Essen. Großfamilie am Krankenbett, aufgebrachte Angehörige, religiöser Aberglaube: Essens Uniklinik schult Personal im Umgang mit kulturellen Problemen.
Eine schlimme Diagnose, eine belastende Behandlung, vielleicht das nahe Ende: In Krankenhäusern geraten Menschen in Extremsituationen. Das gilt nicht nur für die Patienten, sondern auch für deren Angehörige. Der Umgang mit ihnen ist für das Klinikpersonal nicht immer einfach. Besonders dann, wenn obendrein noch religiöse oder kulturelle Überzeugungen eine Rolle spielen und Konflikte provozieren. Am Uniklinikum werden die Mitarbeiter jetzt speziell geschult, um die Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft bei Krisen im Krankenzimmer besser meistern zu können.
„Die Probleme sind vielfältig“, sagt Dr. Bernhard Mallmann, Ärztlicher Leiter des Palliativmedizinischen Dienstes. Es komme vor, dass sich Angehörige auf den Boden schmeißen und schreien oder sogar rabiat werden und bestimmte Behandlungen einfordern, auch wenn diese aus medizinischer Sicht unangemessen sind. Sätze wie „Allah möchte, dass alle Geräte genutzt werden“ bekämen die Ärzte dann zu hören, berichtet Hans-Jörg Stets, Vorsitzender des Ethik-Komitees der Essener Universitätsmedizin.
Uniklinik sucht nach Lösungen für jeden Fall, egal ob es um Christen oder Muslime geht
Nicht nur an der Uniklinik gehören solche Situationen zum Krankenhausalltag. So etwas passiere auch in anderen Häusern oder in einer Arztpraxis, sagt Mallmann. „Bei uns wollen wir für jeden speziellen Fall eine Lösung finden. Unabhängig davon, ob jemand Christ oder Muslim ist.“ Seit längerer Zeit schon gibt es an der Klinik eine kultur- und religionssensible Ethikberatung, die bei schwierigen Fällen zwischen Ärzten, Pflegekräften, Patienten und Angehörigen vermittelt. Das soll jetzt ausgebaut werden.
Hans-Jörg Stets koordiniert über das Ethik-Komitee eine interne Fortbildungsreihe für das Klinikpersonal, die im Frühjahr starten soll. Ärzten, Pflegern und Sozialarbeitern soll damit ein besseres Gefühl für die Hintergründe verschiedener Kulturen vermittelt werden, um gezielter reagieren zu können. Beispiel Großfamilie.
15 Angehörige einer schwerkranken Frau wollten bei einer Besprechung dabei sein
„Kürzlich hatten wir den Fall, dass 15 Angehörige einer schwerkranken Frau bei einer Besprechung dabei sein wollten“, erzählt Stets. Das Ethik-Komitee habe sich mit der Familie darauf verständigt, dass das in Ordnung sei, wenn das Familienoberhaupt für Ruhe sorge. Das habe gut funktioniert. Es habe sich herausgestellt, dass die Anwesenheit vieler vertrauter Menschen für den Ehemann der kranken Frau am Ende sehr hilfreich war. „Die Familie konnte ihn stärken und trösten in seinem Schmerz.“
Palliativmediziner Mallmann ist schon einige Jahre als Arzt im Einsatz. Er beobachtet, „dass sich die Gesellschaft verändert. Es wird mehr hinterfragt“. Unabhängig von der Religion oder von dem Kulturkreis. Grundsätzliche begrüße er diesen Wandel, sagt der Arzt. Schwierig werde es aber dann, wenn die Ansprüche nicht zur Wirklichkeit passen und die Patienten oder Angehörige nicht akzeptieren, „dass auch Spitzenmedizin an ihre Grenzen stößt“.
Konflikte entstehen vor allem in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation
Besonders in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation komme es zu Ausnahmesituationen, sagt Mallmann. Hans-Jörg Stets vom Ethik-Komitee erklärt, dass oft schon ein ruhiges Gespräch mit aufgebrachten Angehörigen einen Konflikt entschärfen kann. „Wir fragen, was die Menschen in ihrem Schmerz benötigen. Vielleicht die Liebsten um sich herum, einen Imam oder Rabbiner oder das Gebet.“ Die Zusammenarbeit mit Seelsorgern aus der jeweiligen Religion könne helfen, unter anderem, um besser Zugang zu den Betroffenen zu finden oder um Sprachbarrieren zu überwinden.
Wichtig sei, dass sich das Klinikpersonal auf die kulturellen Hintergründe der Patienten einlasse und über die Standpunkte der Religionen informiere. So habe der Zentralrat der Muslime vor einiger Zeit beschlossen, mit dem deutsche Palliativ- und Hospizgesetz konform zu gehen. Mit diesem Wissen könne man ganz anders reagieren, wenn in einer Extremsituation Fingerspitzengefühl gefordert ist.