Ruhrgebiet. In Zeiten von Corona bauen Krankenhausseelsorger Brücken zwischen Patienten und Angehörigen, die nicht mehr zu Besuch kommen dürfen.

Neulich hat Uwe Matysik in der Not eine Brücke gebaut, eine Brücke zwischen Menschen. Hier ein Patient in einer Essener Klinik, dort dessen sterbende Frau in einem anderen Krankenhaus, die der Mann nicht mehr besuchen darf: Corona hat die beiden für immer getrennt. Der Pfarrer aber spricht mit dem Kranken eine Grußbotschaft für die Gattin ein, einen virtuellen Segenswunsch, einen Trost auf die Entfernung. Die Krise hat auch die Arbeit der Krankenhausseelsorger verändert.

Manchmal stehen sie erschüttert vor den neuen Situationen, „schreckliche Schicksale“, sagt Pastor Uwe Matysik. Dann wieder sind sie überrascht von dem, was geht: Trost per Handy-Video, Abschiedsworte im Chat, „ich bin nicht völlig ohnmächtig“, sagt der Seelsorger der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM). Im Gegenteil: In Zeiten von Corona und damit auch starker psychischer Anspannung in den Krankenhäusern ist die Unterstützung der Seelsorger besonders gefragt. Vielerorts arbeiten sie in den Krisenstäben mit. Und häufig sind sie neben dem Pflegepersonal die Einzigen, die von Todkranken Abschied nehmen dürfen.

Segensworte via Telefon: „Bleiben Sie doch dabei“

Uwe Matysik, Pfarrer und Krankenhausseelsorger an den Ev. Kliniken Essen-Mitte.
Uwe Matysik, Pfarrer und Krankenhausseelsorger an den Ev. Kliniken Essen-Mitte. © Privat | Privat

Dirk Rupprecht, katholischer Seelsorger an der Uniklinik Essen, erzählt die Geschichte einer Frau, die auf der hauseigenen Palliativstation im Sterben lag. Sie war nicht allein, ihre Enkelin war bei ihr, zwei Wochen schon durfte sie dafür das Krankenhaus nicht mehr verlassen. Als Rupprecht eintraf, telefonierte die junge Frau über Handyvideo mit dem Opa, der Mann weinte bitterlich. Auch für ihn galt das Besuchsverbot, er bat den Seelsorger um einen letzten Segen, den er selbst seiner Frau nicht geben durfte. „Bleiben Sie doch über das Telefon dabei“, sagte Rupprecht; er hatte das noch nie gemacht, nennt die Situation in der Erinnerung „von der Normalität verrückt“.

Seelsorger in Schutzkleidung: „Unheimlich“

Er machte das Kreuzzeichen auf die Stirn der Frau, alle zusammen beteten sie das Vaterunser. „Auch für mich als Seelsorger war das fast unaushaltbar“, sagt Dirk Rupprecht, 50. Nicht trösten, nicht in den Arm nehmen zu können wie sonst. Doch im Nachhinein weiß er: „Es war gut, dass ich da war. Ich bin froh und dankbar, dass ich das so mitgestalten konnte.“ Als die Oma wenig später starb, bat die Familie den Diakon, die Beerdigung zu übernehmen. Auch nur mit ganz wenigen Menschen.

Sterben ohne die Begleitung von Angehörigen – das ist eines der großen Themen in der Krise. Die Seelsorger in der Krankenhäusern können die Familien nicht ersetzen, aber sie können Bindeglied sein: mit Atemschutz, zuweilen sogar mit Haube, Kittel, Handschuhen. Ein „unheimliches Erscheinungsbild“ für einen Geistlichen, sagt Uwe Matysik, aber immerhin konnte er so auch einen Covid-19-Patienten verabschieden. Er richtete Grüße aus von der Familie, sprach Mut zu und einen Segen. „Der Patient hat erkennbar reagiert, das konnte ich später den Angehörigen schildern.“

„Seelsorger können nicht erst wiederkommen, wenn alles gut ist“

Sie sitzen nicht mehr jeden Tag an einem Bett, sie laufen nicht mehr durch die Flure ohne Atemschutz, aber sie sind da. „Darfst du eigentlich noch hier sein?“, fragte neulich jemand Dirk Rupprecht auf dem Gelände der Uniklinik, es war nicht ganz ernst gemeint, aber Rupprecht antwortet sehr ernst: „Ich muss hier sein!“ Es wird ja weiter gelitten und auch gestorben im Krankenhaus, nicht nur auf einer Intensiv-Station, „wir Seelsorger können nicht erst wiederkommen, wenn alles gut ist“. Es sei wichtig, sagte neulich ein Arzt zu Rupprecht, „dass Menschen da sind, die wir ansprechen können“.

Auch die Krankenpfleger brauchen Unterstützung

Auf der Palliativstation des Uniklinikums: Dirk Rupprecht, Seelsorger und katholischer Diakon.
Auf der Palliativstation des Uniklinikums: Dirk Rupprecht, Seelsorger und katholischer Diakon. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Denn die Mitarbeiter kommen jetzt häufiger zu den Geistlichen beider Konfessionen. Auch sie leiden mit ihren Patienten, die keinen Besuch bekommen, die fragen, ob sie ihre Lieben noch je wiedersehen. Viele, weiß Pfarrer Matysik (58), haben Angst, angesteckt zu werden. Sie brauchen Momente, darüber zu reden, „um Luft zu holen, um nicht zu ersticken an dem Druck“.

Diakon Rupprecht weiß, wie sie sich fühlen: Er ist selbst gelernter Krankenpfleger, seine Tochter und sein Sohn arbeiten im selben Beruf, letzterer auf der Covid-Station des Uniklinikums. Er kennt also die Sorgen, die Klinik-Mitarbeiter auch privat umtreiben. Und auch er hat seine Mutter erst vor wenigen Wochen in ein Pflegeheim bringen müssen. „Einen Tag später kam das Besuchsverbot. Es war und ist unwirklich.“ Die Sorgen des Personals könne er nachvollziehen. „Ich bin selbst Vater und Sohn. Ich weiß, dass einem das alles nicht in der Jacke hängen bleibt.“

>>INFO: SEELSORGE IM KRANKENHAUS GEFRAGT

Trotz Corona: Die Krankenhaus-Seelsorge ist weiterhin erreichbar, es gibt auch Andachten via Krankenhaus-TV. Vielerorts sitzen die Seelsorger mit den in den Krisenstäben und Ethikräten. Weiterhin kommen sie zu Abschieden und Nottaufen, haben eine 24-Stunden-Erreichbarkeit organisiert.

Auch wenn die Seelsorge am Bett weniger wird, bleibe eine „Glaubens- und Gebetsgemeinschaft weiter bestehen“, heißt es aus dem Bistum Essen.