Essen. Spätestens 2034 soll der Flugbetrieb in Essen-Mülheim enden. Nun regt die CDU mit Blick auf neue Entwicklungen im Flugverkehr einen Wandel an.
Es ist eine Wende um 180 Grad. Und es ist, da mag Essens CDU-Vorsitzender Matthias Hauer auch gar nicht erst drumreden – „ein Infragestellen des Ausstiegsbeschlusses“ zum Flughafen Essen/Mülheim. Den hatte der Rat der Stadt schon 1994 gefasst und erst vor wenigen Jahren um den Passus „so schnell wie möglich“ ergänzt. Auch mit den Stimmen der CDU. Auf ihrem Kreisparteitag rissen Essens Christdemokraten jüngst zur allgemeinen Überraschung den Steuerknüppel jedoch herum.
Mit Mülheim soll die „bestmögliche Nutzung“ ausgelotet werden
Die Delegierten forderten den Parteivorstand auf, gemeinsam mit den Mülheimer Parteifreunden eine „bestmögliche Nutzung“ des Flughafengeländes auszuloten und dabei „die Fortführung des Flugbetriebes nicht kategorisch auszuschließen“. Wohl gemerkt über das Jahr 2034 hinaus. Spätestens dann, wenn die verbrieften Rechte der Sportflieger des Aero Club auslaufen, sollte eigentlich endgültig Schluss sein mit der Fliegerei auf den Ruhrhöhen. Für die Essener Christdemokraten gilt das nicht mehr. Warum nicht?
Befürworter eines schnellstmöglichen Ausstiegs wie die „Schutzgemeinschaft Fluglärm“ und die Grünen reagieren fassungslos auf den Kurswechsel der Christdemokraten. Dabei ist der Parteitagsbeschluss nicht vom Himmel gefallen, wie Matthias Hauer betont. Über ein Jahr lang hat sich ein parteiinterner Arbeitskreis unter der Leitung des Kettwiger Ratsherrn Guntmar Kipphardt mit der Frage befasst, wie es weitergehen soll mit dem Flughafen. Es seien die Jüngeren in Partei und Fraktion gewesen, die dafür den Anstoß gaben und die Frage aufgeworfen hätten, „ob denn alles so richtig ist, was ihr Älteren da schon vor Jahrzehnten beschlossen habt“. War es nicht, bringt Kipphardt die Antwort auf einen kurzen Nenner.
Auch Umweltargumente werden Pro Flughafen ins Feld geführt
Einige Argumente, die der Ratsherr vorbringt, dürften auch Umweltschützer unterschreiben: Da wäre die Bedeutung des Flughafen-Areals als Frischluft- und Kaltluftschneise. Und war es nicht die vom Aussterben bedrohte Feldlerche, die das Konzert des englischen Superbarden Ed Sheeran auf dem Flughafengelände unmöglich machte, weil sie dort brütet? Andere sind so alt wie die Diskussion um das Für und Wider des Flughafens: die Versorgung des Uni-Klinikums mit lebenswichtigen Organen, die Ausbildung von Berufspiloten, das Luftschiff „Theo“, ein sympathischer Werbeträger für die Region, wie die Christdemokraten finden.
„Theo“ wirkt wie aus der Zeit gefallen. Aber die bleibt nicht stehen. Mobilität verändert sich auch in der Luftfahrt. Für die CDU ein guter Grund, sich neuen Entwicklungen auch im Ruhrgebiet nicht zu verschließen. Niemand könne heute ausschließen, dass Flugtaxis oder elektrisch betriebene Multicopter zukünftig so selbstverständlich für unser Leben werden wie es heute Smartphones sind, heißt es in der Begründung zum Parteitagsbeschluss. Es bleibt eine Wette auf die Zukunft.
Elektro- und Hybridantriebe sind im Flugverkehr im Experimentierstadium
Noch sind das ungelegte Eier“, räumt Guntmar Kipphardt ein, der an der Formulierung des Antrages mitgearbeitet hat. Aber Firmen wie Airbus, Boeing oder Siemens experimentieren längst mit Elektro- und Hybridantrieben. Erste Prototypen für kleinere Flugmaschinen gibt es bereits. In den USA und in Dubai am Persischen Golf sollen „Volocopter“ und „Air Vehicle“ schon in wenigen Jahren Passagiere befördern. Dass Logistikfirmen wie DHL oder Hermes angesichts des rasant wachsenden Internethandels nur auf alternative Transportmittel zum Lieferwagen warten, um ihre Pakete auszutragen, liegt für Kipphardt auf der Hand. „Irgendwann kommen Lufttaxis usw. auch zu uns.“
Luftfahrtfirma WDL begrüßt das Umdenken in der CDU
Frank Peylo, Geschäftsführer des am Flughafen ansässigen Luftfahrtfirma WDL, sieht das genauso. „Es werden noch ein paar Jahre ins Land gehen, aber es ist realistisch.“ Auch sein Unternehmen denke in diese Richtung. „Was wir brauchen ist Planungssicherheit.“ Der Kurswechsel der CDU kommt der WDL und allen anderen, die mit der Fliegerei in Essen/Mülheim ihr Geld verdienen, wie gerufen. Die CDU sei vor der Flughafen-Lobby eingeknickt, heißt es von Seiten der Flugplatzgegner.
Guntmar Kipphardt erinnert daran, dass auch seine Partei den Ausstiegsbeschluss vor allem aus Gründen des Lärmschutzes mitgetragen habe. Auch dabei mache die Entwicklung moderner Motorentechnik nicht halt. Mehr Lärm als heute, dass ist für die Christdemokraten eine Prämisse, dürfe es nicht geben. Aber selbst die „kleine Düse“, vor Jahren Anlass für eine juristische Auseinandersetzung um eine erweiterte Betriebserlaubnis, ist für die CDU plötzlich kein Tabu mehr.
Für Befürworter eines schnellstmöglichen Ausstiegs kommt das Wendemanöver der Christdemokraten zur Unzeit. „Kaum wird es bei der Nachnutzung des Flughafengeländes ernst, will die Essener CDU das Gegenteil“, kritisiert Waldemar Nowak für die Schutzgemeinschaft gegen Fluglärm. Essen und Mülheim haben sich auf den Weg gemacht, das Flughafen-Gelände für Wohnen und Gewerbe zu entwickeln. Wohnungen für 8500 Menschen sollen auf dem weitläufigen Areal entstehen, dazu Arbeitsplätze für bis zu 2000 Beschäftigte. Allerdings ist unklar, inwieweit solche Großpläne überhaupt genehmigungsfähig sind, Noch stehen Gutachten aus. Einen Ideenwettbewerb wollen die Städte ausloben und bis Ende August Fördergelder beim Land beantragen.
Grüne: CDU macht sich unglaubwürdig
„Wenn die CDU diese Chance nicht nutzt, macht sie sich mit ihrer permanenten Forderung nach neuen Wohn- und Gewerbeflächen unglaubwürdig“, meint Hiltrud Schmutzler-Jäger, Fraktionssprecherin der Grünen im Essener Rat. Der Flughafen sei seit Jahrzehnten ein Subventionsgrab. Eine Viertelmillion muss die Stadt Essen jedes Jahr zuschießen, seit das Land NRW aus der gemeinsamen Flughafengesellschaft ausgestiegen ist. Im Falle eines Weiterbetriebes über 2034 hinaus würde die Instandsetzung des maroden Entwässerungssystems Millionen kosten.
Die CDU wolle nichts blockieren, „den Flugverkehr aber mitdenken“, hält ihr Guntmar Kipphardt entgegen. Und Denkverbote dürfe es nicht geben. Zu überzeugen gilt es zunächst die eigenen Parteifreunde in Mülheim, die in Sachen Ausstieg Kurs gehalten haben. Unklare Flug-Signale sendete in Mülheim eher die SPD. Um den Ausstiegsbeschluss in den Räten zu kippen, bedürfte es jeweils einer Mehrheit. Diese Mehrheiten zu finden, könnte das schwierigere Manöver sein.
Geschichte des Flughafens reicht bis ins Jahr 1919
Der Flughafen Essen-Mülheim hat eine lange Geschichte, die bis in das Jahr 1919 zurückreicht, als die ersten Flugzeuge auf dem noch unbefestigten Gelände starteten und landeten. In den 1920er Jahren wuchs seine Bedeutung, es gab Linienverkehr mit vielen europäischen Städten. Der Flughafen Düsseldorf wurde in dieser Zeit von Essen-Mülheim aus mitverwaltet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte an diese erfolgreiche Entwicklung nicht mehr angeknüpft werden, die Lärmprobleme und die Forderung nach einer Schließung beherrschten schließlich die Agenda und es kam zum Ausstiegsbeschluss. Eigentümer und Betreiber des Flughafens sind die Städten Essen und Mülheim je zur Hälfte.