Essen. Die Polizei hat Wohnungen in Essen und weiteren NRW-Städten durchsucht. Insgesamt gab es 30 Durchsuchungsbeschlüsse und 17 Haftbefehle.

  • Groß-Razzia in NRW: Polizei durchsucht 30 Wohnungen und nimmt zahlreiche Gesuchte fest
  • Aktion ist Ergebnis der Ermittlungsarbeiten nach Brandanschlag auf türkisches Café in Essen-Kray
  • Polizei geht von politischem Hintergrund aus, Beschuldigte seien der PKK zugeneigt

In Essen und zehn weiteren Städten Nordrhein-Westfalens hat die Polizei am frühen Donnerstagmorgen eine Groß-Razzia im Kurdenmilieu durchgeführt. Hintergrund ist der Brandanschlag auf ein türkisches Café Anfang November in Kray. Ermittelt wird wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung.

Die Polizei rückte am frühen Donnerstagmorgen aus, um insgesamt 30 Wohnungen zu durchsuchen. Gegen 17 Beschuldigte lagen Haftbefehle vor. 13 Gesuchte konnten festgenommen werden. Darüber hinaus wurden zehn weitere Verdächtige in Gewahrsam genommen. Die Ermittlungen richten sich gegen deutsche, türkische und syrische Staatsangehörige mit kurdischem Hintergrund, erklärte Anette Milk, Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz am Mittag.

Zu den Beschuldigten, die per Haftbefehl gesucht und am Donnerstag nicht festgenommen wurden, gehört nach Informationen der Bild-Zeitung auch der Bochumer Boxer Agit Kabayel.

Ermittler gehen von politischem Hintergrund aus

"Die Festgenommenen sind zwischen 14 und 42 Jahre alt", sagte Holger Schepanski, Einsatzleiter der Polizei. Die Ermittler gehen von einem politischen Hintergrund des Brandanschlags aus. "Die Mehrheit der Beschuldigten ist politisch interessiert", so Martina Thon, Leiterin der Direktion Kriminalitätsbekämpfung. Milk ergänzt: "Sie sind dem Gedankengut der PKK zugeneigt, aber wir konnten nicht feststellen, dass es sich um PKK-Mitglieder handelt." Angaben zu einzelnen Personen machten die Behörden nicht.

Bei den Beschuldigten selbst handelt es sich laut Polizei und Staatsanwaltschaft nicht um Rocker. "Beziehungen einzelner Personen zu Rockergruppierungen können jedoch nicht ausgeschlossen werden." Die rockerähnliche kurdische Gruppierung "Bahoz" wird mit dem Brandanschlag in Kray in Verbindung gebracht.

Polizei beschlagnahmt Waffen, Handys und PCs

Schwerpunkt der Razzia war Essen, die Federführung lag beim Polizeipräsidium in Essen. Insgesamt 13 Wohnungen wurde im Stadtgebiet durchsucht. Unterstützt wurden die Ermittler von einem Großaufgebot der Einsatzhundertschaft.

Außerdem wurden Wohnungen in Dortmund, Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen und Hagen durchsucht. Zudem waren die Ermittler in Wuppertal, Köln, Meckenheim, Jüchen und Grevenbroich unterwegs. Bei den Razzien wurden ein Buschmesser, ein Schlagstock, eine Schreckschusspistole gefunden sowie Handys, PCs und weitere Datenträger zur Auswertung beschlagnahmt.

Ermittler führen Mann im Essener Nordviertel ab

Polizeiwagen rollten gegen 6 Uhr leise die Straße Am Freistein im Essener Nordviertel entlang. Vor einem Haus, in dem auch der „Deutsch-Kurdische Solidaritätsverein“ (DKS) Räume hat, kamen die Fahrzeuge zum Stehen. Die Beamten stiegen aus, Taschenlampen flackerten über den Hof, die Ermittler verschafften sich Zutritt zu dem Haus. Alles ging leise und schnell. Sekunden später gingen die Lichter in der Wohnung in der zweiten Etage an. Hinter den Vorhängen waren schemenhaft die Ermittler und die Bewohner zu erkennen.

Die Essener Ermittler führen einen festgenommenen Mann in Handschellen ab.
Die Essener Ermittler führen einen festgenommenen Mann in Handschellen ab. © Stefan Arend

Rund 30 Minuten später führten die Beamten einen Mann in Handschellen ab. Sein Gesicht war mit der Kapuze seiner schwarzen Jacke verdeckt. Oben, hinter den Fenstern im zweiten Stock, ist eine Frau im roten Oberteil erkennbar, offenbar sind Kinder bei ihr.

Die Razzia am Donnerstagmorgen ist das vorläufige Ergebnis der Ermittlungsarbeiten der Essener Polizei. Dort wurde nach dem Brandanschlag eine Ermittlungskommission einberufen, samt Staatsschutz und Beamten aus dem Bereich Organisierte Kriminalität. Die Polizisten vernahmen Zeugen, werteten Beweismittel aus und griffen zu technischen Überwachungsmaßnahmen.

Schließlich erwirkten sie 30 Durchsuchungsbeschlüsse und 17 Haftbefehle. Essens Polizeipräsident Frank Richter lobte: "Ein solcher Erfolg innerhalb von drei Monaten macht mich sehr stolz."

Drei junge Männer kurz nach Anschlag festgenommen

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Bei dem Anschlag mit Molotow-Cocktails auf das türkische Café wurde im November ein Mann leicht verletzt. Drei junge Männer im Alter von 19 und 21 – allesamt kurdischer Abstammung – sind damals festgenommen worden. Sie befinden sich immer noch in Untersuchungshaft.

Zumindest der 21-Jährige soll der kurdischen Bruderschaft „Bahoz“ („Sturm“) nahestehen, die der nationaltürkischen Rockergruppe „Osmanen Germania“ den Kampf angesagt hat. Ein Konflikt, der beweist: Innenpolitischer Zwist in der Türkei eskaliert auch in Deutschland auf dramatische Weise.

Der 21 Jahre alte Essener gilt ferner als Sympathisant der Gruppierung „YPG“, des syrischen Arms der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die „Bahoz“-Leute sollen in Deutschland dafür sorgen, kurdische Kundgebungen zu schützen.

Deutsch-Kurdischer Solidaritätsverein distanziert sich von Gewalttaten

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Außerdem ist der Beschuldigte ein guter Bekannter des Essener Linken-Ratsherrn Yilmaz Gültekin, der dem Deutsch-Kurdischen Solidaritätsverein vorsteht. Dieser verbreitete gut eine Woche nach dem Brandanschlag eine Erklärung, in der das Essener Attentat verurteilt wird.

Auch am Donnerstag bekräftigte Gültekin: "Wir distanzieren uns von Gewalttaten. Der Konflikt aus der Türkei darf nicht nach Deutschland übertragen werden." Zudem berichtet der Ratsherr, dass die kurdische Gemeinschaft sehr überrascht von der Razzia gewesen sei. Laut Gültekin seien auch Menschen festgenommen worden, die seines Wissens nach nichts mit dem Anschlag zu tun hatten, wie beispielsweise eine junge Frau, die in der Folkloregruppe des Deutsch-Kurdischen Solidaritätsverein aktiv ist.

"Wir distanzieren uns von Bahoz", sagte Gültekin: "Das ist eine Bewegung, die es nicht gegeben sollte."