Der Naturschutzbund Ruhr kritisiert die Stadt für die Auswahl potenzieller Bauflächen beim Bürgerforum. Die Thelen-Gruppe sorgt für Spekulationen.
Wo wollen wir wohnen? Diese Frage hatten sich 420 Essener auf Einladung der Stadt im November vergangenen Jahres beim Bürgerforum in der Messe Essen gestellt. Am Ende des Tages standen 28 Flächen, auf denen nach Einschätzung der Bürger neue Wohnungen entstehen könnten. Während die Stadtverwaltung noch prüft, welche der Flächen für eine Bebauung tatsächlich geeignet sind, hat sich der Naturschutzbund (Nabu) Ruhr bereits festgelegt. Mit Blick auf das Votum des Bürgerforums heißt es: „Die Entscheidung konnte nur ins Auge gehen.“
Vernichtung wohnortnaher Grünflächesei zu verhindern, fordert der Nabu
Zwar begrüßt der Naturschutzbund Ruhr grundsätzlich, dass Bürger frühzeitig an Planungsvorhaben beteiligt werden, heißt es in einer Stellungnahme. Das von der Stadt gewählte Verfahren zur Priorisierung von Wohnbauflächen sei jedoch „völlig missglückt“.
„420 Bürger – das sind lediglich 0,7 Promille der Einwohner Essens – sollten innerhalb eines Tages und faktisch innerhalb einer Stunde eine Entscheidung treffen, die die wirklich Verantwortlichen jahrelang verschleppt haben“, heißt es kritisch an die Adresse der Politik. Die Teilnehmer am Bürgerforum hätten ihre Entscheidung dann in Kleingruppen auf der Grundlage eines von der Verwaltung vorbereiteten „wenig anschaulichen und tendenziell gefärbten ‘Flächensteckbriefs’“ getroffen, und dies zumeist ohne selbst über Ortskenntnis zu verfügen. Mit dem Ergebnis, dass „mehrheitlich Grünflächen in die Priorität 1 und 2 gewählt wurden“, kritisiert der Nabu.
In einer Zeit des Artenschwunds und der Klimaveränderung müsse jeder Eingriff auch in kleinere Baumbestände und Grünzüge vermieden werden. Insbesondere im überproportional bebauten Norden gelte es, die Vernichtung wohnungsnaher Grünflächen zu verhindern.
Die Sorge, dass Freiflächen bebaut werden könnten, treibt aktuell Bürger im Essener Nordwesten um. Hintergrund: Als Thyssenkrupp vor nunmehr drei Jahren „nicht betriebsnotwendige“ Immobilien und Grundstücke – insgesamt rund 1040 Hektar – an die Thelen-Gruppe veräußerte, gingen nicht nur Gewerbegrundstücke in den Besitz des Essener Familienunternehmens über, sondern auch potenzielle Neubauflächen sowie Grün- und Ackerland. Die Flächen gab es praktisch als „Beifang“.
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Die Thelen-Gruppe hatauch Grünflächen erworben
Zum Portfolio der Thelen-Gruppe gehören unter anderem Freiflächen an der Straße Im Fatloh am Hexbachtal in Schönebeck, am Breukelmannhof in Bedingrade, am Klaumberghang und am Donnerberg in Frintrop sowie im Klaumerbruch in Dellwig.
In der Prioritätenliste des Bürgerforums taucht nur der Donnerberg in Frintrop auf; einsortiert wurde sie unter Priorität 4. Aber dabei müsse es ja nicht bleiben, gibt Nabu-Mitglied Uwe van Hoorn zu bedenken. Ein Bauunternehmen wolle nun mal bauen, betont der ehrenamtliche Naturschützer und Naturschutzwart, der sich in der Schönebecker „Initiative zur Rettung der Grünflächen“ engagiert. Firmenchef Wolfgang Thelen hatte sein Unternehmen in einem Interview selbst einmal als „Bestandshalter“ bezeichnet und erklärt: „Wir denken langfristig.“
Der Umstand, dass die Thelen-Gruppe den Pachtvertrag über eine Freifläche am Klaumerbruch, welche die Reitgemeinschaft Dellwig zur Pferdehaltung nutzt, nicht verlängern will, gibt Spekulationen zusätzlich Nahrung.
Ingo Esser, 2. Vorsitzender der Reitgemeinschaft und Betreiber eines Pferdehofes, hatte die Fläche ursprünglich von Thyssenkrupp gepachtet. Die Thelen-Gruppe habe den Pachtvertrag gekündigt. Ende Oktober kommenden Jahres läuft der Vertrag aus, so Esser. Besagte Fläche liegt im Landschaftsschutzgebiet, kommt für eine Bebauung deshalb nicht infrage. Dass das Grünland als Ausgleichsfläche herhalten könnte, weil die Thelen-Gruppe anderswo bauen will, bleibt eine Annahme.
Christoph Thelen, Geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens sagte im Gespräch mit der Redaktion: „Natürlich sind wir nicht spezialisiert auf Grün- und Landwirtschaftsflächen.“ Man befinde sich aktuell hausintern in der Abstimmung, was mit den Flächen geschehen soll. Dass Freiflächen als naturschutzrechtliche Ausgleichsfläche genutzt werden, sei eine Möglichkeit.
„Ein Arbeitsauftrag an die Verwaltung“
Die Stadt Essen hatte 570 Essener zum Bürgerforum „Wo wollen wir wohnen“ eingeladen. Die Teilnehmer sollten einen Querschnitt durch die Stadtbevölkerung darstellen. 420 Bürger nahmen teil. Zur Diskussion standen potenzielle Wohnbauflächen. Die Stadtverwaltung hatte eine Vorauswahl getroffen und 92 Flächen vorgelegt.
Die Teilnehmer befassten sich in Kleingruppen mit jeweils einer Fläche und ordneten dieser einer Priorität zu. 13 Flächen wurden für eine Bebauung als „sehr gut“ geeignet eingestuft, 16 als „gut“ geeignet. Oberbürgermeister Thomas Kufen sprach von einem Arbeitsauftrag an die Verwaltung.