Essen. Einen neuen Höchstwert gab es 2019 bei der Zahl gefundener Weltkriegsbomben in Essen. Es ist nicht abzusehen, dass es künftig weniger werden.
Die Zahl der Blindgängerfunde könnte im Jahr 2020 in Essen eine neue Höchstmarke erreichen. Denn es wird im Essener Stadtgebiet so viel gebaut wie selten zuvor. Bereits im abgelaufenen Jahr 2019 gab es so viele Bomben-Entschärfungen wie nie – gezählt wurden 24 Entschärfungen, weit mehr als in den Vorjahren.
„Das Jahr 2019 war das Jahr der Bombenfunde“, resümiert Feuerwehr-Sprecher Mike Filzen. 14 waren es im Jahr 2018, neun im Jahr 2017, acht im Jahr 2016.
Große Baustellen sind Schwerpunkte bei Bombenfunden
Im Januar 2019 ging es mit einer Blindgänger-Entschärfung auf dem Gelände der Bezirkssportanlage Frintrop los und endete am 27. November mit zwei Funden auf einem Freigelände im Stadtteil Burgaltendorf. Zu den aufwändigsten Entschärfungen zählten zwei Blindgänger-Funde im September an der Eckenbergstraße in Kray und im November an der Schönscheidtstraße im gleichen Stadtteil – in beiden Fällen musste die Autobahn A40 im Berufsverkehr gesperrt werden. Als weiterer Schwerpunkt für Funde und Entschärfungen stellte sich das Baugebiet des neuen Stadtquartiers „Essen 51“ westlich der Innenstadt heraus: Dort kam es zu Einsätzen zweimal im März und einmal im April. Auch die Arbeiten der Stadtwerke, die neue unterirdische Rohre verlegen, führten zu Blindgängerfunden – das war zweimal im Mai im Ostviertel.
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Säurezünder sind besonders tückisch
Registriert werden übrigens nur jene Bombenfunde, bei denen der Blindgänger noch über einen Zünder verfügt und somit noch eine Gefahr darstellt. In 90 Prozent der Fälle, berichtet Feuerwehr-Sprecher Mike Filzen, handelt es sich um Aufschlag-Zünder, in zehn Prozent um tückische Säure-Zünder. Sie gelten als unberechenbar. Bomben mit Säure-Zündern wurden im Zweiten Weltkrieg von den Briten und Amerikanern abgeworfen, um die Bevölkerung verzögert zu treffen – sie sollten nicht direkt, sondern erst eine gewisse Zeit nach den Luftangriffen explodieren.
Seit 2014 werden Bomben in Essen „unverzüglich“ entschärft
Im Jahr 2014 wies die Bezirksregierung Düsseldorf die Städte an, dass Blindgänger „unverzüglich“ entschärft werden müssen – in der Vergangenheit hatten Kommunen wie Essen oft mehrere Tage zwischen Bombenfund und Entschärfung vergehen lassen, um in Ruhe Evakuierungs- und Sperrungspläne aufzustellen. Das ist heute so nicht mehr möglich. Entsprechend tritt bei einem Fund sofort ein Krisenstab zusammen, der aus Vertretern von Polizei, Feuerwehr, Ordnungsamt und Rettungsdiensten besteht. Das ist vor allem dann kritisch, wenn Bomben in dicht besiedelten Gebieten entdeckt werden – wie im Februar 2018, als in Altenessen ein ganzes Altenheim geräumt werden musste oder, wie im Februar 2019, als mitten in Rüttenscheid an der Gummertstraße eine Bombe gefunden wurde.
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Rege öffentliche Bautätigkeit geht noch mindestens drei Jahre
Auch im neuen Jahr ist die Bautätigkeit in Essen rege wie selten: „Wir haben die höchste Investitions-Rate seit zwölf Jahren“, berichtet Essens Umweltdezernentin und ehemalige Baudezernentin Simone Raskob. „Und das wird mindestens in den nächsten drei Jahren auch so weitergehen – allein, was die städtischen Investitionen angeht.“ Bis zum Jahr 2022 würden von der Stadt Essen rund 300 Millionen Euro in öffentliche Gebäude und die gesamte Infrastruktur gesteckt. „Das liegt vor allem an Förderprogrammen wie den ,Kommunalinvestitionsgesetzen’.“ Und mit dem Programm „Gute Schule 2020“ werde derzeit massiv in die Essener Schulgebäude investiert – die Folge: Gleich zwei Blindgänger wurden im April 2019 auf dem Gelände der Bertha-Krupp-Realschule in Frohnhausen gefunden.
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Für Entschärfungen müssen andere Arbeiten warten
Wie Bomben gefunden werden
Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg werden nicht nur zufällig bei Bauarbeiten gefunden. Sondern auch immer dann, wenn in der Bezirksregierung Luftbilder gesichtet werden, die kurz nach den Luftangriffen von den Alliierten geschossen wurden. Auf den Luftbildern sieht man sehr genau die Einschlaglöcher der Bomben.
Wer auf einem Grundstück bauen will, ist dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass im Boden keine Blindgänger lauern und muss deshalb eine so genannte „Sondierung“ bei der Bezirksregierung beantragen. Stößt man bei Probe-Bohrungen auf Metall, geht man von einem Blindgänger aus.
Jeder Blindgängerfund fordert einen erheblichen Personal- und Materialeinsatz, betont Feuerwehr-Sprecher Mike Filzen: „Allein bei der Altenheim-Räumung in Altenessen im Februar 2018 waren rund 300 Kräfte vieler verschiedener Institutionen im Einsatz.“ So kämen Einsatzstunden zusammen, die am Ende für andere Arbeit fehlten: „Wenn ein Blindgänger gefunden wird, ist die Feuerwehr zwar trotzdem noch in der Lage, aktuelle Brände zu bekämpfen“, stellt Filzen klar. Aber: „Die vorbeugende Arbeit beim Brandschutz, zum Beispiel, was routinemäßige Gebäude-Begehungen angeht, bleibt dann liegen.“ Doch Alternativen zum derzeitig praktizierten Vorgehen gebe es nicht: „Wir müssen immer damit rechnen“, sagt Filzen, „dass bei der Entschärfung etwas schief geht“.