Essen-Steele. . Einst gab es 175 Kneipen in Steele und nach dem Krieg immer noch 104. Die meisten sind lange verschwunden, wovon eine urige Ausstellung erzählt.

Wenn die Erinnerung zu verblassen droht wie ein altes Bild, dann ist es Zeit, sie wieder aufzufrischen. Denn oft sind es ja diese alten Geschichten, die die Menschen fasziniert in den Bann ziehen. Geschichten über Autos oder Häuser, über Straßen oder Schallplatten, den ersten Kuss oder den letzten Schultag: Was mal war, kommt oft nicht wieder. Wie die alten Kneipen von Steele, denen das Steeler Archiv daher nun eine mehr als urige Ausstellung widmet.

„Zum Wohle! – Kneipenkultur in Steele“. Süffig haben die „Archivare“ um Klaus Geiser überschrieben, was ab dem 6. April für gut drei Wochen im Laurentius-Seniorenstift zu sehen sein wird. „Zu Spitzenzeiten gab’s mal 175 Kneipen in Steele, 1945 waren’s dann immerhin noch 104“, sagt Geiser, der 80-jährige Kölner, der seit Jahrzehnten in Horst zuhause ist. „Allein hier in Horst hatten wir mal 24, heute sind’s lediglich noch vier.“

Unvergessen: der legendäre „Hungerturm“

Wie das heute im Raum Steele mit der Kneipendichte aussieht, das weiß Geiser nicht, zumal mittlerweile gar nicht mehr so klar sei, ob noch als Kneipe durchgeht, was vielleicht eine Imbissbude mit Bierausschank ist oder eine Teestube.

Hoch die Tassen: Früher trug der Herr auch in der Kneipe Schlips und Kragen und die Dame toupierte Haare. Wie hier 1966 in der „Postkutsche“ am Grendplatz.
Hoch die Tassen: Früher trug der Herr auch in der Kneipe Schlips und Kragen und die Dame toupierte Haare. Wie hier 1966 in der „Postkutsche“ am Grendplatz. © Steeler Archiv

Oft wird heute auch getrunken, wo in erster Linie aber gegessen wird. Das war früher anders, obwohl es auch in den so typischen Kneipen Steeles etwas auf die Hand gab. Unvergessen der legendäre „Hungerturm“, die Glasvitrine direkt auf dem Tresen, gefüllt mit deftigen Kleinigkeiten. Soleier oder Rollmöpse. Schmalzstullen oder Mettwürstchen. Frikadelle mit Senf oder Käse am Stiel. Alles über Jahre echte Klassiker, denn Alkohol soll ja hungrig machen . . .

Dass es so viele Kneipen waren in Steele, hat Gründe. Im Schatten der längst verschwundenen Zechen und großen Industriefirmen etwa gab’s Lokale, die waren, wo sie waren, weil die Malocher nach der Schicht gerne mal den Staub runterspülten. Vor allem, wenn es Geld gegeben hatte. Nicht selten wurden die Kerle von ihren Frauen schon am Werkstor abgepasst, weil sie ansonsten auch schon mal einen ganzen Wochenlohn auf den Kopf gehauen hätten, der lange Jahre in bar ausgezahlt wurde.

Die Kneipe. Dort wurde gelacht und geweint, man kloppte Bierlachs-Skat und ließ beim Knobeln die Würfelbecher tanzen. Die Männer tranken Pils und kippten Korn („Herrengedeck“, Kurz-Lang), die Frauen eher Eckes Edelkirsch oder Persico, während man sich über Fußball, die Nachbarn, die Sorgen und Gott und die Welt unterhielt und ‘nen Deckel machen konnte. Auch in Steele gab’s die Sparclubs, die Kegelschwestern und Vereinsfeiern. Die Theken aus Eichenholz und die Aschenbecher auf den Stammtischen so groß wie ein Suppentopf, denn damals wurde nicht nur viel gebechert, die Menschen qualmten auch wie die Schlote.

„Bei Anne“ in der Dreiringstraße

„Kommste noch mit auf ein Pils zur Anne?“ Fragen wie diese haben noch viele Menschen im Ohr. Allein: „Bei Anne“ in der Dreiringstraße gibt’s lange nicht mehr. „Das passierte mit fast allen Steeler Kneipen nach dem Krieg. Dann kam noch die Sanierung, die vielen Gaststätten den Garaus machte. Aber auch unser verändertes Freizeitverhalten spielt eine Rolle – wir trinken unser Bier lieber zu Hause vor dem Fernseher“, sagt Arnd Hepprich vom Steeler Archiv.

Kneipe an Kneipe: Die 1960er Jahren waren eine der Hochzeiten. Links Plückthun, rechts das Gasthaus Beckmann, beide am Kaiser-Otto-Platz.
Kneipe an Kneipe: Die 1960er Jahren waren eine der Hochzeiten. Links Plückthun, rechts das Gasthaus Beckmann, beide am Kaiser-Otto-Platz. ©

Auch deshalb lädt er mit seinen Mitstreitern ein auf eine urige Zeitreise. In die Stadt-Schänke an der Kaiser-Wilhelm-Straße oder nach Plückthun oder Beckmann, beide einst am Kaiser-Otto-Platz. Ein Pils auf die Schnelle gab’s bei Wessling in der Hansastraße (heute Bonita) oder gegenüber in der Jägerstube. Und bei Plümer in der Ahestraße („Alle Sorgen bringt zur Ruh’ Plümers Kümmel immerzu“), dem berühmten Kümmelhaus, brüstete man sich im Jahre 1953 gar damit, die älteste Wirtschaft Steeles zu sein. Wo heute ein griechisches Restaurant ist, da reichten Plümers Vorfahren einst schon Kaiser Otto den Met . . . Sagt man.

>>„ZUM WOHLE!“ – KNEIPENKULTUR IN STEELE

Die Ausstellung ist zu sehen vom 6.-29. April im Seniorenstift St. Laurentius am Lauren­tiusweg 49. Täglich von 10-18 Uhr.Sonderveranstaltungen: 15. April, 16 Uhr: „Aus dem alten Steele“. Lesung mit Arnd Hepprich vom Steeler Archiv. 22. April, 16 Uhr: Geschichten rund ums Bier mit Klaus Geiser und Brauern der Horst-Eiberger-Union („HEU“). 29. April, ab 11 Uhr: Abschluss-Frühschoppen, Hausmannskost, Getränke wie „anno dazumal“.