Essen. . Die Essener Tafel war in aller Munde, weil sie vorübergehend keine Ausländer aufnahm. Nun herrscht wieder Alltag. Was hat sich verändert?

Wie es ihm geht? Gut, soweit. Würde nicht ständig das Telefon schellen, Jörg Sartor hätte wohl die Ruhe weg. Erstaunlich für jemanden, der für die gefühlte Hälfte der Republik der personifizierte Buhmann war: Ein Rassist, der bedürftigen Menschen die Tür vor der Nase zuhaut, nur weil sie Ausländer sind. Für die gefühlte andere Hälfte war Sartor einer, der den Mut hat, die Dinge beim Namen zu nennen, so wie sie sind. Dafür klopften sie ihm auf die Schulter.

Schwarz oder weiß? Für Grautöne war selten Platz in der Debatte um die Essener Tafel. Als durch einen Bericht der WAZ im Februar öffentlich geworden war, dass die Tafel vorübergehend keine Ausländer mehr aufnehmen würde, löste das in Medien, Politik und Öffentlichkeit einen Sturm aus wie wohl selten ein lokales Ereignis. Mitten drin: Jörg Sartor, der pensionierte Bergmann, der seit 13 Jahren die Tafel ehrenamtlich leitet. Die Entscheidung des Vorstandes begründete er plakativ: „Die deutsche Oma bleibt weg, weil sie sich nicht mehr wohl fühlt.“

Kritik gab es sogar von der Kanzlerin

Die Wogen haben sich wieder beruhigt, seit Ende März nimmt die Tafel wieder Kunden ohne deutschen Pass auf. Alleinerziehende, Familien mit Kindern, Senioren und Behinderte werden bevorzugt, gleich welcher Nationalität. Auf diese Idee hätten sie viel früher kommen können im Steeler Wasserturm, und die Essener Tafel wäre eine von vielen geblieben. Als Sartor bewusst wurde, was er da losgetreten hatte, als es Lob gab und Kritik hagelte, sogar von ganz oben aus Berlin von der Kanzlerin persönlich, da wollte er nicht einfach kleinbeigeben. Nicht weil er dafür zu stur gewesen wäre. Es wäre das falsche Signal gewesen, hat er einmal gesagt.

Es war nie Sartors Absicht, dass die gesamte Republik den Aufnahmestopp zum Anlass nehmen würde, um über die Folgen der Flüchtlingskrise zu diskutieren, dass alle Welt wie durch ein Brennglas auf die Verhältnisse in Essen guckt. Aber als es so kam, da war es Sartor recht. Vereinnehmen ließ der Tafelchef sich dabei nicht. Gerade bleiben! Das ist ihm wichtig.

Auch interessant

Und heute? „Viele sind durch die Geschichte erst auf uns aufmerksam geworden“, sagt Sartor. Sprachen früher im Monat 150 bis 200 Bedürftige für einen Bezugsschein vor, der ihnen erlaubt, einmal pro Woche ein Jahr lang Lebensmittel mitzunehmen, so seien es inzwischen 250 Personen. Und die deutsche Oma? „Die ist wieder da.“ Alleinstehende junge Männer kommen dagegen kaum noch zum Zug; sie waren Anlass für den vorübergehenden Aufnahmestopp. Andere Gruppen werden bevorzugt. Dabei soll es bleiben. Das Team der ehrenamtlichen Helfer sei enger zusammengewachsen, ist Sartor überzeugt. Nur zwei der 120 Mitarbeiter hatten die Brocken hingeworfen, weil sie mit dem Kurs des Vorstandes nicht einverstanden waren. Sartor wertet das als Bestätigung. Und noch etwas ist ihm aufgefallen: Draußen vor der Lebensmittelausgabe gehe es geordneter zu. „Man hat mehr Verständnis füreinander.“ Was aber auch daran liegen mag, dass der Platz am Wasserturm vergrößert worden ist. Mit der Aufregung um die Tafel hat das nichts zu tun.

Einladungen in TV-Talkrunden hat Jörg Sartor widerstanden

Und was hat die ganze Geschichte mit ihm persönlich gemacht? Sofern es eine Verlockung gewesen sein sollte, eine Einladung in eine der vielen TV-Talkrunden anzunehmen – Sartor hat ihr widerstanden. Ob Anne Will, Markus Lanz oder Maybrit Illner, er ließ sie abblitzen. Und die vielen Politiker die sich gemeldet haben – hoffentlich haben sie ihm zugehört.

Dennoch würde Sartor lügen, hätte er nicht auch Gefallen gefunden an der Aufmerksamkeit, die ihm da zuteil geworden war. Ein bisschen langweilig sei es schon, hat er Wochen danach einmal zugegeben. Heute noch melden sich Journalisten. Die örtliche CDU hat ihn zum traditionellen Spargelessen eingeladen. Die FDP bat ihn beim Sommerfest im Landtag zu einer Diskussion übers Ehrenamt aufs Podium. Sartor fuhr hin und rasch wieder nach Hause zu Freunden daheim auf dem Fußballplatz. Das war ihm wichtiger.