Essen. Sunderland ist Essens älteste Partnerstadt. Die Städte-Ehe besteht seit 70 Jahren. Nach Höhen und Tiefen gibt es trotz Brexit neue Impulse.
Vier Jahre zuvor hatten sie noch in Schützengräben gelegen und sich gegenseitig umgebracht. Dass sich Deutsche aus Essen und Engländer schon im Oktober 1949 freundschaftlich die Hände reichten, glich damals einem kleinen Wunder. Die Freundschaft mit der ersten von sieben Partnerstädten Essens währt seit genau siebzig Jahren. Bei den Anfängen gaben die Ruinen des Zweiten Weltkriegs die Kulisse, jetzt stellt der Brexit die Städtepartnerschaft auf eine neue Probe. Doch selbst wenn die Briten der Europäischen Union Good bye sagen, wird die Städte-Ehe Essen – Sunderland nicht in die Brüche gehen. Beide Städte haben sich versprochen, die Städtepartnerschaft weiterzuführen und vor allem die jungen Menschen einzubinden.
OB nimmt Ende November mit Ratsdelegation am Festakt in Sunderland teil
In den nächsten Wochen wird dies- und jenseits des Ärmelkanals erst mal gefeiert: nicht ausgelassen und in Champagnerlaune, sondern eher besinnlich und zufrieden. Oberbürgermeister Thomas Kufen hat alle Essener Ehemaligen, die in den sieben Jahrzehnten an dem Austausch mitgewirkt haben, am 23. Oktober ins Rathaus eingeladen. Ausgestrahlt wird dann auch eine Videobotschaft von Graeme Miller, dem Vorsitzenden des Stadtrates von Sunderland. Am 28. November macht sich eine Essener Ratsdelegation auf den Weg in die nordenglische Partnerstadt. Im Rathaus wird ein offizieller Festakt stattfinden, außerdem nimmt die Delegation teil an der gemeinsamen Sitzung des dortigen Stadtrates und Jugendparlamentes.
Von einer Liebesheirat war 1949 übrigens keine Rede, eher von einer von oben verordneten Vernunftehe. Ein weitsichtiger Erziehungsoffizier der britischen Militärregierung verfügte damals, dass die vom Bergbau geprägten Ruhrgebietsstädte Städtepartnerschaften eingehen sollten – bevorzugt mit den Kohlestädten im englischen Norden. So kam Gelsenkirchen mit Newcastle zusammen, Bochum mit Sheffield und Essen mit Sunderland.
Annette Jäger fährt mit 19 nach England, Jahrzehnte später kehrt sie als Essener Oberbürgermeisterin zurück
Eine der ersten Essenerinnen, die sich schon 1956 – gerade zehn Jahre nach Kriegsende – mit viel Enthusiasmus am Austausch beteiligte, war Annette Jäger, die spätere Oberbürgermeisterin. Mit 19, damals Auszubildende im Rathaus, setzte sie zusammen mit 17 anderen Essenern im Schiff über. 120 Mark kostete der Trip. Viel Geld für die junge Frau, die außer Essen nur das Sauerland kannte. Feindseligkeiten habe sie nicht gespürt, dafür viel Wärme in der Gastfamilie. „Alle nahmen uns freundlich auf.“
Nach dem Zauber des Anfangs mit vielen unvergesslichen Begegnungen von Schülern und Jugendlichen, von Theatergruppen und Chören, von Feuerwehrleuten und Sportlern war es in den letzten Jahren ruhig geworden um die Städtepartnerschaft. Fast schon zu ruhig. Als sich dann sogar die ersten englischen Städte von den deutschen Partnern lossagten, kam auch in Essen eine gewisse Unruhe auf. Die sich allerdings rasch legen sollte.
Mehr noch: Seit einem Jahr beginnt sogar das zarte Pflänzlein des zwischenzeitlich beendeten Schüleraustauschs wieder zu blühen. Vor einem Jahr haben das Theodor-Heuss-Gymnasium Kettwig und das Sunderland College einen Schüleraustausch im Bereich Wirtschaftsenglisch beschlossen. „Eine erfrischende Entwicklung“, frohlockt Michael Theisen, als Referent im OB-Büro zuständig fürs Internationale. Es sei seit Jahrzehnten die erste neue Schulpartnerschaft – „die Kettwiger waren dieses Jahr schon zwei Mal in Sunderland“.
Experten beider Städte arbeiten im europäischen Netzwerk „Euro Cities“ zusammen
Ebenso geräuschlos wie effizient funktioniert die Zusammenarbeit im europäischen Netzwerk „Euro Cities“. Experten beider Städte tauschen sich aus über aktuelle Themen wie Erneuerbare Energie. Sunderland, ganz weit vorne in der Digitalisierung, sucht kompetente Partner in Essen, dessen Ruf als Energie-Hauptstadt auch auf der Insel bekannt ist. Auch Wirtschaftsförderer und die Jugendämter stünden in engem Austausch.
Ordnungsdezernent Christian Kromberg bemüht sich zurzeit, die Jugendfeuerwehren beider Städte zusammenzubringen. „Neulich hat eine Musikband angefragt, um Kontakte mit Musikern aus Sunderland zu knüpfen“, berichtet Theisen. Entwicklungen, die leisen Optimismus verbreiten. „Mit neuen Impulsen kann es uns gelingen, diese alte Städtepartnerschaft zu revitalisieren.“