Essen. Familie Bližnjaković feiert erleichtert Weihnachten. Tochter Nina hat den Krebs besiegt. Spenden vieler Essener haben die Therapie ermöglicht.
Den Baum hat Familie Bližnjaković gemeinsam geschmückt. Goldene Kugeln und Sterne hängen zwischen dichtem Tannengrün. Davor stehen Weihnachtswichtel, die ihre spitzen Strickmützen bis zu den Knollennasen heruntergezogen haben. Selbst die Weihnachtsdekoration ist in diesem Wohnzimmer mit einem Augenzwinkern arrangiert. Familie Bližnjaković lacht gerne und viel. Ohne eine positive Einstellung hätte sie die lebensgefährliche Krankheit von Tochter Nina wohl auch niemals gemeistert. Die 17-Jährige hat den Krebs besiegt. Zahlreiche Essener haben mit ihren Spenden geholfen, dass alles wieder gut wird und die Behandlung bezahlt werden konnte. „Wir möchten Danke sagen.“ Bei diesem Satz stockt Ninas Mutter Lidija (37) die Stimme.
Welle der Hilfsbereitschaft
Ninas Schicksal hat viele Menschen in und um Essen berührt. Eineinhalb Jahre lang lief eine Spendenaktion. Große Teile der teuren Krebsbehandlung musste die Familie privat finanzieren.
Neben der serbisch-orthodoxen Gemeinde St. Stephanus haben sich auch etliche Privatpersonen engagiert. Allein das Maria-Wächtler-Gymnasium hatte mit einem Sponsorenlauf 16.000 Euro für Ninas Behandlung zusammengetragen.
Es ist fast zwei Jahre her, dass ihre damals 15-jährige Tochter in der bosnischen Heimat eine niederschmetternde Diagnose bekommen hat. Die ständige Müdigkeit, das Fieber und die Kopfschmerzen hatten eine ernste Ursache: Leukämie, Blutkrebs also. Wäre Nina dort geblieben, vermutlich wäre sie heute nicht mehr am Leben. „Versuchen Sie’s im Ausland, haben die Ärzte gesagt“, erzählt Micó Blagojević. Der junge Mann engagiert sich in der serbisch-orthodoxen Gemeinde St. Stephanus und begleitet die Familie durch ihren Alltag in Deutschland, diesem fremden Land, in dem sich die Bližnjakovićs immer besser zurechtfinden.
Kleine Wohnung für die Familie von Essener Spenden finanziert
Nina streicht sich ihre nachgewachsenen dunkelblonden Haare aus der Stirn. Ihr Weihnachtswunsch? Sie hält kurz inne. „Ich möchte endlich dauerhaft die Schule besuchen und richtig Deutsch lernen.“ Große Teile der letzten Monate hat sie im Krankenhaus verbracht. Als sie auf eine Knochenmarkspende vorbereitet wurde, sogar in der Isolation. Weil sie gut Englisch spricht, konnte sie immer ihre Fragen loswerden. Auch als ihre Haare ausfielen. Oder als sie verzweifelt im Krankenzimmer saß und Angst hatte, zu sterben.
Wenige Kilometer von der Uniklinik entfernt hatten Schwester Tea (heute 12) und die Eltern Lidija und Stanko (44) eine 43 Quadratmeter kleine Wohnung in der vierten Etage eines Mehrfamilienhauses bezogen, was viele hilfreiche Essener durch ihre Geldspenden möglich gemacht haben. „Wir wollten Nina nicht alleine in Deutschland lassen“, sagt die Mutter. Und Kümmerer Micó Blagojević erzählt von einer schweren Zeit, gerade für die Eltern. „Sie sind krank geworden vor Kummer.“ Umso besser geht es allen, seit sie wissen, dass Nina gesund wird. Auf die Therapie an der Uniklinik hat sie gut angesprochen. So gut, dass sie seit wenigen Wochen das Berufskolleg West besuchen kann und nur noch ab und zu in die Klinik muss.
Familie Bližnjaković weiß nicht, wie lange sie noch in Deutschland bleiben darf
Lidija und Stanko lernen gerade Deutsch. Töchterchen Tea spricht es schon fast perfekt. Sie geht zum Maria-Wächtler-Gymnasium und sagt heute: „Ich habe inzwischen mehr Freunde hier als in Bosnien.“ Dabei sei sie von dem Umzug damals überrumpelt worden: „Ich wusste zwar, dass Nina schwer krank ist, aber trotzdem war mir nicht klar, was los ist, als wir von Oma und Opa und allen Freunden weggegangen sind.“
Tea würde gerne im März mit ihrer Klasse zur Skifreizeit fahren. „Aber es ist unsicher, ob die Familie dann noch in Deutschland sein wird. Sie haben Bleiberecht bis Februar, danach müssen sie schauen, was passiert. Bosnien ist kein Teil der EU“, sagt Micó Blagojević. Die Eltern möchten Jobs annehmen, doch sie dürfen es nicht. Sie haben keine Arbeitserlaubnis. Obwohl sie als Pflegerin arbeiten würde und er als Handwerker und beides hier gesucht wird. Doch Familie Bližnjaković möchte gar nicht jammern. „Wir haben so viel Glück gehabt“, sagt Mutter Lidija und nimmt ihre Tochter Nina in den Arm.
Jeden Abend bauen die beiden Schwestern das Wohnzimmer der kleinen Wohnung zu ihrem Schlafzimmer um. Bevor sie das Licht ausmachen, fällt ihr letzter Blick auf ein gerahmtes Foto, das eine lachende Nina neben ihrer Krebsärztin und Lebensretterin zeigt. Und auf die Weihnachtswichtel.