Essen. Fast 2000 Geduldete leben in Essen – nun will die Stadt alle Fälle prüfen. Wer unbescholten und integriert ist, soll eine Bleibe-Chance bekommen.
Die Stadt Essen will die Bleibe-Chancen für Ausländer, die hier bislang nur geduldet sind, deutlich verbessern. So werde das Ausländeramt nach und nach alle derzeit 1946 Duldungsfälle „rechtlich überprüfen“. Der Fokus solle dabei auf jenen Personen liegen, „die gute und nachhaltige Integrationsbemühungen erkennen lassen, denen bisher aufgrund der fehlenden Identitätsdokumente lediglich eine Duldung erteilt werden konnte“, heißt es in einer Vorlage, die am Mittwoch (9. Oktober) im Ordnungsausschuss behandelt wurde.
In vielen Familien wird die Duldung vererbt
Die Klärung ihrer Identität stellt viele Geduldete vor unlösbare Probleme. Regelmäßig scheitern daran sogar Jugendliche, die in Essen geboren und/oder aufgewachsen sind. Die Duldung wird quasi vererbt, weil ihre Eltern einst ohne Papiere nach Deutschland eingereist sind. Besonders betroffen sind davon Familien, die aus dem Libanon nach Essen kamen.
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Mit dem 2016 gestarteten „Essener Modell“ hat die Stadt in Abstimmung mit dem Land bereits den kurdisch-libanesischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 27 Jahren ein Angebot gemacht: Wer regelmäßig die Schule besuche, eine Ausbildung mache oder einer Arbeit nachgehe und nicht straffällig sei, dem wolle man einen Weg aus der Duldung weisen. Freilich verlangte man auch ihnen bzw. ihren Eltern ab, sich zumindest um eine Passbeschaffung in den Heimatländern zu bemühen.
„Die Aufenthaltserlaubnis gibt’s nicht zum Nulltarif“
Außerdem erwartete die Stadt von den jungen Essenern, die eng vom Jugendamt begleitet wurden, Integrationsbemühungen wie die Mitgliedschaft in einem Verein oder ein Ehrenamt. Für die Jugendlichen, „die den langen, schwierigen Weg erfolgreich bewältigen, kann am Ende eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis stehen“, betonte Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Später sei sogar die deutsche Staatsangehörigkeit denkbar, was allerdings „viel Mittun“ voraussetze.
Zwar nahmen von 462 libanesisch-kurdischen Kandidaten letztlich nur 53 am Projekt teil, dennoch soll auch Geduldeten aus anderen Ländern jetzt ein ähnlicher Weg eröffnet werden. Darum solle sich die Ausländerbehörde sämtliche fast 2000 Fälle von Geduldeten ansehen, die zum Teil seit Jahrzehnten alle paar Monate ihre Duldung verlängern lassen müssen und gefühlt bis heute ein Leben auf Abruf führen. „Wir bieten ihnen ein Anreizelement, aus der Kettenduldung zu kommen“, sagt Kromberg. Er sei überzeugt, dass viele der Betroffenen diese Chance nutzen würden: „Klar ist aber auch, dass die Aufenthaltserlaubnis nicht zum Nulltarif zu haben ist, sondern auch eigene Anstrengungen nötig sind.“
Dezernent setzt auf den Werbeeffekt der Erfolgsgeschichten
Wie schnell die Fälle geprüft werden könnten, hänge von den personellen Kapazitäten des Ausländeramtes ab. Hilfreich sei, dass das NRW-Integrationsministerium im März 2019 in einem Erlass präzisiert habe, wie das Aufenthaltsgesetz hier anzuwenden sei. Das gilt namentlich für die Frage, welche Anstrengungen man den Betroffenen zur Klärung ihrer Identität und zur Beschaffung von Papieren auferlegen kann. Von einer Lockerung will Kromberg hierbei nicht sprechen: „Aber die Mitarbeiter haben jetzt deutlich klarere Handlungsvorgaben.“
Minister Joachim Stamp (FDP) will integrationswilligen Zuwanderern erklärtermaßen Bleibeperspektiven eröffnen. Und die Stadt möchte die „enge Zusammenarbeit“ mit seinem Haus fortsetzen. Nun da alle Geduldeten eine neue Chance bekommen, wolle man auch noch einmal auf die libanesisch-kurdische Community zugehen: 93 Kandidaten, die schon älter als 27 Jahre und nur deswegen dem Essener Modell entwachsen sind, werde man ansprechen. Erfüllen sie weiter die Kriterien, könnten sie zeitnah eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das werde, glaubt Kromberg, weiter ausstrahlen: „Ich hoffe auf eine gewisse Dynamik: Je mehr Erfolgsgeschichten wir haben, desto mehr werden sich überlegen, diese Chance zu ergreifen.“