Essen. . Hein Mulders, Intendant von Aalto und Philharmonie, redet über Publikumserfolge und Programmkontraste. Spielzeit soll künftig glanzvoller starten
Die ersten fünf Spielzeiten liegen hinter ihm. Hein Mulders, seit der Spielzeit 2013/14 Doppelintendant von Aalto-Theater und Philharmonie, hat mit seiner ambitionierten Programmpolitik Mut bewiesen, bisweilen aber auch Kritik hinnehmen müssen. „Man weiß jetzt, was man besser machen kann, und was man lassen kann.“ An den Säulen seiner Spielpläne, mit Mozart und der slawischen Linie, aber auch mit Wagner, Strauss und Verdi, will der Niederländer nichts ändern. Im Gespräch mit Martina Schürmann kündigte der 55-Jährige aber auch Veränderungen an.
Für die Ferienzeit haben Sie sich mal „keine Musik“ verordnet. Wie klingt die abgelaufene Spielzeit nach?
Mulders: Ich bin sehr zufrieden. Mit der Untertage-Oper „Hans Heiling“ haben wir uns im Abschiedsjahr von der Steinkohle ganz bewusst ans regionale Publikum gewendet und damit großen Erfolg gehabt. 70 Prozent Auslastung sind für eine relativ unbekannte Oper ein großer Erfolg. Und auch der Ausflug ins Operettenfach mit „Eine Nacht in Venedig“ war ein Riesenerfolg, was nicht selbstverständlich ist.
Um das vermeintlich leichte Fach haben Sie zunächst einen Bogen gemacht, bleibt es eine Ausnahme?
Nein, dieser Mix bleibt und ist auch erfolgreich. Das ist kein Kniefall vor der Operette, das mache ich aus voller Überzeugung. Die nächste ist schon für 2019/20 fest in Planung. Die übernächste kommt vermutlich in vier Jahren. Musical muss ein Haus wie das Aalto bei nur fünf Produktionen pro Jahr nicht machen, dafür ist es zu teuer. Und dafür gibt es in Essen ein Colosseum-Theater.
In den ersten Jahren sind Sie oft mit Besonderheiten und Repertoire-Raritäten in die Spielzeit gestartet. Diesmal gibt es zum Auftakt eine Neuinszenierung der „Carmen“. Ein Zugeständnis ans Publikum?
Ich habe gelernt, dass man die Saison besser nicht mehr mit etwas Unbekanntem eröffnet wie beispielsweise der „Greek Passion“. Der Spielzeitstart braucht hier etwas Glanzvolles, ein großes Stück. Wobei man im Grunde doch immer die gesamte Spielzeit vor Augen haben muss: Mir geht es um den guten Mix.
Neben „Carmen“ kommen auch mit „Cosi fan tutte“ und „Der Freischütz“ alte Spielplan-Bekannte in einer Neuinszenierung zurück. Ist es im sechsten Jahr einer Intendanz nicht mehr so wichtig, sich abzugrenzen vom Vorgänger-Spielplan?
Im Gegenteil. Ich würde immer noch gerne viel mehr Unbekanntes zeigen. Und jedes Jahr Händel und eine französische Oper. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass die Leute eine neue Traviata, eine Carmen im Repertoire brauchen. Und wenn ein Generalmusikdirektor wie Tomáš Netopil, der selbst von den Wiener Philharmonikern Probenapplaus bekommt, als Mozart-Spezialist „Cosi fan tutte“ dirigiert, dann ist das natürlich toll. 2018/19 legen wir mit „Le nozze di Figaro“ nach. Es muss nicht immer das Unbekannte sein.
Statt der vielen internationalen Koproduktionen zu Anfang gab es in den vergangenen zwei Spielzeiten ausschließlich Essener Eigenproduktionen. Wird es dabei bleiben?
Es wird wieder Koproduktionen geben, die ganze Welt macht das schließlich mit großem künstlerischem Gewinn. Aber es werden weniger sein als in den ersten ein, zwei Jahren. Ich will schließlich auch an der internationalen Riege dran bleiben. Aber Leute wie Stefan Herheim oder Philipp Stölzl für eine eigene Essener Produktion zu gewinnen, ist fast aussichtslos. Solche Regisseure denken fünf, sechs Jahre im Voraus. Soweit voraus planen wir unser Programm auch wieder nicht.
Sie haben ein Wiedersehen mit Akteuren der Soltesz-Ära angekündigt. Man denkt an Dietrich Hilsdorf.
Wir haben uns des öfteren getroffen und sind uns auch fast einig. Er soll aber nicht den zigsten Wagner oder Verdi inszenieren. Das Schöne an Hilsdorf ist ja, dass er unglaublich breit aufgestellt ist. Gerade hat er seine Leidenschaft für den Belcanto entdeckt. Wir sind gespannt.
Loriots „Ring an einem Abend“ trifft in der neuen Spielzeit auf Reimanns „Medea“. Ein breites Spektrum.
Bei nur fünf Produktionen pro Saison ist der Kontrast sehr wichtig. Loriots Ring ist eine Wahl mit Augenzwinkern. Ich wollte dem Wagner-Publikum etwas bieten. Aber für einen komplett neuen Ring ist es derzeit nicht an der Zeit, (lacht): Vielleicht wenn ich noch mal verlängert werden. Wir versuchen aber auch, wie in der vergangenen Spielzeit, trotz knapper Mittel künftig noch eine sechste Neuproduktion zu realisieren, immer ein wenig anders und vielleicht auf Kosten von zu vielen Wiederaufnahmen.
Mit Tatjana Gürbaca kehrt eine Regisseurin ans Haus zurück, die dem Aalto mit „Lohengrin“ einen der größten Erfolge seit langem beschert hat. Ist es jetzt Politik, Künstler stärker ans Haus zu binden?
Am Anfang habe ich tatsächlich viel ausprobiert: 25 Produktionen, 25 Regisseure. Mit Mariame Clement, Tatjana Gürbaca und Lotte de Beer kehrt so etwas wie Kontinuität ein. Manchmal lohnt es sich aber auch zu beobachten und Künstler zu entdecken, die man vor zwei, drei Jahren gar nicht auf dem Ticket hatte.
Sie haben bewusst Sänger engagiert, die am Anfang ihrer Karriere stehen und das Haus irgendwann auch wieder verlassen. Längst aber gibt es Publikumslieblinge, die man nicht ziehen lassen möchte.
Wenn man Qualität holt und sich diese Qualität am Haus dann weiterentwickelt, dann ist das wunderschön. Aber ich kann natürlich nicht das doppelte Gehalt zahlen, nur um einen Sänger zu halten, der sonst nach Wien oder Hamburg geht. Sogar aus dem Orchestergraben hört man, dass sich das allgemeine Sängerniveau in den letzten Jahren gesteigert hat. Bei Stefan Soltesz stand das Orchester sehr im Vordergrund, bei mir ist das einer der wesentlichen Aspekte von Oper. Es muss auf der Bühne stimmen, es muss stimmlich stimmen. Und das Orchester hat ein Top-Niveau, das sich unter Tomáš Netopil noch einmal weiterentwickelt hat.
Blicken wir in die Philharmonie. Mit dem Geiger Daniel Hope hat die vergangene Spielzeit einen echten Publikumsliebling hervorgebracht. Das Ideal eines Residenz-Künstlers?
Hope war natürlich ein Glücksfall, er hat einfach alles. Aber auch Philippe Herreweghe war ein großer Erfolg. Und auch das Collegium Vocale Gent wird in dieser Spielzeit sein Publikum finden, vielleicht bei etwas weniger Auslastung, aber ich stehe genauso dazu. Das Schöne ist, dass Residenz-Künstler auch häufiger zurückkommen. Und Daniel Hope hat unser Orchester für 2019 bereits zu einem Konzertgastspiel in die Dresdner Frauenkirche eingeladen, wo er künstlerischer Leiter wird. Nur ein Highlight der übernächsten philharmonischen Saison. 2019 gastieren die Essener Philharmoniker auch in Amsterdam und Prag. Und bereits in diesem Spätsommer sind sie für drei Konzerte in Essens polnischer Partnerstadt Zabrze und in Krakau zu Gast.
Die Essener Philharmoniker sollen in der kommenden Spielzeit generell noch stärker ins Rampenlicht gerückt werden?
Als ich in Essen angefangen habe, hatten die Philharmoniker die allerbesten Auslastungszahlen. Damals dachte ich, die Leute kommen, egal was man programmiert. Aber eines unserer künstlerisch erfolgreichsten und anspruchsvollsten Konzerte war nur schlecht verkauft, die Auslastung hat zeitweise nachgelassen. Inzwischen liegt sie aber wieder bei rund 80 Prozent, ähnlich wie bei der gesamten Philharmonie, was ganz toll ist. Um die Marke zu pflegen, haben wir für die kommenden Jahre auch noch einen neuen Marketingplan entwickelt. Die sichtbarste Maßnahme sind in der neuen Saison die drei Matinee-Konzerte mit Götz Alsmann, der am Sonntagvormittag jeweils ein Highlight der vorausgegangenen Sinfoniekonzerte moderiert und präsentiert. Und die gesamte Konzertsaison verspricht wieder mehr Highlights und große Namen, Repertoireerfolge, aber auch Anspruchsvolles. Julian Rachlin, Gautier Capuço, Boris Berezovsky oder Christiane Karg sorgen für mehr Prominenz.
Das Aalto-Theater wird in diesem Jahr 30, ein Grund zu feiern?
Nachdem wir erst das 25-jährige Musiktheater-Jubiläum und zehn Jahre Philharmonie gefeiert haben, belassen wir es diesmal beim großen Theaterfest zum Start der Saison am 16. September.