Essen. Seine früheren SPD-Parteifreunde sind entsetzt über den Entschluss von Guido Reil. Die AfD kann sich gut vorstellen, dass er Landtagskandidat wird.
Der Essener Ex-SPD-Ratsherr Guido Reil hat sich entschlossen, der AfD beizutreten und will bereits am Wochenende beim Landesparteitag der „Alternative für Deutschland“ in Werl auftreten. Das bestätigte Reil der WAZ. Damit hat der frühere Sozialdemokrat, der zurzeit als parteiloser Ratsherr im Rat der Stadt Essen sitzt, die Brücken in seine ehemalige politische Heimat endgültig abgebrochen.
Reil, der im Stadtteil Karnap beheimatet ist, war bundesweit bekannt geworden, als er sich Anfang des Jahres auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mit grundsätzlich asylkritischen Äußerungen hervortat. Wirkung verschaffte ihm vor allem die Tatsache, dass er Sozialdemokrat war. In der Folge stellte er sich an die Spitze einer Bewegung, die den Essener Norden überlastet sah mit zugewiesenen Flüchtlingen und eine andere Verteilung im Stadtgebiet verlangte. Dies geschah noch im Schulterschluss mit vielen SPD-Mitgliedern und Funktionsträgern des Essener Nordens.
Im Mai aus der SPD ausgetreten
Nach einem für ihn desaströs verlaufenden SPD-Unterbezirksparteitag - er kandidierte erfolglos als Essener Vize-Vorsitzender - trat Reil im Mai dieses Jahres aus der Essener SPD aus, in der er 25 Jahre Mitglied war. Seither liebäugelt der auf Prosper-Haniel in Bottrop arbeitende Bergmann mit einem Beitritt zur AfD, deren Positionen vor allem in der Flüchtlingspolitik er teilt - daraus hat Reil zuletzt kein Hehl gemacht.
Die SPD-Ratsfraktion hatte Reil ein Rückkehrrecht eingeräumt, zog dies am Freitag aber demonstrativ zurück, nachdem seine AfD-Pläne bekannt geworden waren. Die Tür sei nun „endgültig verschlossen“. „Es ist erstaunlich, wie schnell der ehemalige Vorzeige-Sozialdemokrat, der uns als seine Familie bezeichnete, sämtliche Prinzipien aufgegeben hat“, erklärte Fraktionschef Rainer Marschan. Er sei über Reil „menschlich zutiefst enttäuscht“.
Nach WAZ-Informationen gibt es schon seit längerer Zeit Werbe-Versuche der NRW-Parteiführung um Marcus Pretzell, Reil für die AfD zu gewinnen. Dies sei bei diskreten Treffen mit Pretzell in Düsseldorf geschehen, berichtet Reil. Ob er für seine neue Partei auch bei der Landtagswahl 2017 antritt, ist noch unklar. Dass Reil eine Kandidatur anstrebt, gilt aber als wahrscheinlich.
Essener AfD-Kreisvorsitzende Stefan Keuter: „Reil ist eine Bereicherung für die AfD“
Viele Wochen lang hat Guido Reil mit sich gerungen, hat private und politische Freunde um Rat gefragt, ob er der AfD beitreten soll oder besser nicht. Obwohl es an warnenden Stimmen nicht gemangelt hat, war die Verlockung offensichtlich doch zu groß, eine neue politische Karriere im Kreise von Leuten zu starten, denen sich der Ratsherr aus Karnap mittlerweile ideologisch nahe fühlt. Am Freitag dann die Entscheidung: Noch vor dem Parteitag der AfD in Werl an diesem Wochenende teilte Reil dieser Zeitung mit, dass er sich zur AfD-Mitgliedschaft entschlossen habe. „Ich weiß, was in diesem Fall auf mich zukommt“, so Reil vor einigen Tagen im Gespräch.
„Wir kann man so was machen“
In der Tat: Bei seinen früheren Parteifreunden, von denen einige immer noch viel Sympathie für ihn empfanden, gingen nun die Rolläden herunter. „Ne Guido, dass hätte ich nie von dir gedacht. Wie kann man so etwas machen? Ich bin fassungslos“, entfuhr es Ulrich Schulte-Wieschen vom Ortsverein Dellwig im sozialen Netzwerk Facebook. „Wir empfehlen Guido Reil ein intensives Studium des Grundsatzprogramms seiner neuen Freunde, das vor Fremden- und Frauenfeindlichkeit, Marktradikalismus und sozialer Kälte nur so strotzt“, meinte SPD-Ratsfraktionschef Rainer Marschan, der nun das Tischtuch als endgültig zerschnitten ansieht. Reil sei von „Eitelkeit“ getrieben und „den Versprechungen von Rechtsaußen erlegen“.
Tatsächlich soll AfD-Landeschef Marcus Pretzell den 46-jährigen Karnaper auch mit der Aussicht umworben haben, dass Reil für die AfD als Kandidat bei der Landtagswahl in Frage komme. Für Reil eine verlockende Perspektive, denn das Ende seines Berufslebens als Bergmann ist absehbar. Derzeit arbeitet er noch als Steiger auf Prosper-Haniel, dem letzten noch Steinkohle fördernden Bergwerk des Ruhrgebiets. 2018 ist hier Schicht im Schacht, und spätestens 2020, nach den letzten Aufräumungsarbeiten, ist auch für Reil Schluss bei der RAG. Er ist dann Rentner - mit 50 Jahren.
Doch ob die AfD dem Ex-Sozialdemokraten Reil über einen guten Listenplatz den Weg in den Landtag ebnet, ist noch nicht raus. „Da gibt’s andere, die schon in guten und schlechten Zeiten zur Partei gestanden haben“, wendet Stefan Keuter ein, Vorsitzender des knapp 140 Mitglieder zählenden AfD-Kreisverbands Essen. Eine Direktkandidatur aber kann sich Keuter - wie offenbar auch die NRW-Führung - sehr gut vorstellen, Reil sei „authentisch, ehrlich und spricht Volkes Stimme“: „Wir sehen in ihm eine Bereicherung für die Partei. Wir hoffen, dass er uns für viele SPD-Wähler wählbar macht.“
Dass man dem langjährigen SPD-Mann Reil einstweilen nur eine Fördermitgliedschaft ohne Stimmrecht zugestanden hat, die als eine Art „Probezeit“ nach ungefähr sechs Monaten – und damit rechtzeitig zur Kandidatenkür – in eine Vollmitgliedschaft mündet, stehe dem nicht entgegen: „Gebranntes Kind scheut das Feuer“, so Keuter, die AfD sei vorsichtig geworden, wolle sehen, mit wem sie sich einlässt, zumal die Initiative von Reil ausgegangen sei.
„AfD hat wieder Zugang im Stadtrat“
Auch deshalb habe es vorab Treffen gegeben, „wir wollten sehen, ob die Chemie stimmt.“ Das tut sie offenbar, und Keuter frohlockt: Mit der Aufnahme Reils „haben wir wieder einen Zugang zum Stadtrat“. Hintergrund: Zwar eroberte die AfD bei der Kommunalwahl im Frühjahr 2014 mit 3,8 Prozent der Stimmen drei der 90 Ratsmandate, doch alle drei verließen die Partei binnen eines Jahres.
In den letzten Monaten gab es im Rat Gespräche mit den mittlerweile recht vielen kleinen Ratsgruppen und Einzelkämpfern, zu denen sich womöglich bald auch SPD-Ratsherr und Asylheim-Unternehmer Arndt Gabriel gesellt. Reil erklärte, er sehe in solchen Konstellationen keine Perspektive für sich. „Es geht da oft nur um Geldabzocke.“ Eine Ratsgruppe, bestehend aus zwei Mitgliedern, habe Anrecht auf ein Salär von jährlich 80 000 Euro. „Verführerisch, aber nicht für mich.“