Essen. . Die Essener Grünen feierten ihr Abschneiden bei der Bundestagswahl frenetisch. Spitzenkandidat Kai Gehring lobte den tollen grünen Schlussspurt.
- Der grüne Abgeordnete Kai Gehring musste um seinen Sitz im Parlament bangen
- Die Demoskopen hatten die Grünen beständig bei acht Prozent gesehen
- Bei aller Freude über den Wiedereinzug– das Abschneiden der AfD schmerzt den Grünen sehr
Kai Gehring ist auch ohne seine vierte Legislaturperiode schon Polit-Profi genug, um die neue Gemengelage im Parlament trotz des frenetischen Jubels und der stehenden Ovationen in der Grünen-Parteizentrale am Kopstadtplatz schnell zu erfassen. Sollte es nach dem Rückzug der SPD in die Opposition auf ein Jamaika-Bündnis hinauslaufen, stellt er klar, dann „gibt es mit den Grünen keine Koalition um jeden Preis“. Eine solche Konstellation sei nur denkbar, „wenn die grünen Inhalte stimmen“. Derer wegen sei er schließlich wieder gewählt worden, sagt Gehring: „Ein Zeichen des Vertrauens.“
Da hatte er gerade seine Mitbewerberin Gönül Eğlence, die von einem weniger aussichtsreichen Listenplatz 19 nicht den Sprung ins Parlament schaffte, umarmt und seinen Beifall klatschenden Mitstreitern im Saal gedankt: „Ich werde nach Kräften weiter eine grüne Politik vertreten.“ Der Erfolg sei auch dem „tollen grünen Schlussspurt bundesweit zu verdanken“.
Dabei musste der Sozialwissenschaftler der Ruhr-Uni, 39 Jahre alt und dennoch Essens dienstältester Abgeordneter in Berlin, bis zum Schluss um seinen Wiedereinzug zittern. Zu beharrlich hatten die Demoskopen die Grünen bei einem Wahlergebnis gesehen, das – wäre es allein nach deren Prognosen gegangen – kaum besser, eher schlechter ausgefallen wäre, als bei der Bundestagswahl vor vier Jahren. Dann wäre Gehring sein Mandat unter Umständen los gewesen.
Abschneiden der AfD – „österreichische Verhältnisse“
Dessen war er sich „stets bewusst“, weil der Job eines Bundestagsabgeordneten nun mal nichts anderes als ein „befristetes Arbeitsverhältnis“ sei. Das hat nun der Wähler für weitere vier Jahre verlängert. Das freut Gehring sehr, aber das übrige Wahlergebnis, die Verluste der beiden bisherigen Regierungsparteien, insbesondere aber das Abschneiden der AfD, das tue schon „sehr weh“ und erinnere an österreichische Verhältnisse. Ein Trost sei allenfalls, dass „86,5 Prozent die AfD nicht gewählt haben. Das ist auch ein gutes Ergebnis“.
Ein Gefühl, das Rolf Fliß, Ratsherr der Grünen in Essen, wie die vielen Anderen am Grünen-Sitz uneingeschränkt teilt: „Ich bin bestürzt über das Abschneiden der AfD“, sagt Fliß, während Gönül Eğlence den Abgang der SPD als stärkste Fraktion in der Opposition vor der AfD als nicht unproblematisch beurteilt: „Man zieht sich raus und die anderen sollen jetzt gucken, wie sie eine Regierung zusammenbekommen.“ Zumal die Grünen im Vorfeld „bewusst auf eine Koalitionsaussage verzichtet“ hatten, wie Gehring gerne betont.
Viel Zuspruch auf der Zielgeraden gespürt
Es ist ein politischer Feier-Abend am Kopstadtplatz mit Pizza, Kuchen und orientalischen Happen zwischen neuer grüner Zuversicht und der vagen Aussicht, wieder in der Regierung mitmischen zu können. Diese Position sei den Grünen nicht zugeflogen, heißt es. Für das insgesamt bessere Abschneiden „haben wir alles gegeben“, meint Gehring. Plakate gehängt, Flyer verteilt, an Haustüren geklingelt, Briefkästen, Kneipen und Wochenmärkte begrünt. „Super, super gekämpft“, entfährt es Rolf Fliß, der einem Parteikollegen auf die Schulter klopft.
Dass der intensive bundesweite Wahlkampf nicht ohne Wirkung blieb, habe sich vor allem auf der Zielgeraden bemerkbar gemacht, sagt der Ratsherr. Der Zuspruch sei zuletzt sehr groß gewesen. Und sie kämpften bis zuletzt, ist Gehring überzeugt. Intensiv sei es gewesen, schön, spannend und anstrengend dazu.
Die Couch als Lohn für die getane Arbeit
Am Samstagabend war dann die Couch der Lohn für die getane Arbeit, erzählt der 39-Jährige. Und am Wahlsonntag hat er das erste mal nach vier Wochen ausschlafen können – ohne am Ende ein böses Erwachen erleben zu müssen. Denn grüne Inhalte, Themen wie Umwelt und Gerechtigkeit, seien glücklicherweise gestärkt worden. Jetzt will er weiterackern, kündigt der Essener Bundestagsabgeordnete an: „für Fairness, Vielfalt und Freiheit“.
Doch was wäre denn gewesen, wenn sein vermeintlich sicherer Listenplatz 10 am Ende doch nicht gereicht hätte? Kai Gehring hat es bedacht, hatte bereits einen Plan B in der Tasche, sagt er. Nein, nein, winkt der 39-Jährige ab, hervorholen werde er ihn jetzt natürlich nicht. Musste er ja auch nicht – nicht an diesem Wahlabend.