Essen-Kupferdreh. Bombardierung der Kupferdreher Kaserne 1945: Zeitzeugen erinnern sich an laute Tiefflieger und Schreie, an tote Mitschüler und einen Schutzengel.
Als zwei Zeitzeugen den Bericht über die Bombardierung der Kupferdreher Kaserne im März vor 75 Jahren lasen, wurden Erinnerungen wach. Die lärmenden Flieger, die lauten Schreie der Menschen, ihre zitternden Körper in den Luftschutzräumen und die Toten außerhalb dieser bedeuten für Winfried Grimberg (84) und Johannes Leifeld (89) bis heute vor allem eines: Bilder in ihren Köpfen – so grausam wie unvergessen.
„Angst hatten wir permanent“, sagt Johannes Leifeld, der schon damals in Dilldorf wohnte, wo er im Laufe der Jahre Bau, Bombardierung und Wiederaufbau der Ruhrlandkaserne miterlebte, die inzwischen einer Wohnsiedlung gewichen ist. Während sein Vater im Zweiten Weltkrieg eingezogen worden war („als er 1948 zurückkam, erkannte er mich erst nicht wieder“), blieb der Sohn zu Hause. „Meine Mutter hatte sich gegen die Kinderlandverschickung entschieden. So viel Freiheit hatten wir noch.“
Alarm unterbrach die trügerische Idylle immer wieder
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Er erinnert sich an wunderschöne Frühlingstage, die er stets auf der Hut verbrachte, da der Alarm die trügerische Idylle und eine unbeschwerte Kindheit ständig unterbrach. Ab in den Keller hieß es dann, weiße Pfeile wiesen ihnen den Weg zu den Schutzräumen. So auch in dem Augenblick, als der 14-Jährige sich mit Freunden nahe der Phönixhütte retten musste. Sie kauerten zusammen, zitterten und schlotterten. „Dann ging es los“, sagt er zu den Bomben, die beim Großangriff am 11. März 1945 auf die Stadt Essen fielen.
Nur wenig später war die Kupferdreher Kaserne das Ziel. Am besagten Tag – es müsse der 23. März gewesen sein – war Johannes Leifeld draußen und weiß daher genau, dass der Angriff um die Mittagszeit erfolgt sein müsse. Angefangen habe es bereits am Vormittag, da sei eine Aufklärungsmaschine von Osten gekommen und vom Boden wohl aus Richtung Hammerstraße beschossen worden. „Gedacht habe ich mir nichts, Kampfhandlungen waren ja üblich.“
Erst fielen die Rauchkerzen, dann die Bomben
Ortshistoriker zum Kriegsende in Kupferdreh
Zum Kriegsende in Kupferdreh berichtet Ortshistoriker Rainer Busch: „Am 11. April, einem Mittwoch, besetzten die Soldaten der 79. US-Division und der 17. US-Airborne Division die Stadt Essen.“
Pioniere der Deutschen Wehrmacht sprengten schon am 8. April 1945 um 7.30 Uhr die Brücken über die Ruhr, die Eisenbahnbrücke und die provisorische Kampmannbrücke. Damit sollte der Feind aufgehalten werden, so der Historiker.
Die ersten amerikanischen Panzer seien dann aber am 20. April um 23.15 Uhr durchs Deilbachtal nach Kupferdreh gekommen. Dazu sagte Rainer Busch: „Im Ort wehten überall weiße Fahnen. Die Besetzung Kupferdrehs ging ohne Zwischenfälle vor sich. Kurz vor 24 Uhr fiel der letzte Schuss.“
Doch diese kamen ganz nah: mit dem Bomberverband, den Rauchkerzen, die vom Himmel fielen, bevor den lauten Explosionen die beinahe unerträgliche Totenstille folgte. Johannes Leifeld war da schon ins Haus gelaufen, wie lange der Angriff dauerte, könne er so genau nicht sagen. Viel mehr erinnert er sich an die Schreie, die plötzlich über das Tal hinweg zu ihnen hallten.
Es starben 132 Menschen, der Pfarrer der katholischen Gemeinde Dilldorf begrub 54 von ihnen vorläufig in den Bombentrichtern. Erst im Sommer konnte die Umbettung von 124 Toten in ein Massengrab auf dem Dilldorfer Friedhof erfolgen, berichtet Ortshistoriker Rainer Busch. Das Grab ist bis heute vorhanden, ein großes Holzkreuz steht darauf. Unter den Opfern sind Schwestern des DRK, Sanitätssoldaten, Flak-Helfer, Ärzte und Fremdarbeiter sowie Verwundete und Kranke, die auf dem Gelände der Kaserne behandelt wurden, da dort zwei Jahre zuvor ein Lazarett eingerichtet worden war.
Vater war als Schlossermeister für die Zechenlokomotiven verantwortlich
Eine Entzündung im Kiefer war der Grund dafür, warum sich auch die Mutter von Winfried Grimberg genau zu der Zeit in den Lazarett befand, das unweit ihrer damaligen Wohnung lag. „Wir lebten auf dem Zechengelände Prinz Friedrich“, blickt der 84-Jährige zurück, dessen Vater als Schlossermeister für die Zechenlokomotiven wie die der Hespertalbahn verantwortlich gewesen ist.
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Während seine Brüder als Soldat und im Reichsarbeitsdienst im Einsatz waren, erlebte der Neunjährige den Angriff Zuhause. Mit den Alarmsignalen rannten sie Richtung Prinz-Friedrich-Straße/ Ecke Phönixhütte, wo sich der Luftschutzbunker befand, den sie mit 50 oder gar 100 Menschen teilten. „Das kann ich genau nicht sagen, da es eigentlich mehrere Räume gewesen sind“, sagt Winfried Grimberg, der so viele Nächte dorthin flüchtete, begleitet von der ständigen Todesangst.
Sorgen und Tränen im Schutzraum wegen der Mutter
Wer diese Ängste erlebt habe, fühle sich heute in der Corona-Krise mitunter daran erinnert, weiß seine Frau Margret (81) und mag das so nicht stehen lassen. Denn einen großen Unterschied mache für sie allein die Tatsache aus, „dass wir damals nicht einmal zu Hause sicher gewesen sind.“ Kommen nun ihre drei Kinder oder vier Enkel zu Besuch, bleiben die Großeltern in der Wohnung und die Gäste im Garten - so schützen sie sich vor der aktuellen Gefahr.
Damals 1945 zur Mittagszeit im Schutzraum galten Sorgen und Tränen von Winfried Grimberg besonders seiner Mutter: bis der Bombenhagel beendet und die Ungewissheit gewichen ist, weil der Vater sofort hinauf zum Lazarett geeilt war und seine Frau im Keller gefunden hatte – lebend. Nach dem Kriegsende dauerte es noch bis zum Sommer, bis auch ihre beiden älteren Söhne zurück nach Kupferdreh kamen.
Angriff erfolgte auf dem Weg zum Milchbauern
Dass Winfried Grimberg selbst diesen Krieg überlebt hat, verdankt er wiederum einem Schutzengel. So nennt er die Frau, die ihn nur wenige Tage nach der Bombardierung der Kaserne auf dem Kupferdreher Marktplatz in den Keller unter dem Saalbau Riegels zog. „Ich war auf dem Weg zu Bauer Schroer an der Bahnstraße, um Milch zu holen“, erinnert er sich daran, wie er über die Bahngleise zum Marktplatz kam, wo eine Ansammlung von Menschen („eine Volkssturmübung“) stand.
Den Tiefflieger hörte er zuerst, bevor er ihn sah, bevor die Menge auseinanderstob und das große Geschrei im Lärm des Angriffs unterging. All das hörte der Neunjährige, währenddessen ihm der Kalk von der Decke im Kellerraum auf den Kopf rieselte. Dort kauerten nur er und die junge Frau. Was ihm hätte geschehen können, sah er erbarmungslos, als er ins Freie kam.
Unter den Toten lag ein Mitschüler am Bahnübergang
Neben seinem Fuhrwerk und einem angeschossenen Pferd stand der Kohlenhändler, während am Bahnübergang drei Menschen lagen. Sie waren tot. „Darunter war mein Mitschüler, der Sohn des Juweliers. Eine unselige Zeit“, sagt Winfried Grimberg heute noch tief bewegt. Und längst im Bewusstsein darüber, dass ihm die fremde Frau mit ihrem raschen Handeln womöglich das Leben gerettet hat. Es war ihm ein großes Bedürfnis, ihr zu danken: „Aber ich habe sie niemals wiedergesehen.“