Essen. Fehlt vielen Flüchtlingen die Bereitschaft Deutsch zu lernen, sich zu integrieren? Ein früherer Essener Flüchtlingshelfer erntet Widerspruch.
Mit seinem öffentlich begründeten Rückzug aus der Flüchtlingshilfe hat der Essener Jens Wientapper viel Widerspruch herausgefordert. „Wir haben andere Erfahrungen gemacht“, erklärte zum Beispiel Essens Caritasdirektor in einer Replik. Stellvertretend für viele Ehrenamtliche, die sich persönlich betroffen fühlten, soll hier Gisela Borrmann-Heimannsberg vom Runden Tisch Holsterhausen zu Wort kommen.
Die pensionierte Lehrerin hat aus Wientappers „Rundumschlag“ vor allem „Verallgemeinerungen und persönliche Bitterkeit“ gelesen – beides eigne sich wenig, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn die Flüchtlinge, denen Wientapper mangelnde Eigeninitiative und Bereitschaft zum Deutschlernen unterstelle, erreiche er so nicht. Aber: „Sie gießen Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen, und außer den Geflüchteten schaden Sie damit auch uns anderen Ehrenamtlern.“
„Wer im Integrationskurs fehlt, riskiert viel“
Was die konkrete Kritik angeht, sagt sie, dass man unterscheiden müsse zwischen den offiziellen Integrationskursen und den von Ehrenamtlichen organisierten Deutschkursen: Letztere hätten 2015 bis 2017 als Einstiegsangebot in Flüchtlingsunterkünften stattgefunden, für Menschen, die eben erst hier angekommen waren. Niemand könne da die Verbindlichkeit eines Schulbesuchs erwarten, sagt Borrmann-Heimannsberg, die selbst etliche solcher Kurse mitorganisiert hat.
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Dagegen seien die Integrationskurse entscheidend für die Aufenthaltsverlängerung: „Wer hier fehlt oder nicht besteht, riskiert viel.“ Anders gesagt: Verweigerung werde bereits sanktioniert, wenn auch nicht mit Kürzung der Sozialleistungen, wie Wientapper es vorgeschlagen hatte.
Freilich gebe es auch Flüchtlinge, die noch nicht sicher seien, ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben wollten. Ihnen müsse man Zeit geben, „mehr Zeit als wir anfangs dachten“, sagt Gisela Borrmann-Heimannsberg. Leider lähme das Hin- und Hergerissensein zwischen Heimat- und Fluchtland die Energie und Lernbereitschaft. Wie gut die Integration gelinge, hänge naturgemäß auch von Alter, Bildung und Herkunft ab. Sie habe außerdem beobachtet, dass Menschen, die auch nach ihrer Flucht weiter unter großer Angst leiden, sich hierzulande an die eigenen Landsleute halten: „Angst schweißt die Community zusammen.“
Ehrenamtliche geraten an ihre Grenzen
Auch Gisela Borrmann-Heimannsberg, die wie Jens Wientapper zu den Flüchtlingshelfern der ersten Stunde zählt, hat Enttäuschungen erlebt. Warum dem einen der Spracherwerb mühelos gelinge und der andere sich – scheinbar – verweigere, habe sie erst in vielen Gesprächen mit Betroffenen sowie in Fortbildungen gelernt. Sie teile daher auch Jens Wientappers Urteil nicht, dass es von städtischer Seite zu wenig Hilfe für die Ehrenamtlichen gebe.
In der Anfangszeit habe man die Helfer alleingelassen: „Oftmals wurde unsere ehrenamtliche Arbeit nicht anerkannt, ja sogar – etwa im Zeltdorf Planckstraße – als Störfaktor angesehen.“ Aber seit 2018 gebe es viel Unterstützung von städtischen, karitativen und kirchlichen Organisationen: „Man kann heute nicht mehr sagen, dass wir keine Anlaufstellen haben, und wir können uns sogar Supervision holen, wenn wir das möchten.“
Debatte nach öffentlichem Abschied von der Flüchtlingshilfe
Am 23. November 2019 erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ der Artikel „Schwere Lektion“. Darin schildert der Essener Jens Wientapper, warum er nicht mehr als Ehrenamtlicher in der Flüchtlingshilfe arbeitet. Namentlich kritisiert er die geringe Bereitschaft vieler Flüchtlinge, Deutsch zu lernen.
Essens Caritas-Direktor Björn Enno Hermans reagierte darauf mit einer Stellungnahme, in der betonte, dass man die Erfahrungen von Jens Wientapper nicht verallgemeinern dürfe. Sowohl Haupt- als auch Ehrenamtliche hätten die Arbeit mit den Flüchtlingen vielfach als „respektvoll und unterstützend“ erlebt.
Trotzdem sei die ehrenamtliche Integrationsarbeit so schwierig, „dass wir oft an unsere Grenzen kommen“, räumt die frühere Lehrerin ein. Wie Jens Wientapper kenne auch sie „Geflüchtete, die kein Interesse am Lernen, an Ausbildung, an Integration haben und sich weitgehend in der arabischen Community aufhalten“. Das sei nicht nur für die Ehrenamtlichen schwer zu ertragen – sondern auch für jene integrationswilligen Flüchtlinge, „die unter diesen Landsleuten leiden“. Man dürfe aber nicht die Fehler wiederholen, die man in den 1980er und 90er Jahren bei der Integration gemacht habe.
„Wir werden nur einen Teil der Flüchtlinge integrieren können – die anderen leben hoffentlich friedlich neben uns“
Man müsse sich wohl, glaubt Borrmann-Heimannsberg, damit abfinden, dass man mit allen Angeboten und Maßnahmen nur einen Teil der Flüchtlinge erreichen könne, „dass wir nur einen Teil von ihnen nach unseren westeuropäischen Vorstellungen integrieren können. Der andere Teil wird hoffentlich friedlich neben uns in Deutschland leben“.
Ehrenamtlich an der Integration mitzuwirken, sei jedenfalls eine immens sinnvolle und notwendige Aufgabe. „Eine Aufgabe, mit der wir ein ganz kleines bisschen dazu beitragen können, dass sich rassistisches und faschistisches Denken in unserer Demokratie nicht weiter ausbreiten.“