Essen. Im November 2016 haben 18 junge Kurden Molotow-Cocktails in eine türkische Teestube geworfen. Nun werden sie wegen versuchten Mordes angeklagt.

Staatsanwaltschaft Essen wertete DNA-Spuren und Handys der Verdächtigen aus

Jungen Kurden bastelten Molotow-Cocktails auf benachbartem Spielplatz

Landgericht Essen plante, den Prozess in die Messehalle zu verlagern

Manche sind mit 15 Jahren gerade erst dem Kindesalter entwachsen, die Ältesten zählen auch erst 24 Jahre. Und sie alle, insgesamt 24 Kurden, sollen bereit gewesen sein, am 4. November 2016 fremde Menschen für eine politische Sache zu töten, sie brennen zu lassen. Ab dem 7. Juli müssen sich 18 von ihnen vor der V. Essener Jugendstrafkammer verantworten, weil sie laut Anklage einen Brandanschlag auf ein türkisches Café in Essen-Kray verübt haben.

Ein Verfahren mit 18 Angeklagten und bislang 39 Verteidigern – es stellt das Landgericht Essen vor bislang nicht gekannte organisatorische Herausforderungen.

Nach Kurden-Anschlag: DNA-Spuren und Handys wurden ausgewertet

Die Anklage ist das Ergebnis klassischer kriminalistischer Arbeit – und sie gibt Einblick, wie Krisenherde im Ausland eine blutige Spur nach Deutschland ziehen. Belegt sind die Vorwürfe mit DNA-Spuren, mit Handy-Auswertungen und abgehörten Telefonaten sowie „singenden“ Angeklagten, die ihre Komplizen belasten. Die Mafia ist schweigsamer als Kurden in Essen.

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Der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der in Deutschland als Terrororganisation eingestuften kurdischen PKK bündelt sich Anfang November 2016 in den östlichen Essener Stadtteilen Kray, Horst und Freisenbruch. Die Angeklagten sind dort keine Unbekannten. Man kennt sie zum Teil aus der Schule, aus dem Fußballverein. Einige gehören zu einer kurdischen Folkloregruppe. Auf dem Sportplatz des SC Preußen Eiberg in Freisenbruch, so weiß es die Anklage, ist ihnen ein Raum zur Verfügung gestellt worden, wo sie sich treffen können.

Viele von ihnen sind bereits in Deutschland geboren und aufgewachsen. Mit der Justiz hatten fast alle schon Ärger, es sind jedoch keine größeren Delikte. Ihre Staatsangehörigkeit ist deutsch, syrisch oder türkisch. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Was sie eint, sind die gemeinsamen kurdischen Wurzeln.

Junger Mann wird zum Kronzeugen der Anklage

Anfang November geht alles sehr schnell, folgt man der Anklage. Die Essener Khoshnav S. (20) und Metin U. (24) hören in Düsseldorf den Aufruf von zwei Frauen, die von der Polizei als „PKK-Aktivistinnen“ eingestuft werden. Diese fordern Anschläge in Deutschland als Zeichen des Kampfes der Kurden gegen die „faschistische“ Türkei. Der Nahe Osten ist plötzlich sehr nahe.

Denn am Essener Hauptbahnhof soll Khoshnav S., der später offenbar zum Kronzeugen wird, seine Komplizen belastet und laut Anklage keinen einzigen Tag in U-Haft sitzt, einige Freunde auf das Anschlagsziel türkisches Café in Kray eingeschworen haben. Er wisse, dass die Inhaber national gesinnte Türken seien, soll er ihnen versichert haben. Das reicht ihnen. Sie folgen.

Am 3. November, einen Tag vor dem Anschlag, treffen sie sich abends auf dem Sportplatz von Preußen-Eiberg, heißt es weiter in der Anklage. Dort sei ein Plan entworfen worden. Von Geheimhaltung kann keine Rede sein. Mindestens 24 Kurden überlegen, in Handy-Chats wird der Plan besprochen. Bei Khoshnav S. findet die Polizei später sogar einen Tatplan, auf dem er Handynummern, Namen und die geplante Tatbeteiligung seiner mutmaßlichen Komplizen aufgeschrieben haben soll.

Molotow-Cocktails werden auf dem Spielplatz gebaut

Am 4. November gehen sie laut Anklage auf einen Spielplatz an der Straße Fünfhandbank, nicht weit von dem türkischen Café in der Nähe des Krayer Marktes. Dort sollen sie die Molotow-Cocktails in Veltinsflaschen präpariert haben. Gemeinsam seien sie losgezogen, hätten mit Metallzylindern die Scheiben des Cafés zerstört und drei „Mollys“ sowie Feuerwerkskörper in die Räume der verhassten Türken geworfen. Schnell konnte das Feuer von den Insassen gelöscht werden.

Weil sie gewusst hätten, dass sich in dem Gebäude Menschen aufhielten, lautet die Anklage auf gemeinschaftlichen versuchten Mord – heimtückisch begangen und mit gemeingefährlichen Mitteln. Ob der Prozess diesen Vorwurf an 56 geplanten Prozesstagen halten wird? Oder ob die Jugendstrafkammer nicht doch eine Abstufung vornimmt, weil sie einige der Angeklagten nicht als Täter, sondern lediglich als Gehilfen einordnet?

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Wenn das Gericht irgendwann zu einem Urteil kommen wird, kann es froh sein, dass 2016 ein neuer Saaltrakt am Landgericht Essen fertig geworden ist. Denn im alten Gemäuer hätte selbst der historische Schwurgerichtssaal die Menge an Menschen nicht aufnehmen können. Jeder der Angeklagten hat zwei Pflichtverteidiger, hinzu kommen bislang drei Wahlverteidiger. 39 Rechtsanwälte also. Ein paar Dolmetscher werden dabei sein, Vertreter der Jugendgerichtshilfe. Und natürlich muss auch Platz sein für Zuhörer, für die Presse und für die Eltern der jugendlichen Angeklagten. Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen sind angeordnet.

Prozess stellt Essener Landgericht vor Herausforderung

Zwischenzeitlich hatte die Verwaltung des Landgerichts Essen sogar überlegt, eine Messehalle für die Verhandlung anzumieten. Aber weil zwölf Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen, hätte es Probleme mit Zellen für sie geben können. Jetzt werden andere Gerichte mit ihren Wachtmeistern, die benachbarte Essener Justizvollzugsanstalt und auch die Polizei Amtshilfe leisten, um die Gefangenen in den Saal zu bringen und zu bewachen.

Sie alle werden ab dem 7. Juli hören, dass auch mutmaßliche PKK-Terroristen der Polizei Indizien frei Haus liefern. So redete eine der Angeklagten, eine 17-Jährige, nach der Tat freimütig am Handy über ihre Tat. Sie sei jetzt dran, hörten die Ermittler, die schon Stunden nach der Tat dank Zeugen die ersten Verdächtigen festnahmen. Und ein anderer Kurde trug unter der Kleidung eine Fahne, als die Polizei kam: Freiheit für Öcalan, forderte sie. Seitdem sitzt der junge Mann selbst in Unfreiheit.

Das Landgericht Essen wird in zwei Prozessen verhandeln. Das Großverfahren ab dem 7. Juli mit 18 Angeklagten findet vor der V. Jugendstrafkammer statt. Ein weiteres mit sechs Angeklagten, dessen Termine noch nicht feststehen, wird Aufgabe der XXIV. Jugendstrafkammer sein.

Zum Anschlag sollte sich laut Anklage die „apoistische Jugend“ bekennen. Die relativ unbekannte Organisation, benannt nach PKK-Chef Abdullah „Apo“ Öcalan, soll 2016 in Deutschland mehre Brandanschläge auf Autos verübt haben, die angeblich „türkischen Faschisten“ gehörten.