Essen. Das Uniklinikum Essen hat die ersten beiden Corona-infizierten Patienten aus Frankreich erfolgreich behandelt. Drüben fehlten Beatmungsgeräte.
Gerettet, noch geschwächt, aber von einer gewaltigen Last befreit: Ein schüchternes Lächeln huscht über das Gesicht von Mohamed S. (68), als die Notfallsanitäter der DRF Flugrettung ihn fest anschnallen für den Flug nach Hause. Am Freitagmorgen um viertel nach zehn schraubt sich der Helikopter vom Dach des Essener Universitätsklinikums in den blauen Himmel. Sein Ziel: das lothringische Metz. Mohamed S. ist der erste von acht französischen Intensivpatienten, der nach erfolgreicher Behandlung entlassen werden kann. Nur wenige Stunden später fliegen sie den zweiten Franzosen auf die andere Rheinseite.
Die drei Wochen im Universitätsklinikum haben wahrscheinlich Mohamed S.' Leben gerettet. "Ich habe mich beim Pflegepersonal und bei den Ärzten bedankt", sagt der schmächtige Mann mit dünner Stimme. Ein Atemschutz liegt über seinem Mund, er trägt Latexhandschuhe, einen schneeweißen Morgenmantel und wärmende Stopper-Socken.
Die Bilder des französischen Militärhubschraubers, der die Patienten aus Metz - auf Vermittlung der NRW-Landesregierung - am Flugplatz Essen-Mülheim in die Hände der Essener Ärzte gab, gingen Ende März um die Welt - auch als ein anrührender Beweis dafür, dass Europa mehr ist als eine bloße Währungs- und Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch ein Verband für den Notfall.
Der französische Patient lag in Metz im Koma und ist Tage später in Essen aufgewacht
Mohamed S. hat von der dramatischen Rettungsaktion übrigens gar nichts mitbekommen. "Ich lag in Metz im künstlichen Koma und bin ein paar Tage später in Essen wieder aufgewacht", erzählt er. Und fügt hinzu, dass er nie zuvor im Leben ein Krankenhaus als Patient von innen gesehen hab.
Doch dann erwischt auch ihn, den Nichtraucher, das Coronavirus. Sein Pech: In der nordostfranzösischen Region wütet das Virus besonders brutal. Nirgendwo in Frankreich schnellen die Infizierten- und Todeszahlen derart in die Höhe wie hier. Genauso schnell stoßen die Krankenhäuser an ihre Kapazitäten, vor allem mangelt es an Beatmungsgeräten und Intensivbetten. "Der Patient kam in einem kritischen Zustand zu uns", sagt Professor Thorsten Brenner, der neue Klinikdirektor der Anästhesie. Das ist zurückhaltend formuliert, man könnte auch sagen: Es ging um Leben und Tod.
Der Zustand sei kritisch gewesen, es ging um Leben und Tod
Noch drei Tage nach seiner Ankunft in Essen wird Mohamed S. auf der Intensivstation im künstlichen Tiefschlaf gehalten, dann holen sie ihn langsam zurück in die Wirklichkeit. Insgesamt muss er sechs Tage künstlich beatmet werden. Jetzt geht's bergauf.
Essen liegt nur 300 Kilometer Luftlinie von Metz, Departement Moselle, entfernt. Eigentlich ein Katzensprung - und doch sind es zwei Welten. Mohamed S. versteht kein Wort Deutsch und gerade in diesem kritischen Zustand können Informationsverluste dramatisch sein - besonders für Patienten. Doch das Universitätsklinikum ist bestens vorbereitet. Dr. Christoph Philipsenburg, einer der Anästhesisten, beherrscht beide Sprachen, er kann - voilà - heilen und dolmetschen. Und die besorgten Verwandten daheim auf dem Laufenden halten.
Mohamed S. war Bergmann und hat 30 Jahre unter Tage gearbeitet
"Ich war dreißig Jahre Bergmann unter Tage", erzählt Mohamed S. in den wenigen Minuten vor seinem Abschied. Sein Wohnort Forbach liegt mitten im lothringischen Kohlebecken, in dem längst alle Förderräder still stehen, nur einen Steinwurf von Saarbrücken entfernt.
Der französische Patient sitzt erwartungsfroh im Rollstuhl, als der Pilot den Rotor anwirft. Jetzt freue er sich aufs Wiedersehen mit seinen Lieben, der Frau, den fünf erwachsenen Kindern, den Enkelkindern. "Zwei Mal habe ich selbst mit ihnen telefonieren können."
Der in Dortmund stationierte DRF-Hubschrauber wird von einem Drei-Mann-Team bedient: Notarzt Dr. Sebastian Rossbach, Notfallsanitäter Björn Orschel und Pilot Markus Sandmann am Steuerknüppel. "In gut einer Stunde werden wir am Ziel sein", sagen sie. Zuerst geht's für Mohamed S. noch ins "Hôpital de Mercy".
Essener Physiotherapeuten schenken ein Herz mit Trikolore und Schwarz-Rot-Gold
Prof. Jochen A. Werner, der Ärztliche Direktor des Uniklinikums, verfolgt das Geschehen ebenfalls mit großer Erleichterung. "Ich bin total froh, dass die Essener Universitätsmedizin im europäischen Kontext von Covid ein wenig Hilfe leisten konnte." Als die Düsseldorfer Staatskanzlei ihn eines Abends anrief und um Unterstützung bat, habe er nicht eine Sekunde gezögert. "Ich habe sofort für zehn französische Patienten zugesagt."
Einen Engpass habe es wegen der französischen Patienten zu keinem Zeitpunkt gegeben, betont Professor Brenner. Der Mediziner reagiert indirekt auch auf böse Kommentare jener, die in solchen Krisen die Grenzen gerne dicht machen würden, damit ausländische Patienten den Deutschen bloß keine Betten wegnehmen. Brenner kontert mit Zahlen: "Wir haben aktuell mindestens 60 Intensivbetten, davon sind aber nur 17 belegt."
In den nächsten Tagen könnten schon vier weitere Franzosen geheilt entlassen werden. Der zweite, der an diesem Freitag nach Metz geflogen wird, ist Jean-Francois (67), ein pensionierter Eisenbahner. In seiner Hand hält er ein Blatt, das ihm die Physiotherapeuten als Erinnerung mitgegeben haben. Es zeigt ein ausgemaltes Herz mit Trikolore, Schwarz-Rot-Gold und einem Händedruck. Au revoir, Essen.
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