Essen. . Unruhe beim kriselnden Ruhrkonzern Thyssen-Krupp: Der Konzern wird umgebaut, die IG Metall warnt vor Dumpinglöhnen und massiven Stellenstreichungen. Mehrere Tausend Beschäftigte kamen am Dienstag zu einer Protestkundgebung vor der Essener Konzernzentrale.
Die Angst vor Personalabbau, Lohnsenkungen und Verlagerungen hat sich tief hineingefressen in die Belegschaft des angeschlagenen Thyssen-Krupp-Konzerns. So tief, dass am Dienstag mehrere Tausend Beschäftigte aus ganz Deutschland vor die Essener Konzernzentrale ziehen – mit lauten Trillerpfeifen, roten IG-Metall-Fahnen und Spruchbändern voller Wut-Parolen. „Das ist nur der Anfang, wir können noch mehr“, droht Konzernbetriebsratsvorsitzender Willi Segerath.
Es herrschen frühlingshafte Temperaturen auf dem weitläufigen Campus mit den transparenten Bürohaus-Würfeln aus Glas und Stahl. Doch die Stimmung der Demonstranten, sie liegt gefühlt unterm Gefrierpunkt. „Die Verunsicherung macht die Leute krank“, sagt Volker Kuns, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Thyssen Krupp Real Estate.
Weltweit sollen 3000 Verwaltungsmitarbeiter gehen
Um die Milliardenverluste abzubauen, insbesondere jene, die das Stahlwerk-Fiasko in Brasilien aufgetürmt hat, will sich Thyssen- Krupp weltweit von 3000 und allein in Deutschland von 1500 Verwaltungsmitarbeitern verabschieden. Betroffen sind die Grundstücks- und Vermögensverwaltung, die Personalabteilung, das Rechnungswesen und die Datenverarbeitung. Lauter Sparten, die sich unter einer neuen Dachgesellschaft namens „Global Shared Services“ wiederfinden sollen. 160 bis 180 Millionen Euro sollen dadurch eingespart werden, rechnen die Gewerkschafter vor. Ihr Buhmann heißt Lars Hölzer, ein Top-Manager, den Thyssen-Krupp angeheuert hat und der sich bei Daimler den kühlen Ruf des knallharten Sanierers erwarb.
Hölzer hatte in Stuttgart die Verlagerung von Dienstleistungsjobs nach Berlin besorgt, zum niedrigeren ostdeutschen Kfz-Tarifvertrag. Segerath hatte gegenüber dieser Zeitung vor Lohneinbußen bis zu 45 Prozent gewarnt. Eine Verlagerung in schlechtere Tarife sei mit der IG Metall nicht zu machen, sagte NRW-Bezirksleiter Knut Giesler. Im Gespräch sind ferner die Auslagerung Hunderter IT-Arbeitsplätze sowie die Verlegung von Jobs an Billigstandorte in Polen und sogar Fernost. Für die Beschäftigten ein Albtraum, besonders für die große Mehrheit, die ihren Schreibtisch am Standort Essen hat. „In der Verwaltung von Thyssen-Krupp wird hochqualifizierte Arbeit geleistet, das muss so bleiben, zu fairen Tarifen an den bisherigen Standorten“, so Giesler.
Längst geht’s in diesem zunehmend brisanteren Konflikt nicht mehr nur um Jobs und Löhne, um Verlegungen und Umstrukturierungen. Auf dem Spiel steht aus Sicht der IG Metall weitaus mehr: die Mitbestimmung; das elastische Modell der Sozialpartnerschaft, das im Konzern denselben hohen Symbolwert genießt wie die drei Ringe und der Bogen. Doch nun weist dieses in Jahrzehnten entstandene filigrane Konstrukt gefährliche Risse auf. „Wir erleben in diesem Konzern einen rasanten Kulturbruch“, warnt Willi Segerath, und fügt hinzu: „Wir müssen jeden Tag unsere Mitbestimmung verteidigen.“
Gesprächsbereitschaft signalisiert
Die Enttäuschung steht den Demonstranten auf dem weitläufigen und windigen Campus deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein Frust, der sich zunehmend auch gegen Heinrich Hiesinger richtet, den vor drei Jahren noch mit viel Vorschusslorbeer bedachten Vorstandsvorsitzenden. Willi Segerath, der Arbeiterführer, prangert die jüngste Erhöhung der Vorstandsgehälter an. Auch Betriebsrat Volker Kuns fällt ein hartes Urteil: „Heinrich Hiesinger hat seinen Kredit längst verspielt.“
Die Fronten zwischen Betriebsrat und Vorstand sind verhärtet, die Gespräche über die Umstrukturierungen wurden abgebrochen. Dennoch sendet Willi Segerath am Ende einen versöhnlichen Appell hoch droben in die Chefetage: „Lassen Sie uns gemeinsam reden und verhandeln, wir sind bereit.“ Auch der Konzern betonte seine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft.