Berlin. Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht erklärte es für nichtig.
Das Urteil war mit Spannung erwartet worden: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gegen das Grundgesetz verstößt. Die Richter in Karlsruhe erklärten Paragraf 217 im Strafgesetzbuch am Mittwoch nach Klagen von schwerkranken Menschen, Sterbehelfern und Ärzten für nichtig.
Die Verfassungsrichter begründeten ihre Entscheidung damit, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. „Diese Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle – und auch das Recht, dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen.
Damit hat das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe über Verfassungsbeschwerden von schwer kranken Menschen, Ärzten und Sterbehilfevereinen gegen den vor mehr als vier Jahren eingeführten Strafrechtsparagrafen 217 entschieden, der die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe stellt. (Az: 2 BvR 2347/15 u.a.)
Sterbehilfe – Bundesverfassungsgericht erklärt Paragraf 2017 für nichtig
Paragraf 217 stellt die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Durch die Ende 2015 nach langen und kontroversen Debatten im Bundestag beschlossene Neuregelung drohten eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Eine „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ setzte dabei kein kommerzielles Interesse voraus, der Begriff konnte auch wiederholte Hilfen umfassen.
Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Die Bundesregierung will das Urteil nun prüfen und auswerten. Erst danach wäre über mögliche Maßnahmen zu entscheiden, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin deutlich machte.
Professionelle Sterbehelfer hatten ihre Aktivitäten in Deutschland seither weitgehend eingestellt, aber in Karlsruhe gegen das Verbot geklagt – genauso wie mehrere schwerkranke Menschen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen möchten.
Aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze – ist und bleibt in Deutschland verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es aber selbst ein.
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Bei ihrer zweitägigen Verhandlung im April hatten die Verfassungsrichter umfassend diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Suizidbeihilfe in Deutschland zulässig sein muss. Die Kläger hielten die derzeitige Regelung für zu weitgehend. Befürworter verwiesen dagegen insbesondere auf die verbesserten Möglichkeiten der Palliativmedizin.
Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt – Die Reaktionen
Die Deutsche Palliativ-Stiftung hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe kritisiert. „Jetzt wird die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke und Lebensmüde zur normalen Dienstleistung“, kommentierte die Stiftung am Mittwoch in Fulda. Laut Urteil verstößt das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gegen das Grundgesetz.
Der Stiftungsrat der Deutschen Palliativ-Stiftung, Carsten Schütz, befand: „Wenn ein entgrenztes Gericht selbst in so fundamentalen gesellschaftlichen Fragen wie dem Sterben die eindeutige Mehrheitsentscheidung des Parlaments nicht mehr achtet, hat es offensichtlich jeden demokratischen Respekt verloren.“ Er sprach mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht von einer „Übergriffigkeit des sich allmächtig wähnenden Senats“.
Die katholische und die evangelische Kirche reagierten besorgt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. „Das Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“, teilten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, in einer gemeinsamen Erklärung mit. „Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen.“
Die SPD im Bundestag hat nach dem Karlsruher Urteil Bewegung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verlangt. „Jens Spahn muss jetzt seinen Widerstand gegen die Abgabe der dazu notwendigen Medikamente aufgeben“, sagte SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Ärzte bräuchten Rechtssicherheit. „Ich wünsche mir klare Regeln, wann insbesondere ärztliche Begleitung erlaubt und wann gewerbliche Angebote ausgeschlossen sind.“
(dpa/afp/fmg)