Essen-Freisenbruch. Wild, spannend, kreativ: Zwei Macherinnen verabschieden sich nach vier Jahrzehnten aus dem Bürgerhaus Oststadt, vom Viertel und seinen Menschen.
Zwei Semester Physik reichten für Marita Schimnatkowski völlig aus, um festzustellen, dass sie sich beruflich lieber Menschen als Atomen widmen möchte. Genau das hat sie 34 Jahre lang getan: Am 1. Dezember steht für die Diplom-Sozialpädagogin nun der Abschied im Bürgerhaus Oststadt bevor. Hinter ihr liegen dann wilde, spannende und kreative Zeiten, in denen die 65-Jährige den Treff mitgeprägt und dabei auf die Entwicklungen im Bergmannsfeld sowie seiner Bewohner reagiert hat: „Wir waren immer dicht am Puls des Stadtteils und nah am Menschen.“
Bürgerhaus Oststadt wird zur Großbaustelle
Das Bürgerhaus Oststadt, Schultenweg 37-41, wird für rund ein Jahr geschlossen bleiben, weil eine Generalsanierung ansteht.
„Ich hätte diese Phase sehr gern mit begleitet“, sagt Marita Schimnatkowski über die Zeit, in der allerdings Kurse und Gruppen ausgelagert und Mitarbeiter mitunter in Containern arbeiten werden. Liane Humberg wiederum ist sehr froh, dass sie die Bauphase verpasst: „Das bedeutet bestimmt auch viel Stress.“
In den Ruhestand vorausgegangen ist ihr bereits Liane Humberg (66), die schon kurz nach der Eröffnung des Hauses 1976 als Erzieherin zum Team zählte. Und so werden langjährige Besucher gleich zwei vertraute Gesichter („man nannte uns schon Zwillinge“) nicht mehr antreffen, wenn sie zu Sprach- oder Sportkursen, zum Frühstück oder Töpfern, zu Tanz oder Theater kommen.
Bürgerhaus Oststadt: Erste Jahre mit Disco, langen Schlangen und Polizeieinsätzen
In den ersten Jahren der beiden pädagogischen Mitarbeiterinnen, da quetschten sich noch 200 Jugendliche in die Kellerdisco, bildeten sich Schlangen bis zur Straße bei Kursanmeldungen, rauchten die Schachspieler so stark, dass man kaum den König auf dem Brett erkannte und Polizeieinsätze gehörten jede Woche zum Programm, erinnern sich die beiden. Auch das Aufeinandertreffen von Jung und Alt sei nicht immer einfach gewesen, rüde Bemerkungen blieben nicht aus.
„Wir standen vor der Herausforderung, verschiedene Interessen unter diesem Dach zu vereinen“, erinnert sich Marita Schimnatkowski, die schon bei ihrem Bewerbungsgespräch völlig überwältigt von der Architektur und dem offenen Eingangsbereich des Hauses gewesen ist, in dem gleichzeitig Räume fehlten. So haben sie die große Halle bespielt, den Frühstückstreff in diesen Bereich ausgedehnt, dort Wechselausstellungen etabliert („schon wegen der Versicherungen ein Kraftakt“) und bei allen Angeboten stets geschaut, was sich gerade in dem Viertel tut, das durch seine Hochhäuser geprägt ist.
Heute leben Menschen aus rund 30 Nationen in dem Viertel
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„Dort lebten anfangs Bewohner, die etwa aus Afghanistan oder als Spätaussiedler aus Polen kamen sowie viele tamilische Familien“, beschreibt Liane Humberg. Heute sind es Menschen aus rund 30 verschiedenen Nationen, die im Quartier eine neue Heimat und im Bürgerhaus eine Anlaufstelle gefunden haben. „Viele unsere Besucher kannten wir als Mädchen, nun kommen sie als Mütter zu uns“, sagt sie. Generationen seien an ihnen vorbeigezogen.
Und die Mitarbeiterinnen hatten immer ein offenes Ohr für kleine Erfolge, wenn sie die Menschen im Alltag haben unterstützen können. Sie hörten aber auch dann zu und halfen, wenn in einer muslimischen Familie der Respekt der Söhne gegenüber der Mutter fehlte, es um Gewalt in der Ehe ging oder den Säugling die Neurodermitis quälte.
Zusammenarbeit mit Schulen, Kitas und der Stadtteilbibliothek
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„Unsere Arbeit hat sich mit dem Stadtteil stets gewandelt, wir haben immer wieder neue Konzepte aufgestellt, konnten kreativ arbeiten und vieles ausprobieren“, sagt Marita Schimnatkowski rückblickend. Und was mitunter „hochnotpeinlich“ begann wie die ersten Theateraufführungen, zu der gerade mal zwei Besucher kamen, hat sich inzwischen längst etabliert. Dazu gehören ebenso die außerschulische Bildung und die Zusammenarbeit mit Schulen, Kitas und der Stadtteilbibliothek, die sich im Bürgerhaus selbst befindet.
Ob Krabbel- oder Jugendgruppe, die Wochenendfahrten mit den Frauen oder die Treffen, die sie auf die Schlittschuhbahn und an den Stammtisch verlagerten, „die Arbeit war so viele Jahre spannend und befriedigend, weil wir etwas für Menschen gemacht haben“, sagt Liane Humberg, damit könne keine Karriereleiter und keine Gehaltsstufe konkurrieren. Gleichzeitig lobt sie ihr wunderbares Team, das über Inhalte durchaus habe heftig streiten könne, um dann im Sinne des Stadtteils ans einem Strang zu ziehen.
Der Kontakt der ehemaligen Kolleginnen wird bleiben
„Liane hat mich manches Mal auf den Teppich geholt“, erinnert sich Marita Schimnatkowski. Natürlich vermisse sie ihre langjährige Kollegin im Alltag. Für beide steht ohnehin fest, dass sie sich nicht aus den Augen verlieren werden – und auch vom Bürgerhaus können sie sich nicht recht trennen. Liane Humberg besucht regelmäßig den Nähkurs – als Teilnehmerin. Und Marita Schimnatkowski hat sich bereits als Honorarkraft angeboten. Sollte das klappen, wird sie wieder bei Wind und Wetter mit ihrem Roller nach Freisenbruch kommen – so wie sie es in den vergangenen 34 Jahren getan hat.
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