Essen. . Über 780 Ausbildungsplätze sind in Essen frei. Der Unternehmensverband beklagt: Die Firmen bekommen viele völlig unzureichende Bewerbungen.

  • In Essen waren über 780 Ausbildungsstellen Ende August noch nicht besetzt
  • Der Essener Unternehmensverband lehnt es aber ab, schwachen Schülern mehr Chancen zu geben
  • Dessen Geschäftsführer sagt: Unternehmen sind kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Probleme

Nach den aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur Essen sind noch 784 Lehrstellen unbesetzt. Das sind über 200 Ausbildungsplätze und somit fast 40 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt im vorigen Jahr. Janet Lindgens sprach mit dem Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverbandes (EUV), Ulrich Kanders, über die Ursachen dieser Entwicklung.

Sind die Unternehmen immer noch viel zu wählerisch?

Ulrich Kanders: Die aktuellen Zahlen sind besorgniserregend. Und wahrscheinlich ist die Dunkelziffer sogar noch größer, weil längst nicht alle Unternehmen ihre freien Ausbildungsstellen bei der Arbeitsagentur melden. Den Unternehmen kann man keinen Vorwurf machen. Viele haben in den vergangenen Jahren ihre Anforderungen, die sie an einen Azubi stellen, gesenkt.

Die Chefin der Arbeitsagentur hat die Unternehmen neulich aufgefordert, jungen Menschen eine Chance zu geben, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so geeignet sind. Der Ball liegt also bei der Wirtschaft.

Es reicht nicht aus, zu fordern, dass die Betriebe auch schwächeren Bewerbern Chancen geben müssen. Bewerber werden schon längst nicht mehr nur auf Grund guter Noten eingestellt. Das sagen uns unsere Mitgliedsunternehmen immer wieder. Denn sonst würden sie schon heute oftmals nicht mehr genügend Azubis finden. Die Unternehmen sind keine Reparaturbetriebe für gesellschaftliche Probleme.

Welche Erfahrungen spiegeln Ihnen denn Ihre Mitglieder?

Teilweise mangelt es den Bewerbern schon an den Grundfähigkeiten wie Rechnen, Lesen, Schreiben. Aber vielen fehlt auch die soziale Kompetenz. Wahrscheinlich ist das eine Folge davon, dass die jungen Leute heute viel in den sozialen Medien unterwegs sind und so soziale Rollen und empathisches Vermögen im normalen Leben nicht mehr haben.

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Der Malerazubi Philipp behrendt  am 24.4.2017 in der Lehrwerkstatt der Kreishandwerkskammer. Am Freitag findet in der Kreishandwerkerschaft eine Lehrstellenbörse statt. Foto: Knut Vahlensieck / FUNKE  Foto Services
Von Janet Lindgensund Daniel Henschke

Aber ist das nicht eher ein Generationenproblem zwischen Unternehmer und Azubi?

Zum Teil vielleicht. Auch vor 30 Jahren haben Ausbildungsleiter über die Qualität ihrer Auszubildenden geklagt. Aber ich habe schon den Eindruck, dass sich Personalleiter heute in die Situation der jungen Leute gut hineinversetzen können. Sie berichten uns eher davon, dass sie eine Vielzahl völlig unzureichender Bewerbungen erreicht.

Das heißt?

Ein Personalleiter brachte kürzlich ein besonders drastisches Beispiel dafür mit in unser Treffen. Ein Azubi hatte seine Bewerbung handschriftlich verfasst und gerade mal zwei Sätze formuliert. Dazu waren die Zeugnisse unvollständig beigelegt und Eselsohren hatten die Blätter auch. So etwas geht nicht.

Wer ist dafür verantwortlich? Die Schulen?

Ich denke, es ist zu einfach, immer nur auf die Schulen zu zeigen. Auch die Eltern, die viel näher an ihren Kindern sind, haben eine Verantwortung. Ich würde mir außerdem wünschen, dass Eltern von ihrem Akademisierungswahn lassen und ihren Kindern eine Ausbildung empfehlen. Dann hätten wir als Wirtschaft ein deutlich kleineres Problem, Ausbildungsstellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Aber auch die Jugendlichen müssen flexibler werden, wenn es mit dem Wunschberuf nicht funktioniert.

Und was müssen die Unternehmen tun, damit Ausbildung wieder attraktiver wird?

Die großen Konzerne finden noch genügend Bewerber, wenngleich es ihnen auch nicht mehr so leicht fällt wie früher. Die größten Probleme haben die kleineren Firmen, sie gehen nicht so offensiv an das Thema heran, zum Beispiel über Lehrstellen-Börsen oder soziale Medien wie Facebook oder Xing. Die Unternehmen müssen sich aber umstellen, um die jungen Leute dort zu erreichen, wo diese sich bewegen.