der Krise besonders betroffen seien, zum Beispiel Gastronomen. Privat schränke er sich weiterhin ein. „Ich gehe nicht in eine Kneipe, um ein Bier zu trinken.“