Essen. . Er war Bänker, Internet-Schuhhändler und Multimillionär auf dem Papier: Jetzt zieht Stefan Keuter für die AfD zieht er wohl in den Bundestag.
- Stefan Keuter war schon Bänker, Internet-Schuhhändler und Multimillionär auf dem Papier
- Demnächst wird der 45-Jährige wohl für die AfD im Bundestag sitzen
- Begriffe wie „Schuldkult“ und „Volksgemeinschaft“ gehen ihm locker über die Lippen
Er hat das ja schon hinter sich, seit damals auf dem Ellesmere College in den englischen West Midlands: Wenn die Mitschüler mitbekamen, dass dieser Typ da ein Deutscher war, hoben sie mal eben die Hand zum „Deutschen Gruß“ und riefen so laut „Heil Hitler!“, dass er zusammenzuckte. Englischer Humor halt.
Wer Stefan Keuter heute in die Nazi-Ecke rückt, ist weniger auf Spässken aus. Der 45-Jährige ist seit einiger Zeit Vorsitzender der örtlichen „Alternative für Deutschland“ (AfD); Begriffe wie „Schuldkult“ und „Volksgemeinschaft“ gehen ihm locker über die Lippen, und wenn er über einen Holocaust-Schwadroneur und provokanten Rechtsaußen wie Björn Höcke auch sagt, dass der „nicht gerade mein Freund“ ist, weigert er sich doch hartnäckig, an der Grenze zum rechten Rand rote Linien zu ziehen. Wo das hinführt? Keuter scheint selbst gespannt: In den kommenden vier Jahren sitzt er aller Voraussicht nach im Deutschen Bundestag, Platz 11 der NRW-Landesliste hat gereicht.
Mit einem Freund gegründete Shoes24.com AG
Für einen, der zuvor noch nie in einer Partei war und „Politiker eigentlich immer als ziemlich unehrenhaften Beruf empfand“, ist das eine kuriose Lebenswende. Es hätte auch nicht viel gefehlt, und Keuter wäre statt im politischen Show- im Schuhgeschäft gelandet: Seine zur Jahrtausendwende mit einem Freund gegründete Shoes24.com AG, ein Online-Shop für Markenschuhe, aber landete in der Insolvenz, die Zeit für die Zalandos dieser Welt war noch nicht reif. Oder lag’s an seiner Ahnungslosigkeit? „Was wussten Sie damals über Schuhe, Herr Keuter?“ – „Was wusste ich vor kurzem noch von Politik?“, fragt er zurück: „Gar nix.“
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Was das politische und das berufliche Leben des Stefan Keuter verbindet, ist augenscheinlich nicht, der große Fachmann in der Sache zu sein, sondern mit analytischem Blick Strukturen zu durchschauen. Und eine Vorstellung davon zu entwickeln, „wo man hin will“.
Auf Depot-Auszug fanden sich Aktien im Wert von zehn Millionen D-Mark
Was er in jungen Jahren wollte, hakte er ab wie in einer Bilderbuch-Karriere: Lehre als Bankkaufmann bei der Deutschen Bank, Aufnahme in deren Förderkreis, Experte in Vermögensanlagen, Studium an der Essener Fachhochschule für Ökonomie und Management mit dem Abschluss Diplom-Betriebswirt, Wechsel in die „New Economy“ zur Art-Department-Gruppe, einer Tochterfirma jener Software-Schmiede, die das Moorhuhn erfand.
Als er nach deren Börsengang zu einer Investment-Bank nach Frankfurt am Main wechselte, hatte Stefan Keuter es geschafft, zumindest auf dem Papier: Auf seinem Depot-Auszug fanden sich Aktien im Wert von zehn Millionen D-Mark und von seinem Büro im 16. Stock des Japan-Towers lag ihm die Geld-Hauptstadt der Republik zu Füßen. Wenn er für Geschäftsideen Investoren zusammentrommelte, um eine neue Idee umzusetzen, hatte er mitunter noch am gleichen Abend die notwendigen Millionen-Zusagen beisammen. „Es war eine Spielwelt“, sagt er heute, „und es war eine Sucht.“
Als der „Neue Markt“ zusammenfiel, schmolzen Keuters Millionen dahin
Doch wer hat, der will noch mehr, sucht Selbstbestätigung und neue Ziele. Und als der „Neue Markt“ 2002 wie ein Kartenhaus zusammenfiel, schmolzen auch Keuters Millionen dahin, die er zum Teil zuvor noch in gutem Glauben investiert hatte. Was ihm blieb, war unter anderem eine 74 Quadratmeter große Eigentumswohnung im teuren Frankfurter Norden und der ungebremste Hang zum Geschäftemachen: mal mit importierten Kautschuk-Gummistiefeln aus China, mal mit Outdoor-Zubehör, mal als Vorstand einer Firma für Wagnis-Kapital. Rauf, runter, rauf, runter.
„Ich habe viel gewonnen und viel verloren“, räumt er ein, „aber es ist immer noch genug hängengeblieben.“ Seine letzte Firma Tradco GmbH rutschte 2016 in die Insolvenz, Keuter ist damit noch nicht fertig, er prozessiert und hält sich seither mit Berater-Jobs im Geschäft. Manchmal gewinnt man den Eindruck: Die Politik, das ist für ihn auch nur so ein „Projekt“.
Bernd Lucke traf seinen Nerv
Ein ehemaliger Mitarbeiter hatte ihn 2013 auf die AfD aufmerksam gemacht, und dieser Bernd Lucke, den er da als Gast bei einem Parteitag kennenlernte, traf seinen Nerv: Euro, Altersarmut, kalte Inflation, Rente – „das ist nicht wirklich sexy, aber es sind Themen mit riesiger Sprengkraft“, fand Keuter und wurde Mitglied, später stellvertretender Kreisvorsitzender und Sprecher der Essener AfD.
Ein Aufstieg, der nur möglich war, weil Keuter anders als jene, die der Rechtsruck in der AfD störte, eine bemerkenswerte – man könnte auch sagen: beängstigende – Gelassenheit gegenüber Tabuverletzungen am rechten Rand an den Tag legt. Was ein Höcke von sich gibt, „das stößt mich teilweise auch ab“, sagt er zwar, um dann aber prompt zu entschuldigen, „dass auch das eine Daseinsberechtigung hat, dass der Osten eben anders tickt“, dass politische Provokationen dazugehörten und man mit „potenziellem ,Nazisprech’“ nicht gar so hart ins Gericht gehen möge. Ihm alles immer noch lieber, als „rundgelutschte Politiker mit ihren Denk- und Sprechverboten“, die Probleme wegleugneten, auch und gerade beim Thema Flüchtlinge. Rassistische Ausfälle, völkische Denke, „entsorgte“ Prominente, gepriesene Wehrmachts-Soldaten - „Nein, ich schlafe nicht schlecht.“
Er will „Stachel im Fleisch der Altparteien“ sein
Für Keuter wächst sich die Politik zur Geschäftsidee auf einem diesmal politischen „Neuen Markt“ aus: „Man definiert Ziele und verfolgt sie. Und wenn ich es etwas mache, dann mache ich es richtig.“ Dann ist er sich auch nicht zu schade, den überforderten Darsteller eines Stadtwerke-Maskottchens zum albernen Daumen-hoch zu animieren. Er hat noch viel vor: Er als Kupferdreher Abgeordneter im Bundestag und mit dem Ex-SPD-Genossen Guido Reil aus Karnap, den entdeckt zu haben er für sich reklamiert.
Mit ihm gemeinsam will er „Stachel im Fleisch der Altparteien“ sein. Und es tut jetzt schon sehr sehr weh.