Essen. . Gülseven Zeneloski aus Essen blieb in der Grundschule hängen – niemand traute ihr etwas zu. Später machte sie Abi, fängt jetzt ein Studium an.

  • Die Tochter eines mazedonischen Arbeiters und einer Supermarkt-Verkäuferin entdeckte das „Lernhaus“
  • Der Kinderschutzbund betreibt vier „Lernhäuser“ in Essen, in denen Schulkindern täglich geholfen wird
  • Ab Klasse fünf wurden die Noten besser – im Sommer hat die Schülerin ihr Abi gemacht

Ob ein Grundschulkind später mal Abitur machen und zur Uni gehen kann, hängt nicht nur von seinen Leistungen ab. Die Frage ist auch, ob eine Familie da ist, die im Zweifel helfen kann. Bei Migranten heißt die Antwort oft: Nein. Ob das berechtigt ist oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls enden viel versprechende Bildungswege junger Migranten oft dort, wo Familien nicht helfen können oder wollen – besonders betroffen, Praktiker berichten das immer wieder, sind vor allem junge Migrantinnen. Dass sie zur Uni gehen, ist zu Hause oft gar nicht erwünscht.

Bestimmt gibt es viele Gegenbeispiele – bloß wird von ihnen kaum berichtet. Deshalb ist jetzt hier von Gülseven Zeneloski aus Altenessen die Rede, 20 Jahre alt, in diesem Sommer hat sie ihr Abitur an der Gesamtschule Nord in Vogelheim gemacht.

Neulich sprach sie bei einem Festakt

In der vergangenen Woche hatte sie einen Auftritt, der viele bewegt hat, es war beim Kinderschutzbund, dort bekam die Initiative „Lernhäuser“ den renommierten Deichmann-Förderpreis, auch der neue NRW-Familienminister Joachim Stamp war da. Vor hundert Herren und Damen erzählte Gülseven Zeneloski einfach nur ihre Geschichte – denn auch sie war mal eins von vielen Kindern mit so genanntem Migrationshintergrund, denen man ihre Chancen, die sie sich erarbeiten können, zunächst nicht so richtig zugetraut hat.

„Die vierte Klasse an der Grundschule musste ich wiederholen, ich stand eigentlich in allen Fächern schlecht, vor allem haperte es mit der Sprache“, erinnert sie sich. Entsprechend lautete die Empfehlung der Grundschule: Keinesfalls Gymnasium – aber Gesamtschule, dort, wo man alle Abschlüsse machen kann: Okay.

Den entscheidenden Tipp gab ein Lehrer

„Direkt in der fünften Klasse erzählte beim Elternsprechtag der neue Lehrer, dass es da Lernhäuser gibt, die einem helfen können“, sagt Gülseven. Dieser Tipp gab die entscheidende Wende: „Ich wüsste nicht, was ohne das Lernhaus geworden wäre – auf jeden Fall wäre mein Weg sehr viel steiniger geworden.“

Der Kinderschutzbund betreibt in vier Stadtteilen so genannte Lernhäuser als offene Einrichtungen, in denen Kindern und Jugendlichen täglich bei den Hausaufgaben geholfen wird, wo es Nachhilfe gibt, wo es später auch um Fragen der Berufsorientierung geht und Erwachsene mit den Jugendlichen Bewerbungsgespräche üben. Mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche haben seit rund 15 Jahren von den Lernhäusern profitiert; 16 hauptamtliche und 40 ehrenamtliche Mitarbeiter leisten die ganze Arbeit; ohne Spenden wäre das alles überhaupt nicht denkbar.

Gülseven Zeneloski ging vom fünften Schuljahr an jeden Tag hin – und plötzlich wurden ihre Noten besser. „Da wurde mir irgendwann klar, dass ich sogar Abi machen kann. Und ich habe mir gesagt, dass ich nie mehr abrutschen will in den Leistungen.“ Die Tochter eines mazedonischen Montage-Arbeiters und einer türkischen Supermarkt-Verkäuferin entdeckte das Fach Mathe für sich; und in Klasse zehn kam Wirtschaft dazu: „Da habe ich gesagt, sowas möchte ich mal beruflich machen.“

Im „Lernhaus“ hilft sie mittlerweile Jüngeren

Jetzt, im Herbst, fängt Gülseven ihr BWL-Studium an der Fachhochschule Ruhr West in Mülheim an. Sie geht allein, ohne Klassenkameraden. Angst? „Nein, hab’ ich nicht.“ Und ins Lernhaus geht sie übrigens immer noch: Um jüngeren Kindern zu helfen. „Neulich habe ich einem Siebtklässler bei Informatik unterstützt. Ich kannte das Thema selbst nicht, aber hab’ mich eingelesen. Am Ende hat er dann eine Eins im Test geschrieben. Das war ein tolles Gefühl für uns beide.“