Essen. Das Kneipensterben in Essen hält seit Jahren an und trifft vor allem die inhabergeführte Gastronomie. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Christiane Behnke kennt die Gastronomie von der Pike auf. Fast 50 Jahre war sie im Geschäft und betrieb bis vor anderthalb Jahren das Alt-Krayer Gasthaus Budike. Selbst nach der Übergabe an neue Besitzer stand die 69-Jährige bis zuletzt noch fünf Tage in der Woche hinterm Tresen. Doch jetzt ist Schluss am Pramenweg 6. Das Gasthaus, das dort mindestens ein halbes Jahrhundert lang existierte, macht am 1. August dicht. „Sehr schade. Ich bedauere das sehr“, sagt Christiane Behnke. Zumal damit im Stadtteil eine der letzten Gaststätten dieser Art schließe.

Das Alt-Krayer-Gasthaus Budike am Pramenweg schließt Anfang August.
Das Alt-Krayer-Gasthaus Budike am Pramenweg schließt Anfang August. © FUNKE Foto Serivces | Nadine Przystow

Das Alt-Krayer Gasthaus Budike ist das jüngste Beispiel dafür, dass vor allem traditionelle, inhabergeführte Gastronomien in Essen für immer dicht machen. Vor einigen Jahren schloss das Türmchen in Heisingen. Das gleiche Schicksal ereilte im Stadtteil die Gaststätte Bürgerkrug. Heute entstehen an der Stelle Wohnungen. In Rüttenscheid gab vor wenigen Wochen das Traditionslokal Istra auf. Die Liste ließe sich fortsetzen und sie zeigt, dass die Gastronomielandschaft in Essen karger wird. Meist verschwinden die Kneipen dabei lautlos.

Beruf in der Gastronomie wird unattraktiver

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) jedoch hat dieser Tage mal wieder Alarm geschlagen und auf die Entwicklung öffentlich hingewiesen. So zählte Essen laut NGG Ende 2017 noch 904 gastronomische Betriebe. Das sind 112 weniger als zehn Jahre davor. Rein rechnerisch hat sich in dem Zeitraum damit jede neunte Kneipe verabschiedet.

„Vom Fußballabend in der Bar bis zum Grünkohlessen mit dem Sportverein – die Gastronomie steht für ein Stück Lebensqualität“, sagt NGG-Gewerkschaftssekretär Adnan Kandemir. Mit den Betriebsschließungen stehe aber nicht nur ein wichtiger Teil der Alltagskultur auf dem Spiel. Es seien auch etliche Arbeitsplätze in der Region in Gefahr.

Das Thema Arbeitsplätze ist ein gutes Stichwort, wenn es um die Probleme in der Gastronomie geht. Denn die Gaststätten finden immer schwerer Mitarbeiter. Die Arbeitsbedingungen dort sind hart, die Arbeitszeiten nicht einladend. „Nachts und am Wochenende hinterm Tresen zu stehen, das wollen viele nicht mehr“, weiß Kandemir. Das beschleunigt den Niedergang, glaubt die NGG. Deshalb appelliert sie an die Kneipenbesitzer, den Beruf attraktiver zu machen und die Mitarbeiter besser zu bezahlen. Allerdings hätten es die Arbeitgeber bei den jüngsten Verhandlungen abgelehnt, den Gehaltstarifvertrag für die unteren Lohngruppen als allgemeinverbindlich zu erklären. „Der Dehoga muss endlich etwas gegen das Mc-Job-Image tun“, sagt Kandemir in Richtung Branchenverband.

Beschäftigtenzahlen in der Essener Gastronomie

In Essen arbeiten rund 8100 Menschen in der Gastronomie. Diese Zahl stammt aus einer Beschäftigungsstatistik der Arbeitsagentur und dürfte sich bis heute in etwa auf dem Niveau halten.

Die meisten davon waren in Minijobs beschäftigt, nämlich etwas über 4800 Personen.

Über 3300 dagegen arbeiteten in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Darunter dürften auch viele Teilzeitbeschäftigte sein.

Dessen Geschäftsführer für die Region Nordrhein, Thomas Kolaric, hält dagegen, dass höhere Löhne nur dann gezahlt werden können, wenn auch der Gast bereit sei, entsprechend für die Dienstleistung zu zahlen. „Leider verfolgt uns aber die Geiz-ist-geil-Mentalität weiter.“

Nicht nur Mitarbeiter auch geeignete Nachfolger für die Betriebe zu finden, wird für Inhaber indes zur Herausforderung. Denn genauso ungern, wie sich Angestellte heute gerne die Nacht am Tresen um die Ohren schlagen, tut das mancher potenzielle Wirt. „Man muss das schon leben“, sagt Christiane Behnke.

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Systemgastronomien machen inhabergeführten Kneipen das Leben schwer

Die 69-Jährige war lange Jahre in Essen die Dehoga-Vorsitzende. Sie kennt die Branche damit auch über ihr eigenes Geschäft hinaus und hat so den schleichenden Kneipentod mit beobachtet. „Gerade inhabergeführte Gaststätten haben es gegen die Systemgastronomie, die sich immer mehr ausbreitet, schwer.“ Mit den Preisen könnten die Wirte nicht mithalten. Aber auch das Freizeitverhalten gerade der jungen Leute habe sich deutlich verändert. Ein Bierchen am Tresen sei heute nicht mehr gefragt. Alles müsse Eventcharakter haben. Eine Entwicklung, auf die insbesondere die Systemgastronomien eine Antwort geben. Deshalb wirbt auch der Gewerkschafter Kandemir bei Wirten dafür, originelle Ideen zu entwickeln, um eine Gaststätte zum Treffpunkt für junge Leute zu machen. Kolaric aber weiß, dass es für viele Wirte schwer bzw. gar unmöglich ist, diesen Umschwung zu schaffen. „Wo Sie früher zum Frühschoppen hingegangen sind, gehen Sie jetzt nicht mit der Familie zum Brunchen.“

Gewerkschaft und Dehoga sehen aber auch die Verbraucher in der Pflicht, die meist erst den Verlust bedauern, wenn die Kneipe um die Ecke verschwunden ist. „Statt das Feierabendbier zuhause zu trinken, kann man einfach mal wieder in die Kneipe gehen. Das macht Spaß und ist geselliger“, so Kandemir.