Essen. . Heiß diskutiert, viel fotografiert: Obwohl der Essener Plastikbaum auf dem Weihnachtsmarkt umstritten ist, wird er geknipst wie nichts anderes.

Erst pfui, jetzt hui: Die umstrittene Plastik-Tanne, die im November erstmals auf dem Weihnachtsmarkt am Willy-Brandt-Platz installiert worden ist, hat sich in den vergangenen Wochen zum heimlichen Foto-Star unter den Besuchern entwickelt. Täglich fotografieren hunderte Bürger die elf Meter hohe PVC-Skulptur, knipsen ihre Liebsten im beleuchteten Durchgang oder lichten sich mit ihrem Smartphone selbst ab vor dem Baum – „Selfie vor Plastiktanne“ ist auch ein sehr verbreitetes Motiv im Foto-Netzwerk „Instagram“.

Wer im Internet auf der „Instagram“-Seite die Kennung „#weihnachtsmarktessen“ eingibt, der bekommt 1764 Fotos zu sehen (Stand Donnerstag, 15.15 Uhr). Sie zeigen: Glühweintassen, das beleuchtete Riesenrad, und: den Baum in allen Variationen. „Er ist“, bestätigt Ina Will, „ein beliebtes Fotomotiv bei allen Generationen, nicht nur bei den jungen Leuten.“

Kübelweise Häme im November

Ina Will ist Sprecherin der Essen Marketing GmbH (EMG), dem Veranstalter des Essener Weihnachtsmarktes. Anfang November gossen viele Bürger kübelweise Häme über die EMG, als sichtbar wurde, was da auf dem Willy-Brandt-Platz an zentraler Lage installiert wird – und als Ersatz dienen soll für die traditionelle Tanne, die Jahrzehnte direkt vor der Hauptpost stand.

Ein Plastikbaum für die Grüne Hauptstadt – das war, neben gewöhnungsbedürftiger Optik, das Haupt-Argument der Kritiker. „Ich find’ den immer noch hässlich und unpassend für Essen“, sagt gestern Peter Möller (65), der sich am Nachmittag mit seinem ehemaligen Kollegen Peter Großpietsch (53) auf einen Glühwein trifft, beide wohnen in Essen und haben interessiert die Debatte verfolgt. Und trotzdem: Gemeinsam postieren sie sich vor den Baum, zücken ihre Smartphones, grinsen – klick.

Auswärtige sind unkritischer als Essener

Leute aus anderen Revierstädten sind wesentlich unkritischer: „Wir haben jetzt acht Weihnachtsmärkte besucht, dieser hier ist mit am schönsten“, sagt Kerstin Tischler (51) aus Herne. „Dass der Baum künstlich ist, macht doch nichts. Ich find’ den niedlich.“ Ihr Mann Karsten startet unterdessen sein Smartphone, lichtet seine Frau im dreieckigen Eingang ab, dessen LEDs langsam von Rot nach Weiß wechseln. „Ist doch toll!“

Andrea Stanke (51) aus Holsterhausen trifft sich derweil mit ihrer Tochter Juliane Isenberg (24) vor dem Baum – für ein Selfie, und dann wird gebummelt: „Die alte Tanne vor der Post war schöner“, sagen die beiden. Trotzdem: Fürs Foto wird freundlich gelächelt.

2019 soll es auch wieder eine richtige Tanne geben

Die Kunststoff-Skulptur wird beim Weihnachtsmarkt 2019 übrigens wieder an derselben Stelle aufgestellt – so viel steht jetzt schon fest. Auch wenn Richard Röhrhoff, Geschäftsführer der EMG, zwischenzeitlich angekündigt hat, dass es 2019 wieder eine richtige Tanne geben soll. Nach einem Platz werde bald gesucht.

Bei allen Diskussionen scheint eins fast vergessen: Der letzte, echte Baum, der 2017 vor der Hauptpost aufgestellt wurde, war durch den Transport arg in Mitleidenschaft gezogen worden, ihm fehlten viele Äste. Nachträglich angebrachtes Grün rettete nichts mehr. Die Rede war von „Deutschlands hässlichstem Weihnachtsbaum“.