Essen. Allein in Essen wechseln 400 Hektar den Besitzer. Nach NRZ-Informationen erhielt Thelen-Gruppeden Zuschlag. Teils städtisches Konsortium blieb auf der Strecke.
- Insgesamt geht es um über 1000 Hektar Land in NRW
- Teils städtisches Konsortium flog durch geringes Gebot aus dem Rennen
- Kritiker bemängeln fehlenden Mut der örtlichen Macher
Eines der größten Grundstücksgeschäfte, die je in Essen über die Bühne gingen, ist seit Donnerstag unter Dach und Fach: Wie der Industriekonzern Thyssenkrupp am Freitag auf NRZ-Anfrage bestätigte, hat er all seine „nicht betriebsnotwendigen“ Immobilien und Grundstücke – rund 1040 Hektar – an einen Investor verkauft. Allein in Essen wechselten im Zuge dieses Deals rund 400 Hektar Land den Besitzer, eine Fläche von 800 Fußballplätzen.
Darunter befinden sich etwa 70 Hektar Gewerbeflächen im so genannten Krupp-Gürtel westlich der Innenstadt, aber auch eine ganze Reihe möglicher Neubauflächen für Wohnungen, Ackerland genauso wie zig Hektar Krupp-Wald im direkten Umfeld der Villa Hügel. Außerhalb Essens gehören zum Paket eine riesige Industriebrache westlich der Dortmunder Innenstadt sowie Grundstücke in weiteren Städten Nordrhein-Westfalens.
Käufer des kompletten Immobilien-Bündels ist nach NRZ-Informationen die Essener Thelen-Gruppe, ein mittelständisches Familien-Unternehmen mit Sitz an der Alfredstraße, das nach eigenen Angaben über Grundstücksflächen von rund 3,6 Millionen Quadratmetern verfügt und zuletzt mit der Vermarktung der ehemaligen Nokia-Flächen in Bochum am Markt bemerkenswert erfolgreich war.
Konsortium blieb auf der Strecke
Dass Thelen kauft, ist im Markt rum, blieb bis Freitagabend aber unbestätigt: Man habe mit dem Käufer Vertraulichkeit vereinbart, ließ Thyssenkrupp wissen, und auch auf Seiten der Thelen-Gruppe mochte Patrick Palombo, Geschäftsführer der Thelen Immobilien Management GmbH, nur im Ungefähren bleiben: „Wir sind immer interessiert daran, unser Portfolio zu erweitern“, so Palombo, „und zwar bundesweit“ und damit selbstredend auch im Ruhrgebiet. Wenn Grundstücksflächen auf den Markt kämen, „sind wir mutig genug, uns die Dinge anzugucken“.
Mehr Mut – den vermisste mancher in der Stadt Essen bei jenem Quartett, das sich im Herbst 2015 anschickte zumindest für die 400 Hektar Essener Thyssenkrupp-Flächen mitzubieten. Wie berichtet, hatten sich die Brachflächen-Experten der RAG Montan Immobilien GmbH, die städtische Wohnungsgesellschaft Allbau, die Sparkasse Essen und das Helaba-Tochterunternehmen OFB gemeinsam ins Rennen begeben, um bei den für die Stadtentwicklung so wichtigen Flächen zumindest indirekt einen Fuß in der Tür zu haben.
Warum das Konsortium vor einigen Wochen auf der Strecke blieb, mochten die vier Mitstreiter mit Verweis auf eine Vertraulichkeits-Vereinbarung nicht kommentieren. Dem Vernehmen nach hat man sich mit einem eher knapp kalkulierten Gebot herauskatapultiert.
Thyssenkrupp wollte vermeintlichen „Ballast“ abwerfen
Hinter vorgehaltener Hand verteidigte einer der Partner das Vorgehen: „Die Risiken sind extrem hoch“, betonte er, der Aufwand für die Baureifmachung vieler Flächen verschlinge Abermillionen, bevor auch nur ein einziger Cent in die Kasse komme. „Wir haben uns das nicht leicht gemacht und sogar richtig viel Geld reingesteckt.“
Kritiker werfen der Vierergruppe hinter den Kulissen dagegen vor, die Marktchancen nicht erkannt und in der Defensive verharrt zu haben: „Da fehlte der Treiber in der Truppe“, sagt seufzend einer, der mit den Vorgängen vertraut war: „Die machen sich alle ins Hemd.“
Ein anderer schüttelt den Kopf über „das hohe Risiko, das man da für die Stadt in Kauf genommen hat.“ Denn groß war die Sorge, dass bei den Thyssenkrupp-Flächen ein der Stadt vielleicht nicht ganz so zugewandter Käufer das Sagen haben und es fortan ein Ende haben könnte mit jener Stadtentwicklung aus einem Guss, die im Krupp-Gürtel bislang so prima funktionierte. So gesehen ist man mit dem Zuschlag für die Thelen-Gruppe mehr als glücklich, was einer der Kritiker auf Essener Seite so auf den Punkt bringt: „Drei Kreuze, dass das Ganze wenigstens in Essen bleibt.“
Was nun wird aus den vielen Flächen und in welchem Tempo, wird sich zeigen. Thyssenkrupp wollte vermeintlichen „Ballast“ abwerfen, um sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren, wollte Land verkaufen, um Land zu gewinnen. Die neuen Herren sitzen an der Alfredstraße 163, und ihr Firmenmotto passt: „Sie haben die Ideen, wir den Platz.“