Essen. Kennametal Widia ist gerettet. Die US-Mutter gab bekannt, dass das Werk nicht geschlossen wird. Die Belegschaft steht vor großen Einschnitten.
Das Hartmetallwerk Kennametal Widia in Holsterhausen ist gerettet. Der Essener Traditionsstandort wird nicht - wie zunächst angekündigt - geschlossen. Das gab der US-Mutterkonzern Kennametal am Dienstag in einer Pflichtmitteilung an der Börse bekannt. Wörtlich heißt es: „Nach Verhandlungen mit den lokalen Arbeitnehmervertretern hat das Unternehmen zugestimmt, anstatt die Betriebsstätte zu schließen, sie zu verkleinern.“ Das Werk in Essen werde künftig deutlich kleiner und kostengünstiger ausgerichtet. Noch im Sommer 2019 hatte das US-Unternehmen aus Pittsburgh/Pennsylvania bekanntgegeben, dass der Betrieb an der Münchener Straße bis spätestens 2021 ganz dicht gemacht werden sollte.
Doch harte und zähe Verhandlungen haben nach Aussage der örtlichen IG Metall die Geschäftsleitung in den USA schließlich zum Umdenken gebracht, betonte die zuständige Gewerkschaftssekretärin Wencke Hartjes. „Ein solcher Schritt ist wohl einmalig“, sagte sie in einer ersten Reaktion. Auch der Essener Betriebsratsvorsitzende von Widia, Peter Wunderlich, ließ am Dienstag seine Freude durchblicken: „Dass wir einen US-Konzern, der die Entscheidung schon an der Börse verkündet hatte, mit unserem Konzept doch noch überzeugen konnten, ist schon sehr außergewöhnlich.“
Etwa die Hälfte der Belegschaft muss wohl gehen
Allerdings mussten die Arbeitnehmervertreter auch deutliche Zugeständnisse machen, um den Standort vor der Schließung zu bewahren. So werden große Teile der Produktion wie geplant nach China verlagert. Damit fallen viele Arbeitsplätze in Essen weg. In einem ersten Schritt sollen laut IG Metall 100 der derzeit noch bestehenden 395 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die betroffenen Mitarbeiter stehen jedoch nicht sofort auf der Straße sondern wechseln in eine Transfergesellschaft. Weitere knapp 100 Arbeitsplätze könnten folgen, sagte Hartjes. Damit würde sich die Belegschaft im Werk halbieren. „Das ist das weinende Auge an der Geschichte. Wir sind mehrere Male über unseren Schatten gesprungen“, sagte Betriebsratschef Wunderlich.
Zudem stimmte die Gewerkschaft einer längeren Arbeitszeit zu, auch tariflich vereinbarte Prämien werden zunächst gestrichen. Dafür jedoch gibt es eine Standortgarantie. Die Vereinbarungen zwischen Gewerkschaft und Konzernleitung gelten bis 30. Juni 2022, müssen allerdings aktiv von einer Seite gekündigt werden.
Bei den Verhandlungen mit dem US-Management saß auch der ehemalige Betriebsratsvorsitzende und Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Freye mit am Tisch. „Wir haben zum Teil heftig über Zahlen gestritten. Das ging schon sehr ins Detail“, sagte er. Die nun erzielte Rettung des Werkes sei ohne Zweifel ein Erfolg, die Zugeständnisse seien jedoch bitter, betonte auch er.
Stimmung in der Belegschaft gespalten
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In der Belegschaft sickerte die Nachricht aus den USA im Laufe des Tages durch, offiziell wurden die Mitarbeiter aber erst in der Nachtschicht am Dienstagabend beziehungsweise am Mittwochmorgen zur Frühschicht informiert. Am Donnerstag soll es dann eine Betriebsversammlung geben. „Die Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, sind erstmal erleichtert, dass es hier weiter geht“, sagte Betriebsratschef Wunderlich. Allerdings sei die Freude auch gedämpft gewesen.
Der traditionsreiche Hersteller von Hartmetallwerkzeugen Widia ist seit vielen Jahren Kummer gewohnt. Das Unternehmen hat seit 1994, als die ehemalige Krupp-Tochter zunächst vom US-Unternehmen Cincinnati Milacron und dann 2002 von Kennametal übernommen wurde, mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze eingebüßt. Schon vor zwei Jahren kämpfte der Betriebsrat gegen die Verlagerung zweier Produktionsabteilungen. Mit einem Teilerfolg. Die Stäbefertigung, ein Herzstück der Produktion, blieb in Essen. Nach der jüngsten Entscheidung nun hofft die IG Metall, dass die Belegschaft die Chance bekommt, neue Produkte zu entwickeln und sie sich somit eine sichere Zukunftsperspektive erarbeiten kann.