Essen. . Sie schreiben dem Oberbürgermeister oder protestieren vorm Rathaus. Seit zehn Jahren kämpft die IG Kindertagespflege Essen für die Tageseltern.
Neun Gründungsmitglieder waren sie damals: Tagesmütter, die es leid waren, belächelt zu werden und schlecht bezahlt. Zehn Jahre später hat die Interessengemeinschaft (IG) Kindertagespflege Essen rund 450 Mitglieder und gilt als starker Lobby-Verband für Tagesmütter und -väter und als Ansprechpartner der Stadt. „Jetzt werden wir ernst genommen, und das Image unseres Berufes hat sich enorm verbessert“, sagt die IG-Vorsitzende Claudia Gößling (49).
Die gelernte Erzieherin startete schon 1996 als Tagesmutter: „Weil ich mein erstes Kind damals nicht abgeben wollte, um andere Kinder zu betreuen.“ Als Tagesmutter ließ sich beides kombinieren, und so kam das erste Tageskind zu ihr ins Haus, als ihr Sohn drei Monate alt war. Das Modell wuchs mit Gößlings Familie, schließlich betreute sie neben den eigenen drei Kindern fünf Tageskinder.
„Ich hab’ mir an der Bürokratie die Zähne ausgebissen“
„Das passte damals gut, war sehr eng und persönlich“, erinnert sie sich. „Aber als 2008 auch mein Jüngster in die Schule kam und der älteste schon 14 war, wollte ich nicht mehr, dass jeder in mein Wohnzimmer kommt.“ Die Idee, eine private Kita zu gründen, hatte sie verwerfen müssen, sich an der Bürokratie „die Zähne ausgebissen“. Nun aber bot das neue Kinderbildungsgesetz (Kibiz) auch Tagesmüttern die Möglichkeit, eigene Räume anzumieten und Kinder dort zu betreuen.
Die oft als Nebenjob für Mütter abqualifizierte Aufgabe sollte professionalisiert werden, bald mussten sich Tagesmütter daher auch renten-, kranken- und sozialversichern. Claudia Gößling eröffnete gleich 2008 eine solche Großtagespflege, stieß aber wieder auf bürokratische Hürden und ärgerte sich über das Finanzierungsangebot der Stadt: „Das wäre für mich ein Minusgeschäft gewesen.“ Und so kam es 2009 zur Gründung der Interessengemeinschaft (IG) Kindertagespflege, mit zunächst neun Mitgliedern – und vielen Sympathisantinnen. „Wir schrieben offene Briefe an den Oberbürgermeister und organisierten Proteste vor dem Rathaus.“
Von der Rechtsberatung bis zum Kinderwagen-Verleih
Eine Strategie, die sich doppelt bewährte: Die Stadt suchte das Gespräch mit der IG und andere Tagesmütter schlossen sich dem streitbaren Verband an. „Inzwischen nehmen wir an jeder Sitzung des Jugendhilfeausschusses teil und werden auch gehört.“
Doch die IG verstand sich von Anfang an nicht nur als Lautsprecher für die Anliegen der Tageseltern, sondern berät diese auch bei Aufbau und Betrieb von Tagespflegestellen, vermittelt beim Gespräch mit Behörden und Fachdiensten und bietet Service von der Fortbildung über Rechtsberatung bis zur Kinderwagen-Ausleihbörse. „Die politische Arbeit kommt noch obenauf“, sagt Claudia Gößling.
Beim Kita-Gipfel werden sie ihre Anliegen vortragen
Wichtigstes Anliegen sei aktuell, „dass unsere Anträge manchmal vier Monate beim Bauordnungsamt liegen, ohne dass es eine Reaktion gibt“. Da wünsche man sich klarere Regeln und einen festen Ansprechpartner bei der Stadt. Ärgerlich sei zudem, dass Tagesmütter kein Essensgeld von den Eltern nehmen dürfen. „In den meisten Städten ist das möglich, und die Eltern wären auch bereit zu zahlen. Aber hier sagt die Stadt, das sei schon in den Beiträgen enthalten. So zahlen wir drauf.“ Die Klage zum Essensgeld sei seit 2014 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen anhängig.
Wenn die Stadt an diesem Freitag (10. Mai) zum Kita-Gipfel lädt, werden sie diese Themen ansprechen. Schließlich wissen die Tageseltern auch, dass sie gebraucht werden: In Essen fehlen fast 3000 Betreuungsplätze für Kinder.
>>> 10 JAHRE INTERESSENSGEMEINSCHAFT
- Die Interessengemeinschaft Kindertagespflege feiert an diesem Sonntag, 12. Mai, in der Gruga ihr zehnjähriges Bestehen. Infos zur IG: www.ig-kindertagespflege.de/
- Der Vorstandsposten habe sich längst zum Zweitjob entwickelt, sagt die Vorsitzende Claudia Gößling. „Das ist nur zu stemmen, weil wir ein eingespieltes Vierer-Team sind, das sich die Aufgaben teilt.“ Mit ihr im Vorstand sind: Rebecca Eggeling, Andrea Belusa, und Yvonne Röder.