Essen. Theater dürfen ab 30. Mai unter Auflagen wieder öffnen. Abstandsregeln bereiten Essener Bühnen Kopfzerbrechen. Betrieb dürfte sich kaum rechnen.
Ein Utensil hat im Kulturleben eine ungewohnte Bedeutung bekommen: der Spuckschutz. Die Alte Synagoge wartet ebenso auf die Anlieferung wie das Essener Stadtarchiv, um bald zumindest wieder eine begrenzte Anzahl von Besuchern in den Lesesaal zu lassen. Im Museum Folkwang hat man vorgesorgt, der Kassenbereich ist bereits von den gefragten Plexiglasscheiben umkreist. Seit Donnerstag läuft der Ausstellungsbetrieb dort wieder. Unter strengen Corona-bedingten Schutz- und Hygieneauflagen, aber immerhin. Auf so viel Rückkehr zur „neuen Normalität“ mögen nicht alle Essener Kultureinrichtungen hoffen. Die jüngsten Lockdown-Lockerung der NRW-Landesregierung, die Theatern und Konzerthäusern ab dem 30. Mai unter strengen Auflagen wieder den Betrieb erlauben, hat statt des großen Aufatmens eine noch größere Unsicherheit beschert.
Heinersdorff: Boulevard-Bühne soll im Musiktheater spielen
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Vor allem kleinere Theater bewerten den Spielbetrieb angesichts der geltenden Abstandsregeln als schwierig und unrentabel. Auch die Theater und Philharmonie prüft zunächst, ob und wie man unter den neuen Vorgaben einen anderen, eingeschränkten Spielbetrieb anbieten kann. Ohnehin hatte NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen den Vorstoß vom Ministerpräsident Armin Laschet Ende vergangener Woche schnell wieder eingefangen: Für die großen Häuser bleibe es wohl beim Starttermin 1. September. Auch viele kleinere Kulturadressen wollen angesichts der immensen Unsicherheiten lieber abwarten. Einer aber prescht jetzt vor. René Heinersdorff, Chef des Essener Rathaus-Theaters und zwei weiterer Boulevard-Bühnen in Düsseldorf und Köln, hat einen kühnen Vorschlag gemacht. Er plädiert in Zeiten der Pandemie für einen solidarischen „Theatertausch“.
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Seiner Meinung nach könnten die städtischen Bühnen wie Grillo- und Aalto-Theater ihre großen Säle in dieser Zeit Privattheatern wie dem Rathaus-Theater zur Verfügung stellen. Denn was aufgrund der komplexen Strukturen an städtischen Häusern nicht so mir nichts, dir nichts zu realisieren sei, könne er binnen weniger Tage stemmen: einen Spielbetrieb. „Drei Produktionen wären sofort spielbar“, gibt sich Heinersdorff optimistisch. Außer Acht lässt der Rathaus-Theaterchef dabei allerdings die komplexen und langwierigen Abstimmungsverfahren mit den Behörden, die auch bei wenigen Zuschauern hohen Kosten fürs Sicherheitspersonal. Trotzdem müsse man es versuchen, findet Heinersdorff. Im Gegenzug würde er seine Bühne am Porscheplatz dann den kleinen freien Theatern zur Verfügung stellen.
Hugo Egon Balder bald im Opernhaus?
Boulevard statt Musiktheater, Hugo Egon Balder im Opernhaus? In Düsseldorf hat ein ähnlicher Vorstoß bereits für Diskussionen gesorgt. Heinersdorff hofft nun auch auf Signale aus der Essener Kulturpolitik. Es brauche mehr Initiative und Moderation für ein gemeinsames Vorgehen, moniert Heinersdorff. Beim Publikum käme derzeit nur die Nachricht an: Der Kulturbetrieb darf am 30. Mai wieder anlaufen. Würde auf den Bühnen nun aber nichts passieren, hieße es am Ende: Jetzt dürfen sie und machen nichts! Dabei, glaubt Heinersdorff, würden die meisten nur allzu gerne wieder auf die Bühne.
Wieder spielen, das wollen sie alle. Doch zu welchem Preis? Im Theater Freudenhaus hat man schon mal abgemessen und durchgerechnet und ist auf rund 20 Besucher im 90-Plätze-Saal gekommen. „Das würde sich überhaupt nicht mehr rechnen“, sagt Johannes Brackmann, Geschäftsführer des Kulturzentrums Grend. Es sei denn, die Einnahmeausfälle würden kompensiert.
Bürgermeisterhaus: Im Werdener Kultur-Wohnzimmer gehört Nähe zum Flair
Auch im Werdener Bürgermeisterhaus hat man mit der Frage gerungen, ob und wie man den Spielbetrieb wieder anfahren und trotzdem allen Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie berücksichtigen kann. Carsten Linck, Geschäftsführer des Werdener Bürgermeisterhauses, beschäftigen aber nicht nur Fragen des Gesundheitsschutzes, sondern auch grundsätzliche Überlegungen: „Kunst lebt doch eigentlich davon, dass man sie angstfrei und in Freiheit darbieten kann.“ Im kuscheligen Kultur-Wohnzimmer in Werden jedenfalls ist die Nähe zwischen Publikum und Künstler nicht nur atmosphärisch, sondern auch wirtschaftlich eingepreist.
Boogie-Woogie-Pianist soll am 1. Juni wieder spielen
Bei zwei Meter Mindestabstand zwischen Bühne und Publikum zuzüglich der 1,50 Meter Lücken zwischen den Stühlen blieben vielleicht ein gutes Dutzend Zuschauerplätze, was sich schon finanziell kaum darstellen ließe. Aber will das Publikum solche unfreiwillig-exklusiven Veranstaltungen überhaupt, sorgt sich Linck. Und wie stehen die Künstler dazu? Boogie-Woogie-Pianist Jörg Hegemann jedenfalls habe spontan und geradezu gerührt zugesagt, als klar war, dass er am Klavier sitzen soll, wenn es am Pfingstmontag, 1. Juni, nach jüngstem Beschluss im Bürgermeisterhaus nun doch wieder weitergeht. Es gelte auch ein Zeichen zu setzen und Mut zu machen, begründet Linck die Entscheidung. Denn sollte diese „neue Normalität“, die Politiker propagieren, tatsächlich zum Alltag werden, dürfe die Kultur noch auf lange Sicht schlechte Karten haben. Linck will sich das nicht vorstellen: „Wir müssen auch darum kämpfen, wieder Nähe und Freiheit zuzulassen.“