Essen. Reinhard Buttler ging wegen eines Karzinoms in die Uniklinik Essen und starb an den Folgen einer Corona-Infektion. Seine Frau quält eine Frage.
Helga Buttler trauert. Nach 53 Jahren Ehe ist ihr Mann am 12. April – an ihrem 76. Geburtstag – alleine in der Uniklinik Essen verstorben. Helga Buttler, die sich fast sechs Jahrzehnte lang allen Herausforderungen des Lebens zusammen mit ihrem Mann gestellt hat, durfte ihn in seinen letzten Tagen nicht mehr begleiten.
Nun erhebt sie schwere Vorwürfe gegen die Essener Uniklinik. Ihr Mann, so sagt sie, wurde in der Strahlenklinik mit dem Coronavirus angesteckt und ist an den Folgen gestorben. Und sie sagt: „Trotz der allgegenwärtigen Infektionsgefahr, hat dort, wo immungeschwächte Krebspatienten liegen, kaum jemand einen Mundschutz oder Handschuhe getragen. Das ist unbegreiflich.“
38 Menschen wurden in der Uniklinik mit dem Coronavirus infiziert
Insgesamt 15 Patienten und 23 Mitarbeiter wurden in der Strahlenklinik mit dem Coronavirus infiziert, wie die Uniklinik zuletzt erklärte und zugleich eingeräumte: Zwar müsse dort schon seit dem 20. März ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden, diese Anordnung sei aber nicht immer befolgt worden.
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Erst in der WAZ las Buttler, welches Ausmaß die Infektionswelle in der Strahlenklinik über Wochen hatte. Gesprochen habe mit ihr kein Verantwortlicher der Uniklinik, bedauert sie. Schon am 1. April, als ihr Mann zur Bestrahlung eines Lungenkarzinoms stationär aufgenommen wurde, habe er ihr am Telefon berichtet, „die laufen hier herum, als gibt es Corona gar nicht.“ Am 5. April wurde der 76-Jährige positiv auf das Virus getestet und verlegt. „Das ist mein Todesurteil“, soll Buttler seiner Frau noch am Telefon gesagt haben.
76-Jähriger starb am Geburtstag seiner Frau
Nur eine Woche später, während Helga Buttler darauf wartete, dass ihr Mann ihr zum Geburtstag gratuliert, erschien statt der erwarteten eine unbekannte Nummer in ihrem Display. Eine Ärztin teilte ihr mit, dass ihr Mann im Sterben liege und sie nun kommen könne, um sich zu verabschieden.
Nach Angaben der Klinik habe es aber einige Stunden gedauert, bis die 76-Jährige und ihre Tochter aus Überruhr im Krankenhaus ankamen. Reinhard Buttler war da schon gestorben.
„Als die Ärztin angerufen hat, haben sie meinen Mann schon eine halbe Stunde lang wiederbelebt. Das wollte er nicht. Dafür hatte er eine Patientenverfügung. Deshalb habe ich den Ärzten gesagt, sie sollen mit den Maßnahmen aufhören.
In den Tagen vor seinem Tod aber durfte ich nicht zu ihm. Er war ganz alleine. Es tut so weh, dass ich nicht seine Hand halten und ihm etwas Nettes zuflüstern konnte“, sagt Helga Buttler mit tränenschwerer Stimme.
Hätte der Tod des Esseners verhindert werden können?
Noch immer sitzt der Schmerz tief, noch immer drehen sich die Gedanken der Essenerin immer wieder um diese eine, bohrende und schmerzende Frage: „Ist mein Mann gestorben, weil Mitarbeiter der Klinik fahrlässig die Hygienevorschriften außer Acht gelassen haben?“
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„Nein“, sagt die Klinikleitung. „Das Medizinische Personal hat nicht fahrlässig gehandelt. Die Vorstellung, man müsse in allen Bereichen Ganzkörperanzüge tragen, ist falsch. Während des kompletten Krankenhausaufenthaltes wurden die für den jeweiligen Bereich vorgeschriebenen Schutzkleidungen durch die Mitarbeiter eingehalten. Die im Hygieneplan empfohlenen Isolations- und Schutzmaßnahmen für den Patienten und das Personal wurden durchgeführt.“
Bereits zuvor hatte die Uniklinik erklärt, einer der erkrankten 15 Patienten hätte das Virus bereits in sich getragen, als er in das Krankenhaus kam. Zunächst fiel der Verdacht auf Reinhard Buttlers Zimmernachbar, doch der wurde negativ getestet, während bei Buttler das Ergebnis positiv ausfiel.
„Nach Erhalt des positiven Abstrichs wurde der Patient Buttler auf eine isolierte Covid-Station gebracht, so wie es die internen Vorgaben vorsahen“, berichtet die Uniklinik. Dort kam es in den frühen Morgenstunden des 12. April nach Angaben der Klinik zu einer akuten Herz-Lungen-Störung, die sofort ärztlich behandelt wurde. „In Anbetracht des in der Patientenverfügung geäußerten Wunsches wurden in der aussichtslosen Situation lebensverlängernde Maßnahmen nicht weiterverfolgt.“
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Ob Reinhard Buttler, wie seine Familie berichtet, bei der stationären Aufnahme in der Uniklinik negativ auf das Coronavirus getestet wurde und erst im Krankenhaus erkrankte - oder ob der 76-Jährige bei der Aufnahme ins Krankenhaus überhaupt nicht getestet wurde, wie die Klinik sagt, bleibt ein weiterer Streitpunkt.