Essen. Manche Sorge war unbegründet, die Maskenpflicht hält Essens Gesundheitsdezernent sogar für verzichtbar. Wachsamkeit sei aber weiterhin Pflicht.
Das tief Besorgte der ersten Corona-Wochen ist gewichen, ohne dass Gesundheitsdezernent Peter Renzel nun gleich kernentspannt wirken würde. Aber es macht schon einen großen Unterschied, ob es in Essen wie Ende März rund 300 aktuell erkrankte Menschen gibt mit Tendenz nach oben oder wie jetzt um die 150 mit deutlicher Tendenz nach unten. Am Dienstag, 5. Mai wurde mit 125 aktuell Infizierten der niedrigste Stand seit 17. März erreicht, dem Tag, als das öffentliche Leben auf breiter Front angehalten wurde.
Wie im ganzen Land sinkt auch in Essen die Zahl der Neuerkrankungen, einiges vom „normalen Leben“ ist zurückgekehrt, weiteres wird folgen. Der schmale Grat zwischen dringend gebotener Lockerung und Vermeidung zu hoher Neuansteckungsrisiken wird auch in Essen tastend begangen. „Jeder ist ein Stück verunsichert, weil wir vieles einfach noch nicht wissen“, sagt Renzel. Und das werde sich auch so schnell nicht ändern.
Die spontane Trauerfeier in Horst blieb offenbar ohne Folgen
Befürchtungen gab es einige, bei weitem nicht alle sind auch eingetreten. Das Osterwochenende mit seinem Ausflugstrubel geriet nicht zu jenem Menetekel, das Schwarzseher auch in Essen an die Wald malten. Und als sich vor genau zwei Wochen einige hundert Menschen in Horst zu einer spontanen, das Abstandsgebot missachtenden Trauerfeier trafen, um eines erstochenen 14-Jährigen zu gedenken, musste die Polizei wegen ihrer zurückhaltenden Reaktion Kritik einstecken.
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Tatsächlich gab es auch in der Stadtverwaltung Sorge vor einem neuen Ansteckungs-Hotspot. „Stand heute kann ich sagen, dass wir nichts dergleichen in Horst festgestellt haben“, so Renzel am Montag. Nachdem die übliche Inkubationszeit abgelaufen war, hätte eine Welle von räumlich begrenzten Neuansteckungen auffallen müssen.
Der Gesundheitsdezernent will aber nicht missverstanden werden: Obwohl die Kurve in Essen schon langsam abflachte, bevor die Kontaktbeschränkungen ihre Wirkung entfalten konnten, hält er diese zum größten Teil für richtig und notwendig. „Wir mussten die schockierenden Bilder aus den Krankenhäusern, die wir in anderen Ländern gesehen haben, unbedingt vermeiden.“
Mittlerweile sei in den Essener Hospitälern der Alltag etwa in Form planbarer Operationen teilweise wieder eingekehrt. „Aber es ist kurzfristig möglich, wieder alles auf Corona-Patienten zu konzentrieren, falls dies nötig ist.“
Über den Sinn einiger Regeln kann man diskutieren, findet Peter Renzel
Dennoch könne man über die Sinnhaftigkeit mancher Regeln diskutieren. Renzel selbst war zu Beginn der Corona-Krise gegen die Schließung von Kitas. Kinder seien kaum gefährdet, das belegten auch die Essener Infektionszahlen. „Überzeugt bin ich von der Schließung immer noch nicht“, sagt er und unterstützt die Bestrebungen wieder zu öffnen.
Auch im Freizeitbereich sei manches nicht ganz stimmig. Wenn Segler nicht einmal allein mit ihren Booten auf den Baldeneysee dürften, auf dem Uferweg jedoch Massen von Wanderern, Joggern und Radfahrern zu sehen sind, könne man nicht viel Verständnis erwarten, räumt Renzel ein. Die Stadt sitze hier allerdings in einem Geleitzug und könne die Anordnungen des Landes, von denen einige offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt sind, nicht einfach uminterpretieren. Und Vereinssport sei nun einmal noch ausnahmslos untersagt.
Gesundheitsdezernent hält Maskenpflicht für „verzichtbar“
Die Maskenpflicht sieht Renzel ebenfalls durchaus kritisch, ja erklärt sie sogar für „verzichtbar“, sofern die Abstandsgebote strikt eingehalten würden. Die Maske führe vor allem zu einem Trugschluss: „Ich beobachte, dass die Menschen nicht mehr so viel Distanz halten, weil sie sich geschützt fühlen.“ Abstand zu anderen schütze aber weit zuverlässiger vor Ansteckung als der Mund-Nasen-Schutz. Renzel gibt zu, dass er die Maske sofort vom Gesicht zieht, wenn er ein Geschäft wieder verlässt. Sie draußen zu tragen, sei ihm unangenehm.
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Verstärkt werde durch die Maskenpflicht wohl auch die Neigung, sich zum Erzieher seiner Mitbürger aufzuspielen - mehr noch als dies ohnehin schon seit Beginn der Corona-Krise zu beobachten ist. In seinem Heimstadtteil Heisingen wurde der Gesundheitsdezernent jüngst Zeuge einer unangenehmen Szene: Eine jüngere Frau mit Kindern beschied einer Seniorin, die sich draußen auf einer Bank aufhielt, sie habe hier nichts zu suchen. „Auch Senioren haben jedes Recht, frische Luft zu schnappen, seid nett zueinander!“, appelliert Renzel. Und bevor man Menschen ohne Maske öffentlich maßregele: es wäre immerhin möglich, dass ein Attest vorliegt, das von der Pflicht befreit.
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„Schritt für Schritt zurück in die Normalität, dies allerdings bei hoher Wachsamkeit“ - das sei angesichts der Zahlen die Strategie der Stadt, in Abstimmung mit dem Land, betont Renzel. Rückschläge seien dabei nicht auszuschließen. Reagieren dürfe man dann nicht panisch, sondern durch rasche und genaue Analyse des Umfelds und der Infektionswege und durch sofortige häusliche Quarantäne.
„Wenn sich die Zahlen negativ verändern, müssen wir genau da reagieren, wo sich die neuen Infektionen zeigen.“ Das sei eine wichtige Erkenntnis aus den nun fast elf Wochen Lagezentrum, das seit Dienstag übrigens täglich erst um 7.30 Uhr zusammentritt statt wie bisher um 6.30 Uhr. Wer will, mag auch dies als halbwegs gutes Zeichen deuten.