Die invasive Beatmung endet für Corona-Patienten oft tödlich. Warum das Klinische Ethikkomitee jetzt auf ältere Menschen in Essen zugeht.
Zuletzt hatte der grüne Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, mit dem Thema für Furore gesorgt – allerdings mit einem falschen Zungenschlag. Überspitzt hat er die These in den Raum geworfen, es gebe Patienten, bei denen sich die Behandlung gegen Covid 19 nicht mehr rentiert. Es gab den erwartbaren Aufschrei. Man warf Palmer menschenverachtenden Zynismus vor.
Der Blick in die vorhandenen Studien wirft jedoch tatsächlich Fragen über den Sinn intensiv-medizinischer Behandlungen für hochbetagte Corona-Kranke auf. Die aber sollte im besten Fall jeder Mensch für sich beantworten, ist die feste Überzeugung des Runden Tisches der Klinischen Ethikkomitees (KEK) in Essen.
Die Behandlung ist oft eine Qual
Diese Vereinigung von Medizinern und Pflege-Experten empfiehlt daher einen speziellen Fragebogen mit Blick auf Corona, der, so der Wunsch, am besten über alle Alten- und Pflegeheime als Erweiterung einer Patientenverfügung Anwendung finden sollte.
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Ausgelöst wurde die Debatte ursprünglich von dem Wittener Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns, der als einer der ersten darauf verwiesen hat, dass die Sterberate der Über-80-Jährigen, die schwer an Corona erkrankt sind, sehr hoch sei. Vor allem die übliche Intubation in solchen Fällen erweise sich als fatal. Thöns sah darin auch ein grundsätzliches ethisches Problem.
Die invasive Beatmung und ihre Folgen seien für viele dieser Patienten eine Qual. Und in manchen dieser Fälle sei es aus ethischen Gründen besser, den Menschen ein friedliches, palliativ-medizinisch begleitetes Sterben zu ermöglichen anstatt auf Intensivmedizin zu setzen.
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Tatsächlich wird unter Ärzten mittlerweile heftig um die Intubation gestritten: Die einflussreiche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin empfiehlt die Maßnahme zwar weiterhin auch in einem frühen Stadium einer Corona-Erkrankung. Die Zahlen und Studien aus den USA und Großbritannien sind dagegen erschreckend: Zwischen 75 und 88 Prozent der behandelten, hochbetagten Corona-Patienten sind demnach nach einer invasiven Beatmung gestorben.
Noch ist die Datenlage unsicher. Aber auch in Deutschland gibt es immer mehr Ärzte, die die Intubation möglichst vermeiden oder mit neuen Maskentypen experimentieren.
Die Essener KEK empfiehlt daher dringend, dass sich Menschen generell, die Alterskohorte der Über-70-Jährigen aber speziell Gedanken darüber machen, wie sie bei einer Erkrankung an Corona behandelt werden wollen. Wie Hans-Jörg Stets, Sprecher des Ethik-Komitees betont, geht es um die Definition der „patienten-zentrierten Vorausplanung für den Notfall“, sprich, die individuelle Festlegung der Wunschbehandlung.
Vollumfängliche Notfallversorgung für den Patienten
Darin könne natürlich auch festgelegt werden, dass der Patient die vollumfängliche Notfallversorgung oder in Abstufungen erhält. Es gebe aber, so Stets, auch die Erfahrung aus dem Klinik- und Pflegebereich, dass viele Menschen sich gegen die Intensiv-Behandlung im Krankenhaus und für eine Sterbebegleitung im vertrauten Umfeld aussprechen.
Auch diese Chance solle mit dem Planungspapier gewahrt werden. Dafür müsse allerdings auch die ambulante Palliativmedizin in den Alten- und Pflegeheimen gesichert sein. Durch die Gabe von Schmerzmitteln werde die Auswirkung der Atemnot beispielsweise so gemildert, dass der Patient sie nicht mehr wahrnimmt.
Die Empfehlung des Komitees an das Essener Gesundheitsamt laute, dass es den Fragebogen möglichst in alle Heime und Einrichtungen der Stadt weitergeben möge, um den Willen der Bewohner in dieser Frage großflächig und umfänglich abzufragen. Das Amt will nun prüfen, ob und wie das möglich sein könnte.
Letztlich, so Stets, erleichtere eine solche Planung auch den behandelnden Ärzten im Notfall die Arbeit. Und dabei geht es eben nicht um die Frage, was sich rentiert oder nicht – sondern darum, was im Sinne des Patienten ist oder nicht.