Essen. Sollte die Widia-Produktion in Essen 2021 eingestellt werden, endet eine fast hundertjährige Tradition. Werkstoff war für Krupp mal sehr wichtig.

Als es nach dem Ersten Weltkrieg erst einmal vorbei war mit der Waffenschmiede Krupp, kam die bange Frage auf: Womit verdienen wir künftig unser Geld? Innovative neue Werkstoffe – das war eine der Antworten, die sich langfristig als erfolgreich erwies. Das Hartmetall Widia gehörte ab 1926 dazu.

Wie es zu dem einprägsamen Namen kam, ist legendär: Es war der 15. Dezember 1925, als der Leiter der Kruppschen Forschungsanstalten, Benno Strauß, mit dem firmeneigenen Justiziar Rudolf Preußing telefonierte, der bei Krupp für Patentrechte zuständig war. Bei dem Gespräch geht es auch um einen Namen für ein neues Hartmetall, das auf Wolframkarbid-Basis hergestellt wird und das noch „Hartmetall B“ heißt. Preußing kritzelt auf einen Briefumschlag den Namen „Widia“, was nichts anderes heißen soll als: Hart wie Diamant.

Der Name Widia stellte sich als besonders eingängig heraus

Für die Essener Industriegeschichte war es ein historischer Tag, denn damit war der Grundstein für einen der größten Betriebe in der Stadt gelegt. Dabei ist das Hartmetall nicht einmal bei Krupp erfunden worden. Das Unternehmen hatte das technische Patent von der Berliner Osram-Studiengesellschaft erworben. Der Name Widia sollte die Eigenschaft dieses „Wundermetalls“ beschreiben. Vor allem aber stellte er sich als eingängig heraus, ähnlich wie der „Nirosta“-Stahl von Krupp, der auch seine Eigenschaft im Namen trug. Krupp hat sich früh auf Marketing verstanden, als andere Unternehmen kaum wussten, was das eigentlich ist.

Am 17. Dezember 1925 beantragte Krupp jedenfalls Markenschutz für Widia. Und schon kurz danach begannen die Entwicklungsarbeiten im Labor an der Frohnhauser Straße und wenig später startete auch die Produktion des Werkstoffes, der schon bald die Werkzeugtechnik revolutionieren sollte.

Die Widia-Fabrik an der Münchener Straße um 1950.
Die Widia-Fabrik an der Münchener Straße um 1950. © Foto: Historisches Archiv Krupp

Goldgräberstimmung kam zu Beginn der Entwicklung aber nicht so schnell auf. Als die Kruppianer ihre ersten Werkzeuge auf der Frühjahrsmesse in Leipzig 1927 vorstellten, da applaudierte die Fachpresse mit gebremster Euphorie. Man traute dem neuen Werkstoff noch nicht über den Weg, Krupp erhielt zunächst immer nur dann Aufträge, wenn die Demonstrationen vor Ort beim Kunden Erfolg hatten.

Widia half Krupp vor allem in Krisenzeiten

In den Folgejahren aber entwickelte sich Widia für Krupp zu einem bedeutenden Standbein, vor allem mit dem Markteintritt in den USA. Widia half somit dem Konzern, sich für Krisenzeiten breiter aufzustellen. In Spitzenzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg zählte das Unternehmen mehr als 3000 Mitarbeiter in Essen.

In all den Jahrzehnten hat sich am Prinzip der Produktion wenig geändert. Immer noch werden aus dem Ausgangsstoff Wolframkarbid Legierungen aus Sinterhartmetall hergestellt und daraus hochspezialisierte Werkzeuge gefertigt. Weil Widia härter ist als Stahl, lässt sich dieser gut und verschleißarm mit den Widia-Werkzeugen bearbeiten.

Widia-Werkzeuge werden in alle Welt exportiert

Krupp setzte das Hartmetall 1926 zunächst für Ziehsteine bei der Drahtherstellung ein, 1927/1928 kamen aber bereits die ersten Werkzeuge wie Bergbaumeißel hinzu. Über 90 Jahre später hat sich Widia vor allem auf Fräswerkzeuge spezialisiert, die die Automobilindustrie, der Maschinenbau und die Luftfahrttechnik verwenden. Heute sind die Widia-Werkzeuge führend in der Kurbelwellenbearbeitung und werden in Europa, nach China und die USA exportiert.

Werbeplakat aus den 1930er Jahren.
Werbeplakat aus den 1930er Jahren. © Foto: Historisches Archiv Krupp

Seit 2002 prangt der Name Kennametal mit am Werkstor. Damals hatte das US-Unternehmen die Essener vom amerikanischen Werkzeugmaschinen-Hersteller Cincinnati Milacron übernommen. Schon sieben Jahre zuvor hatte sich Krupp von Widia getrennt, und Sparten wie die Magnettechnologie und die Medizintechnik abgespalten. Was blieb, war die Werkzeugfertigung unter dem Namen Widia. Der Verkauf war eine Zäsur auch für die Mitarbeiter, die traditionell mit dem Namen Krupp verbunden waren.

Automatisierung führte zu raschem Arbeitsplatzabbau

Kennametal investierte zunächst in neue Maschinen, die zunehmende Automatisierung trug jedoch mit dazu bei, dass die Zahl der Mitarbeiter stetig sank. Dennoch blieb Widia einer der größten Industriebetriebe in Essen - und ist es bis heute.

Die alte Industriestadt Essen, die kaum noch als solche gelten kann, muss nun aber offenbar bald von einem weiteren Unternehmen dieser Art Abschied nehmen.