Essen. . Mehrere Stellen versuchen in Essen, das Deutsch der Flüchtlinge zu verbessern. Wer die Sprache nicht spricht, hat wenig Chancen zu bleiben.
- 85 Prozent der Flüchtlinge sagen in einer Umfrage, dass sie Deutsch lernen wollen
- Ziel ist der verschiedenen Sprachkurse ist das Sprachniveau B1
- Wer seinen Kurs schwänzt, kann vom Amt der Stadt bestraft werden
Er zählt zu den Ersten, die sich für Flüchtlinge engagiert haben, war schon im inzwischen aufgelösten Zeltdorf am Altenbergshof aktiv und arbeitet nun am Runden Tisch in der Asylunterkunft Klinkestraße in Bergerhausen mit. Dort hat Jens Wientapper nun wieder erlebt, wie wechselhaft die Teilnahme an den Deutschkursen ist.
So sehr er sich über jeden Teilnehmer freut, der ein Sprachzertifikat erwirbt, so sehr plage ihn, dass andere achselzuckend sagen: „Ich komme in Essen doch mit Arabisch zurecht.“
Fragebogen erarbeitet
Solche Antworten hat Wientapper bei einer Umfrage in der Unterkunft erhalten: Gemeinsam mit einem Mathematik-Studenten hatte er einen Fragebogen erarbeitet, den 179 der 270 Bewohner anonym ausgefüllt haben. Dabei stellte sich heraus, dass 123 der Befragten keinen Deutschkurs besuchen – obwohl es Angebote in der Unterkunft an der Klinkestraße gibt. „Wir haben drei gut ausgestattete Räume und 15 ehrenamtliche Lehrkräfte, darunter Grundschul- und Gymnasiallehrer“, erzählt Wientapper.
Man biete vier Kurse von der Alphabetisierung bis zur Fortgeschrittenen-Klasse und arbeite mit Standardwerken. Das Niveau sei vergleichbar mit dem von anerkannten Bildungsträgern, bei denen er selbst unterrichtet habe.
85 Prozent sagen, dass sie Deutsch lernen wollen
Die Befragten sind im Schnitt schon 14 Monate im Land, 85 Prozent sagen, dass sie Deutsch lernen wollen. Trotzdem sei die Teilnahme an den Kursen schwankend. Selbst 43 Bewohner, die eine gute Bleibeperspektive haben, besuchen derzeit weder im Heim noch andernorts einen Kurs.
Einzelne erklärten, das Niveau sei zu hoch oder sie seien Analphabeten, andere setzen auf zweisprachige Landsleute, die für sie übersetzen. Natürlich könne man sich so behelfen, „aber niemand will doch, dass Parallelgesellschaften entstehen“.
Ergänzung des Sprachniveaus B1 ist das Ziel
Wientapper wünscht sich daher, dass die Verantwortlichen bei Stadt und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) noch größere Anstrengungen unternehmen, damit alle Flüchtlinge Deutschkurse besuchen und erfolgreich abschließen. Das Bamf erklärt dazu, „die Erlangung des Sprachniveaus B1 ist das erklärte Ziel des Integrationskurses“, der 600 Stunden umfasst.
Mit B1 kommt man im Alltag zurecht. Erreicht wird das Ziel laut Bamf jedoch nur von gut der Hälfte der Teilnehmer (55 Prozent). Mancher scheitere auch nach einem 300-stündigen Wiederholer-Kurs.
Es sei freilich auch als „großer Schritt“ zu werten, wenn ein Analphabet das niedrigere Niveau A2 erreiche, sagt ein Sprecherin des Bamf. Und bei den 14 Trägern, die die standardisierten Integrationskurse in Essen anbieten, weist man darauf hin, dass alle Teilnehmer aus arabischen Ländern zumindest eine zweite Schrift neu lernen müssen.
Ohne Sprachkenntnisse ist ein langfristiger Aufenthalt nicht möglich
Auch seien die Teilnehmer durch ihre Flucht oft hoch belastet: „Unsere Referenten müssen da sehr sensibel sein und auch sozialarbeiterisch tätig werden“, sagt etwa Sabine Dörner-Berude von der Arbeiterwohlfahrt (Awo), die sich auf familienfreundliche Kurse spezialisiert hat. Mit Erfolg: „Unsere Teilnehmer sind immer da.“
Ähnliche Zuverlässigkeit erlebt Heike Reintanz von der Volkshochschule, die jährlich 700 Plätze in Integrationskursen anbietet. Die Disziplin sei hoch, die Teilnehmer seien „auf den Abschluss hin orientiert“: Bei der VHS schaffen etwa 80 Prozent im ersten Anlauf das B1-Niveau. „Ohne B1 ist ein langfristiger Aufenthalt in Deutschland kaum möglich“, meint Reintanz.
Und wer eine Ausbildung machen wolle, müsse weitere Kurse anhängen. Mancher komme über Jahre hinweg berufsbegleitend in Abendkurse, wolle am Ende noch den letzten Akzent abschleifen „Da sitzen Ärzte wie Altenpfleger, die das Gefühl haben, sonst werden sie nicht ernst genommen.“
Viele Flüchtlinge wollen sofort Geld verdienen
In diesem Frühjahr warf der Bundesrechnungshof der Bundesagentur für Arbeit Verschwendung vor: Sie habe 2015 bundesweit für über 400 Millionen Euro Deutschkurse veranlasst, bei denen „ein großer Teil der Mittel de facto ins Leere lief“.
Da sei mit schlechtem Lehrmaterial, unzureichend qualifiziertem Personal und ohne Erfolgskontrolle unterrichtet worden. Die Bundesagentur für Arbeit erwiderte, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise habe man eilig eine Vielzahl an Kursen schaffen müssen. Auf Vorgaben zu Inhalten, Durchführung und Qualifizierung der Lehrkräfte habe man verzichtet.
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Auch Andrea Demler, Chefin der Agentur für Arbeit in Essen, weist darauf hin, dass es sich um eine Sofortmaßnahme gehandelt habe: Im Jahr 2015 hätten in Essen 15 Träger 64 der Einstiegskurse angeboten, 990 Teilnehmer hätten sie besucht.
Theoretisches Lernen bereitet Probleme
Längst habe die Agentur für Arbeit Programme, die auf die Zielgruppe zugeschnitten sind: Einmal ist das „Kompas“ (Kompetenzfeststellung, frühzeitige Aktivierung, Spracherwerb), das Sprachförderung und Praktikum kombiniert. So können erste Deutschkenntnisse in der Praxis – etwa im Gespräch mit Kollegen – angewendet und vertieft werden. Berufliche Kompetenzen werden bei der Wahl des Praktikumsplatzes berücksichtigt. „Das Angebot soll auf eine Arbeitsaufnahme vorbereiten“, so Demler.
Daneben gebe es ein neues Modell namens „Komber“, das sich an jene wendet, die schon den Integrationskurs besucht haben, ohne das Sprachniveau B1 zu erreichen. B1 wird benötigt, um sich im Alltag zu verständigen und zumindest im Helferbereich ohne Kundenkontakt arbeiten zu können. „Es ist aber nicht jeder in der Lage, acht Stunden still zu sitzen und rein theoretisch zu lernen“, erklärt Demler. „Komber“ biete einen eher praktisch ausgerichteten, berufsbezogenen Spracherwerb.
Sanktionen bei Abbruch oder Misserfolg gebe es für die Teilnehmer meist nicht, weil sie in der Regel auch keine Leistungen von der Arbeitsagentur beziehen. Man erfasse zwar die Zahl der Abbrüche, sie liege aber bei Kursen für Flüchtlinge und Migranten nicht höher als bei anderen Angeboten. Grundsätzlich sei der Wille, Deutsch zu lernen, sehr groß. „Es gibt allerdings bei vielen den Wunsch, möglichst sofort Geld zu verdienen, um ihre Familien zu unterstützen“, erklärt Andrea Demler.
Hier sei es Sache der Berater deutlich zu machen, dass es für den langfristigen Berufserfolg besser sei, die Sprache erstmal sicher zu beherrschen.
Wer den Kurs schwänzt, kann bestraft werden
Anerkannte Flüchtlinge haben einen Anspruch auf einen Integrationskurs, können zu diesem aber auch von Jobcenter, Ausländerbehörde oder Sozialamt verpflichtet werden. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gab es im vergangenen Jahr 5000 Neuzulassungen für Kurse und 3333 neue Teilnehmer (nicht jeder konnte den Kurs noch 2016 beginnen). 1693 Teilnehmer haben den Integrationskurs 2016 abgeschlossen.
„Bei nicht ordnungsgemäßer Teilnahme“ müssen sie durchaus mit Sanktionen rechnen: So kann das Arbeitslosengeld II erst um 30, dann um 60 Prozent gekürzt werden; auch Bußgelder werden erhoben. Das Jobcenter erfasst Sanktionen nur allgemein und erfasst Flüchtlinge hier nicht gesondert. Bei insgesamt 61 875 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gab es im vergangenen Jahr 10 276 Sanktionen. Weil mancher mehrfach erfasst wurde, verbergen sich dahinter „nur“ knapp 5000 Betroffene. In den meisten Fällen (8855) ging es um Meldeversäumnisse.