Essen. . Maurike Maaßen, Verkäuferin in einem Altendorfer Discounter, hatte im Januar bei „Anne Will“ Kanzlerkandidat Martin Schulz und die SPD getadelt.

  • Maurike Maaßen, Kassiererin in einem Essener Discounter, trifft SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz
  • Die Gewerkschafterin hatte den Politiker und dessen Partei in der Talkshow Anne Will getadelt
  • In Essen hat Schulz an einer Sitzung der Großen Tarifkommission von Verdi teilgenommen

Maurike Maaßen sitzt schon seit 16 Jahren an der Kasse eines Discounters in der Hagenbeck. Ihr prägnanter Kurzauftritt bei „Anne Will“ Ende Januar hat die schlagfertige Gewerkschafterin aus Essen-Altendorf einem Millionenpublikum bekannt gemacht: Besonders weil sie Martin Schulz, den euphorisierten SPD-Kanzlerkandidaten mit unbequemen Wahrheiten aus ihrem Berufsalltag konfrontierte. Und Sätze sagte wie diesen: „Herr Schulz, ich hoffe, dass Sie die SPD wieder für mich wählbar machen.“

Knapp drei Monate später haben sich der Kandidat und die Kassiererin wiedergesehen: in der Sitzung der Großen Tarifkommission von Verdi, die am Donnerstag im Gewerkschaftshaus in der Teichstraße tagte.

Menschen wie Maurike Maaßen – Verkäuferin, Betriebsrätin und Gewerkschafterin – sollten eigentlich SPD und Martin Schulz wählen. Doch die 54-Jährige mit der auffälligen schwarzen Strähne und der gepiercten Augenbraue tut es nicht.

Früher SPD, jetzt Linke

„Ich war in der SPD, bin jetzt Mitglied der Linken und werde auch die Linke wählen“, sagt sie beim Pressegespräch in die Mikrofone der Radio- und Fernsehreporter. Trotzdem kommt sie Martin Schulz entgegen: „Wer noch nicht weiß, wen er wählen soll, sollte sein Kreuz lieber bei Martin Schulz machen, anstatt CDU oder AfD zu wählen.“

Aufmerksam – und hinter verschlossenen Türen – hat der Kandidat im Kreise der Großen Tarifkommission zugehört, wo den Beschäftigten des Einzelhandels der Schuh drückt. So habe er erfahren, wie groß der Druck in den Betrieben auf die Beschäftigten sei, dass mit weniger Personal mehr Umsatz gestemmt werden müsse und wie schwierig es sei, von Teilzeit- in Vollzeitjobs zurückzukehren. Schulz: „In diesem superreichen Land müssen wir über Gerechtigkeit reden.“

24 Stunden in der Woche und 1100 Euro netto

Gerechtigkeit ist Martin Schulz’ großes Wahlkampfthema – auch jetzt in Essen. Punkten will er in den alten SPD-Hochburgen im Ruhrgebiet insbesondere bei jenen, die Jahrzehnte lang für wenig Geld arbeiten, sich gar mit Zweitjobs über Wasser halten und panische Angst davor haben, als Rentner von Altersarmut geplagt zu werden.

Maurike Maaßen hat bei ihrem Altendorfer Discounter, einer Tochter der Edeka-Gruppe, einen Vertrag über wöchentlich 24 Stunden. „Das bringt 1600 Euro brutto und 1100 netto“, rechnet sie vor. Gerne würde sie, die sich selbst als „renitente Betriebsrätin“ beschreibt, mehr arbeiten, um mehr verdienen zu können. „Aber bei uns gibt es ja gar keine Vollzeitstellen“, sagt sie und zuckt die Achseln.

Respektvolles „Sie“ statt kumpelhaftem „Du“

Mit 18 war Maurike Maaßen in die SPD eingetreten, schon sechs Jahre später trat sie wieder aus. Für sie steht fest, dass sich die SPD nicht genug um die kleinen Leute kümmert. Aber über Schulz sagt sie bei Anne Will: „Als Mensch sind Sie mir wesentlich sympathischer als Herr Gabriel.“ Auch beim Wiedersehen in Essen findet sie freundliche Worte. „Ich rechne ihm hoch an, dass er hier ist.“

Nächste Woche beginnen die Tarifverhandlungen im NRW-Einzelhandel. Verdi fordert in der Entgeltrunde einen Euro mehr je Stunde. Aber besonders wichtig ist Maurike Maaßen und ihren Mitstreitern die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge. Erfreulich aus ihrer Sicht: „Martin Schulz hat unsere Aktion für die Allgemeinverbindlichkeit mitunterschrieben.“

Zum kumpelhaften „Du“ kommt es zwischen der Kassiererin und dem Kandidaten nicht. Sie siezen sich und demonstrieren respektvolle Distanz. Immerhin: Am Ende schauen sie sich in die Augen.