Essen. Das Gerangel um Kitaplätze ist groß. Doch für Tagesmütter werde zu wenig geworben, finden Essener Eltern. Für Kleinkinder seien die erste Wahl.
Für Eltern ist es Glücksfall und Geschenk: die Zusage für einen Kitaplatz. Viele wüssten jedoch gar nicht, dass sie ihr Kind auch von einer Tagesmutter betreuen lassen können, sagt die Essenerin Nadine Bayer (30). Auch sie sei eher zufällig auf diese Betreuungsalternative gestoßen: „Wir waren wegen des Kitaplatzes schon in Panik. Jetzt ist unsere Tochter bei der Tagesmutter so gut aufgehoben – es ist der Sechser im Lotto.“
Tochter Stella war 13 Monate alt und konnte noch nicht laufen, als sie mit der Eingewöhnung bei Nicole Plümel begann. An vier Tagen in der Woche betreut die Heisingerin in ihrem Zuhause drei bis vier Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren. „Es ist schon mit viel Herzschmerz verbunden, das eigene Kind abzugeben, aber Nicole war mir sofort sympathisch und Stella ist hier geborgen“, sagt Nadine Bayer. Als sie aus der Elternzeit an den Schreibtisch zurückkehrte, habe sie deshalb den Kopf frei gehabt für die Arbeit.
Die Kinder haben nur eine Bezugsperson und fühlen sich geborgen
„Anders als in der Kita sind die Kinder hier alle noch klein. Und je weniger Kinder betreut werden, desto mehr kann auf das eigene eingegangen werden“, ergänzt Vater Julian Bayer (33). Stella habe hier nur eine Bezugsperson – auch das wäre in der Kita anders. Gleiches gilt für sogenannte Großtagespflegestellen, von denen in den vergangenen Jahren immer mehr entstanden sind: Da mieten mehrere Tagesmütter/-väter Räume an, in denen sie Kleinkinder betreuen. Sie können mehr Kinder aufnehmen und sich in Urlaubs- und Krankheitszeiten vertreten.
Solche Vorteile bestreiten die Bayers nicht, doch ihnen gefalle gerade die familiäre Atmosphäre bei Nicole Plümel, im übrigen sei die in den vergangenen acht Monaten nur einen Tag lang krank gewesen. Sollte sie einmal länger ausfallen, kann über ihren Fachverband eine Springerin als Ersatz vermittelt werden.
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Die 48-Jährige war 17 Jahre lang bei der Agentur für Arbeit beschäftigt, bevor sie sich vor fünf Jahren zur Tagesmutter qualifizieren ließ. Ihre eigenen Töchter sind schon groß (16, 26), ihr Draht zu Kleinkindern gut. „Trotzdem hat mich anfangs der Gedanke schon beeindruckt, die Verantwortung für drei oder vier Kinder zu tragen, die nicht die eigenen sind.“ Mit inzwischen 25 Kindern, die sie betreut hat, habe sich natürlich Routine eingestellt.
Täglich geht es mit Buggy und Bollerwagen an die frische Luft
Von Anfang an war für Nicole Plümel klar, dass sie im eigenen Zuhause arbeitet. So kann sie den Tagesablauf unabhängig und im vertrauten Umfeld gestalten. „Nach dem gemeinsamen Frühstück gehen wir mit Buggy und Bollerwagen raus – wenn es nicht gerade aus Eimern schüttet. Nur drinnen zu sitzen, wäre nichts für mich.“
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Lehrerin Nora Strobel (34), deren zweijähriger Sohn Max seit vergangenem Sommer zu Nicole Plümel geht, gefällt genau das: „Sie macht unheimlich viel mit den Kindern, so hat sich Max rasant entwickelt. Außerdem lernen die Kinder viel voneinander.“ Nicole Plümel sei sehr zugewandt, schicke schon mal per WhatsApp ein Foto der spielenden Kinder und sei für die Eltern bei Fragen sogar am Wochenende erreichbar. Für die Lehrerin steht fest, dass sie die ideale Betreuung für ihren Sohn gefunden hat. Sie wundere sich daher, „dass der Babybesuchsdienst das Thema Tagesmutter gar nicht angesprochen hatte. Da war nur von einem Kitaplatz die Rede“.
Etwa 800 Tagesmütter und -väter arbeiten in Essen
Dabei ist Kindertagespflege kein Nischenangebot: Etwa 800 Tagesmütter und -väter betreuen in Essen knapp 3000 Kinder – Tendenz zuletzt steigend. Zuvor hatte die Stadt jahrelang allein auf den Ausbau der Kita-Landschaft gesetzt und die Tageseltern als zweitbeste Lösung behandelt. Auch das mag dazu geführt haben, dass das Angebot nicht jedem vertraut war: „Wir werben darum jetzt im Freundeskreis für Tagesmütter“, sind sich Nora Strobel, Nadine und Julian Bayer einig. In eine Kita könne das Kind später ja immer noch wechseln.
Sechsmonatige Qualifikation für Tagesmütter und -väter
Auch Tagesmütter und -väter sind natürlich an gesetzliche Regelungen und die Vorgaben der Stadt gebunden: So hat Nicole Plümel eine sechsmonatige Qualifikation gemacht. Vor Aufnahme der Tätigkeit ist auch ihr Haus überprüft worden. Alle fünf Jahre muss sie die Pflegeerlaubnis verlängern lassen. Alle zwei Jahre werden der Erste-Hilfe-Kurs und die Hygiene-Belehrung aufgefrischt. Nicole Plümel macht außerdem regelmäßig Fortbildungen bei ihrem Fachdienst.
In Essen gibt es folgende Fachdienste: Arbeiterwohlfahrt (Awo), CSE (Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen), Diakoniewerk sowie der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. Sie vermitteln die Tageseltern und kontrollieren deren Arbeit.