Essen. Franco Giannetti, Inhaber eines stark expandierenden Restaurant-Imperiums, ist neuer Betreiber des renommierten Restaurants auf Zeche Zollverein.
- Das Casino auf Zollverein, eine der interessantesten gastronomischen Adressen der Stadt, hat einen neuen Besitzer
- Der Essener Groß-Gastronom Franco Giannetti hat das Spitzenrestaurant samt Event-Bereich am 1. Juli übernommen
- Der Wechsel markiert zugleich das endgültige Ende einer Ära: die des Pioniers und Casino-Erfinders Claus Dürscheidt
In aller Stille hat sich in einer der interessantesten Gourmet-Adressen der Stadt ein einschneidender Betreiberwechsel vollzogen: Dem Essener Gastronomen Franco Giannetti („Lucente“, „Officina“) gehört schon seit dem 1. Juli das Casino Zollverein, die bisherige Eigentümerin Juliane Pollok hat sich nach bald 20 Jahren aus dem Betrieb zurückgezogen.
„Das Casino birgt unglaublich viel Potenzial, das in den letzten Jahren nicht mehr abgeschöpft worden ist“, sagt der 46-Jährige, der sein dynamisch wachsendes Gastro-Imperium mit der überraschenden Zollverein-Investition erneut vergrößert hat. Giannetti, ein Vollblut-Gastronom voller Tatendrang, weiß, dass er mit der Casino-Investition jetzt „umsatztechnisch in einer anderen Liga“ spielt, sein Projekt nennt er zuversichtlich „2.0“.
„Als wir 1996 auf Zollverein eröffneten, war hier nichts“
Beim Casino-Deal handelt es sich um weitaus mehr als einen notariell beglaubigten Kaufvertrag. Er markiert auch das endgültige Ende der einst strahlenden Ära Claus Dürscheidt – es ist der melancholische Aspekt dieses Geschäfts.
Wir blicken zurück: 1996, nur zehn Jahre nach der Stilllegung der letzten Essener Zeche, besitzt der charismatische Unternehmer („Zeche Bochum“) den Mut und die Vision, auf Zollverein zu investieren. „Als wir 1996 auf Zollverein eröffneten, war hier nichts – keine Straßen, keine Infrastruktur. Wir waren der erste Betrieb auf Zollverein, der Öffentlichkeit darstellte“, sagt der 74-Jährige 2014 – nur wenige Monate vor seinem Tod – dem Zollverein-Magazin.
Sein Mitgesellschafter Dirk Vormann ist als Geschäftsführer ebenfalls Mann der ersten Stunde. Dürscheidts Lebensgefährtin Juliane Pollok tritt 1997 in die Gesellschaft ein. „In der Restaurant-Szene hieß es damals: In einem halben Jahr sind die wieder weg“, erinnert sich Vormann.
Rindercarpaccio und Bergwerksarmaturen
Weit vor IBA-Finale, Welterbe-Titel und Kulturhauptstadt verwirklicht das Duo Dürscheidt/Vormann ein bis dahin nicht gekanntes, spektakuläres Restaurant-Konzept, das weit über die Grenzen Essens hinaus für Furore sorgen wird. In der alten Kompressorenhalle verschmelzen sie monumentale Industriearchitektur mit hochklassiger Gastronomie.
Hier die wuchtigen hohen Betonsäulen, die Maschinen und Bergwerksarmaturen – dort leckeres Rindercarpaccio und Kalbsbrust, Lauchpüree und Speckbohnen. Ein atemberaubender Kontrast, der im ganzen Land schnell Nachahmer finden wird und Essen in den Rang einer kulinarischen Pilgerstätte erhebt.
Spitzenköche bringen die Geschmacksknospen der Casino-Gäste zum Explodieren und die Restaurantkritiker von Feinschmecker bis FAZ zum Staunen. Diese loben die Finesse auf den Casino-Tellern und das Ambiente der spektakulären Industriearchitektur.
Ein gastronomisches Aushängeschild für Essen
Gut, dass die Casino-Pioniere so manche unerbetene Empfehlung nicht befolgen. So rät man ihnen damals dazu, die Macken in den Säulen zu sandstrahlen. „Dabei ging es uns ja genau darum: die Verletzungen durch die Industrie sichtbar zu machen“, sagt Vormann.
Schnell etabliert sich das Casino als Stelldichein der Prominenz und dank des riesigen Saals oben als schillernde Event-Location. Kanzler und Künstler dinieren hier, Industriebosse und Weltstars. Auch Groß-Konzerne wie RWE und Evonik kommen gerne ins Casino.
„Johannes Rau war unser Stammgast, für die norwegische Königin gab’s eine Gala und Boris Becker kam mit dem Davis-Cup-Team,“ sagt Vormann. Ehe Christo und Jeanne-Claude 1999 im Gasometer ihre Installation „The Wall“ eröffnen, speisen sie mit IBA-Chef Karl Ganser: im Casino. Derselbe lockt auch den belgischen Festival-Macher Gérard Mortier nach Zollverein. Prompt erliegt dieser dem Casino-Charme, fortan gilt dieses denkwürdige kulinarische Rendezvous als Geburtsstunde der Ruhr-Triennale.
Tod des Pioniers 2014 ist eine schmerzhafte Zäsur
Seit wann die Geschäfte nicht mehr rund laufen, lässt sich nicht genau sagen. Als schmerzhafte Zäsur erweist sich der Tod des Pioniers Claus Dürscheidt im November 2014. Denn dieser hatte noch Großes vor auf Zollverein. Anfang 2014 noch stößt er mit Vormann den Umbau der gigantischen Gebläsehalle zur Event-Location an. Casino und Grand Hall, so Dürscheidts Plan, sollen sich gegenseitig befruchten – erst recht im lukrativen Catering-Geschäft. Stattdessen brechen im Casino nach übereinstimmenden Schilderungen unruhige und bisweilen turbulente Zeiten an. Es kommt zu Zerwürfnissen und Kündigungen, worüber auch Geschäftsführer Dirk Vormann ausscheidet.
Juliane Pollok sähe es gerne, wenn der neue Betreiber im Sinne Dürscheidts wirken würde. Aber sie ist zuversichtlich und sagt: „Ich bin mir sicher, dass Franco Giannetti im Casino erfolgreich sein wird.“
Der neue Chef sucht Personal: vom Küchenchef bis zum Azubi
Gut 200 Mitarbeiter zählt Franco Giannettis Gastro-Imperium. „Im Casino brauche ich zehn neue Leute – vom Küchenchef bis zum Azubi“, sagt der Unternehmer. Der gelernte Koch ist Spross toskanischer Eltern, die in Duisburg selbst ein Restaurant hatten.
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Giannetti gehört das Officina in Bredeney und Buer, La Bistecca, Vincent & Paul im Museum Folkwang, das Lucente (seit 25 Jahren), neuerdings das Kohle Craft Werk und schon bald das Paul’s (früher Gallo) in Rüttenscheid. Er sorgt für das Catering in der Grand Hall auf Zollverein und hat die Event-Firma „Geventi“ gegründet. „Casino und Grand Hall werden sich gegenseitig befruchten“, sagt Giannetti.
Stiftung Zollverein legt Wert auf hochwertige Gastronomie und sieht die Kontinuität gewahrt
Im Restaurant werde es weiterhin eine „moderne bodenständige deutsche Küche mit internationaler Note und einem starken Bezug zum Ruhrgebiet“ geben – also mehr Roulade als Espuma. „Die Ruhrgebiets-Tapas mit Tafelspitz-Sülze und Blutwurst-Pralinen sind schon jetzt der Renner“, sagt er. Bei laufendem Betrieb will er demnächst mehr Licht und Farbe ins Casino bringen, „damit die Maschinen und Betonpfeiler noch besser zur Geltung kommen“. Auch den Sommergarten möchte er neu gestalten.
Giannetti ist Betreiber der Gastronomie, für die Verpachtung ist die Stiftung Zollverein als Eigentümerin zuständig. Deren Vorsitzender Hermann Marth ist mit dem neuen Betreiber zufrieden. „Herr Giannetti steht für Kontinuität, er wird im Casino das Konzept der hochwertigen Gastronomie weiterführen.“