Essen. Günstige Wohnungen in Essen sind rar. Das trifft Frauen aus dem Frauenhaus besonders, wenn sie ein neues Leben beginnen wollen. Eine erzählt
Julia* ist 19 und lebt seit fast einem Jahr im Essener Frauenhaus. Die junge Frau hat Gewalt in der eigenen Familie erfahren. Das Frauenhaus gab ihr nach leidvollen Jahren mit einem gewalttätigen Vater Zuflucht. Zu ihrer Familie hat sie heute keinen Kontakt mehr. Julia möchte im nächsten Jahr ihr Abitur an einem Essener Gymnasium machen. Das Frauenhaus ist dabei kein guter Lernort für die anstehenden Klausuren. Dort lebt sie mit zehn anderen Frauen, mit zum Teil kleinen Kindern, die einen ganz anderen Tagesrhythmus haben als sie. Julia sehnt sich nach einer eignen Wohnung mit einem kleinen Wohnzimmer und einem separaten Schlafzimmer, möglichst in einer zentralen Lage, damit sie täglich gut zur Schule kommt. Doch Julia musste leidvoll erfahren, wie schwierig es ist, in Essen eine kleine bezahlbare Bleibe zu finden.
Das Essener Frauenhaus ist vollbelegt. Fünf Bewohnerinnen sind wie Julia nach ihren Gewalterfahrungen wieder so stabil, dass sie gerne ausziehen würden. Doch sie tun sich ebenso schwer bei der Wohnungssuche. „Ich habe niemanden erlebt, der weniger als drei Monate gesucht hat“, sagt Julia. Sie habe Frauen kennengelernt, die anderthalb Jahre und länger im Frauenhaus untergebracht waren.
Sprachbarriere erschwert die Wohnungssuche zusätzlich
Dabei ist die Wohnungsnot in Essen nur ein Grund. Ein anderer: Die meisten Frauen sprechen längst nicht so fließend Deutsch wie Julia und sind deshalb auf Hilfe angewiesen. Sie kommen vom Balkan, aus Afghanistan, aus dem Iran. Viele kennen außerdem die Eigenheiten des hiesigen Wohnungsmarktes nicht. „Wir haben deshalb eine Wohnungssuchgruppe eingerichtet, die sich einmal in der Woche trifft“, erzählt Magdalena Thiebo, Mitarbeiterin im Frauenhaus. Dort erfahren die Frauen zum Beispiel, wie sie übers Internet eine Wohnung finden, was die Abkürzungen in Anzeigen bedeuten, was bei einem Mietvertrag zu beachten ist und was ein Wohnungsübergabeprotokoll beinhaltet.
Ab September werden sich zudem eigens ausgebildete Wohnungsmediatorinnen um die Frauen kümmern, um ihnen ein selbstständiges Leben in eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Das vom Land geförderte Projekt heißt „Second Stage“. Das Essener Frauenhaus kooperiert dabei mit dem Oberhausener, das solche Mediatorinnen schon seit 2017 im Einsatz hat.
Julia hat sich allein auf die Wohnungssuche gemacht. „Ich wollte gerne in Essen bleiben, weil ich hier auch die Schule beenden möchte. Ich habe sieben Monate gebraucht, bis ich eine passende Wohnung gefunden habe. Als Schülerin ist das unheimlich schwer. Denn wenn sich zehn andere mit um eine Wohnung bewerben und diese dann ihre Eltern mitbringen oder schon Studenten sind, dann werden die bevorzugt.“
Viele günstige Wohnungen sind heruntergekommen
Julia hat Aberdutzend Absagen erhalten. „Ich hatte den Eindruck, dass sich viele Vermieter insgeheim gefragt haben, warum eine so junge Frau eine Wohnung sucht, ob sie vielleicht keine Lust mehr auf Eltern hat, lieber Party machen will.“ Und natürlich stand auch immer gefühlt die Frage im Raum, ob sie sich die Miete leisten könne. Eine Elternbürgschaft, die viele Vermieter fordern, konnte sie ja nicht erbringen.
Irgendwann ist Julia dazu übergegangenen, den Vermietern zu sagen, dass sie aus dem Frauenhaus kommt. Das ist nicht ungefährlich. Schließlich bedeutet die Anonymität für die Frauen Schutz. Geholfen hat es ihr nicht. Viele hätten zwar ihr Mitgefühl ausgedrückt, die Wohnung aber doch an andere gegeben.
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Bei ihren Besichtigungsterminen hat Julia aber auch etliche heruntergekommene Wohnungen in Essen gesehen, wie sie sagt. Ein Vermieter in Altendorf dachte gar, sie sei eine Prostituierte, die sich eine Bleibe sucht. Andere versuchten offensichtliche Schimmelflecken als harmlosen Schmutz abzutun. „Manche taten so, als ob sie mir einen Gefallen tun würden, dass sie mir eine solche Wohnung vermieten wollten.“ Eine Frau habe ihr unmissverständlich gesagt, dass sie keine Mieter nimmt, die wie Julia ihre Wohnung übers Jobcenter bezahlen lassen.
Miethöhe ist vom Jobcenter gedeckelt
Da Julia die Miete vom Jobcenter bekommt, darf die Wohnung maximal 360 Euro im Monat kosten. Das grenzt die Möglichkeiten natürlich stark ein. Und erst einmal irgendwo einziehen, um dann später nach einer anderen Wohnung zu suchen, ist auch kaum möglich. Denn das Jobcenter bezahlt einen solchen Umzug nur in Ausnahmefällen.
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„Nach den vielen Rückschlägen habe ich dann begonnen, meine Ansprüche zurückzufahren, obwohl ich darüber total unglücklich war“, beschreibt sie den Moment, als sie in einem Einzimmerappartement im Erdgeschoss eines riesigen Wohnblocks stand. Der Vermieter verlangte für die 20 Quadratmeter über 300 Euro. Ins Erdgeschoss wollte sie aber schließlich doch nicht ziehen, weil sie sich da zu unsicher fühlte.
Mediatorinnen sind Dolmetscher und Vertraute
Zum Projekt Second Stage
Das Land hat das Projekt 2017 ins Leben gerufen. Ziel ist es, Frauen aus den Frauenhäusern schneller zu einer eigenen Wohnung zu verhelfen. Denn die Plätze in den Einrichtungen reichen nicht aus, um allen Frauen nach Gewalterfahrungen einen solchen Schutzraum zu ermöglichen.
Das Essener Frauenhaus kooperiert dabei mit dem Oberhausener Frauenhaus. Der in Oberhausen ansässige Weiterbildungsträger „Die Kurbel“ hat in den vergangenen Jahren mehrere interkulturelle Mediatorinnen ausgebildet, acht davon mit der zusätzlichen Qualifikation zur Wohnungsmediatorin. In Oberhausen haben sie mit deren Hilfe schon an die 20 Wohnungen vermittelt.
Das Land fördert das Projekt erstmal noch bis zum 31. Dezember 2021.
Fatna Choual und Ronahi Azarniusch sind Mediatorinnen, die Frauen aus dem Frauenhaus bei der Wohnungssuche in Oberhausen begleiten und auch bald in Essen im Einsatz sind. Sie kennen die Erfahrungen, die Julia gemacht hat. „Die Gefahr ist groß, dass die Frauen aus Verzweiflung, weil sie schon so lange suchen, irgendwelche Schrottimmobilien anmieten“, erzählt Fatna Choual. Um das zu verhindern, suchen sie nicht nur mit den Frauen zusammen passende Wohnungen aus, sondern sie begleiten sie auch zu den Besichtigungen. Sie sind Dolmetscher und Vertraute zugleich. Dabei spiele eine wichtige Rolle, dass die Mediatorinnen die Landessprache der Frauen sprechen. „Das baut eine ganz andere Beziehung auf“, sagt Fatna Choual, deren Familie marokkanische Wurzeln hat. Ihre Kollegin Ronahi Azarniusch ist kurdischer Abstammung. Sie treffen dabei häufig auf Vorurteile der Vermieter, die ungern Mieter nehmen würden, die kein oder kaum Deutsch sprechen. „In solchen Fällen, versuchen wir zu vermitteln, wir sind dann eine Art Bürgin.“
In zwei Wochen wird Julia in ihre neue Wohnung ziehen. Nach Monaten voller Niederlagen hat sie doch noch eine kleine Dachgeschosswohnung im Essener Norden gefunden. Bei einer Besichtigung hatte sie sich mit der Vormieterin direkt gut verstanden. Und diese gab ihr als Nachmieterin den Vorzug. Auch der Vermieter, der städtische Allbau, akzeptierte Julia als Nachmieterin. „Ich freue mich sehr auf meine erste eigene Wohnung “, sagt Julia und lächelt dabei.
*Name geändert